Als der Minister, der sich selbst abschaffte, bleibt der Name Wolfgang Bötsch für immer in den Geschichtsbüchern der Bundesrepublik Deutschland stehen: Am 14. Oktober ist der CSU-Politiker, der von 1993 bis 1997 der letzte Bundespostminister war, in Würzburg nach längerer Krankheit gestorben. Bötsch wurde 79 Jahre alt.
Der Weg war vorgezeichnet
Wolfgang Bötsch hat leidenschaftlich für die Politik gelebt – von frühester Jugend an. Schon als Internatsschüler in Lohr schmuggelt er ein Kofferradio in den Schlafsaal, um heimlich unter der Bettdecke die Berichterstattung zur Bundestagswahl 1957 zu verfolgen. Bötsch ist bekennender Konrad-Adenauer-Fan, begeistert von dessen Antikommunismus, dem klaren West-Kurs einschließlich der Wiederbewaffnung. Stolz ist er, als er dem „Alten“ schließlich 1961 als Vorsitzender des Ringes Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) nach einem Auftritt in der Würzburger Frankenhalle einen Würzburg-Stich und einen Riesen-Bockbeutel überreichen darf.
So ist die Karriere des gebürtigen Bad Kreuznachers, der im Zuge des Kriegs nach Würzburg kam, in die Politik vorgezeichnet. Der junge Jurist ist ehrgeizig, er weiß viel und er kann mit Menschen. Nach ersten Ämtern beim RCDS und in der Jungen Union wird er 1972 mit gerade mal 33 Jahren in den Würzburger Stadtrat gewählt, 1974 in den Bayerischen Landtag und schon zwei Jahre später erstmals in den Deutschen Bundestag. 29 Jahre bleibt er Stimmkreisabgeordneter für Würzburg-Stadt und Land, in historisch bewegter Zeit.

Typisch untypisch
Der Start ist typisch Bötsch. Zur konstituierenden Sitzung am 14. Dezember 1976 in Bonn trägt er Trachtenanzug. Das hat sich vor ihm noch niemand im Bundestag getraut – und bringt ihm eine Notiz im „Bonner Generalanzeiger“ ein. Ein Jahr später wird Deutschland durch den RAF-Terror erschüttert. Bei aller Trauer über das Blutvergießen ist Bötsch froh, dass die Regierung sich nicht erpressen lässt. „Unsere Demokratie hat Stärke bewiesen – über Parteigrenzen hinweg“, sagt er im Rückblick.
Ab Mai 1982 ist Bötsch Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und somit einer der engsten Mitarbeiter der bayerischen Landesgruppenchefs Friedrich Zimmermann und Theo Waigel. Kurz darauf stellt die Union mit Helmut Kohl nach länger Zeit wieder den Bundeskanzler. CSU-Patriarch Franz Josef Strauß, der es selbst nicht ins Kanzleramt schaffte, schaut mit Argusaugen von München aus auf die Seinen in Bonn. „Harmonieterror“ wirft er ihnen regelmäßig vor. Kein leichter Spagat zwischen den Loyalitäten, doch Waigel und Bötsch gelingt er. So ist es wenig verwunderlich, dass der Würzburger Abgeordnete im April 1989 nach Waigels Wechsel ins Finanzministerium den Vorsitz der CSU-Landesgruppe übernimmt.
An vorderster Front bei der Wiedervereinigung
Wolfgang Bötsch arbeitet im Zentrum der Macht, als am 9. November 1989 plötzlich in Berlin die Mauer fällt. „Ich war an diesem Tag im Rheingau unterwegs“, als Rudolf Seiters, der Kanzleramtsminister, angerufen habe. „Du musst sofort nach Bonn, in Ostberlin ist irgendwas in Bewegung“ habe es geheißen. Noch am Abend singt Bötsch im Bundestag die Nationalhymne.
Die Monate danach verlaufen spannend. Jurist Bötsch verhandelt an vorderster Front mit über die Wiedervereinigung. Er hält sich später zugute, als Erster den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes als Weg zur Wiedervereinigung in die Debatte eingebracht zu haben. Lothar de Maiziere, der erste freigewählte DDR-Ministerpräsident, habe Veränderungen am Staatsnamen, an der Flagge oder wenigstens eine neue Nationalhymne durchsetzen wollen. Nicht mit Bötsch. „Da habe ich nein gesagt, und CSU-Chef Theo Waigel dann zu mir: Geh Du zum Kanzler und erklär es ihm, du kennst dich in der Verfassung aus. Dann gab es ein Vier-Augen-Gespräch mit Helmut Kohl – und wir waren uns einig.“
Auftragsoper für König Kohl
Überhaupt Kohl. Immer wieder holt Wolfgang Bötsch, in der barocken Lebensart dem Pfälzer nicht unähnlich, den Bundeskanzler nach Unterfranken, wo dieser familiäre Wurzeln hat. Die beiden verstehen sich gut, sie gelten als enge Vertraute, als Kohl am 21. Januar 1993 Bötsch zum Bundesminister für Post und Telekommunikation beruft. Erstmals wird ein Unterfranke Bundesminister. Und dieser hat eine historische Aufgabe: die Privatisierung der Post.

So wie „Aida“ für Guiseppe Verdi eine Auftragsarbeit des ägyptischen Großwezirs zur Eröffnung des Suez-Kanals war, sei die Postreform seine „Auftragsoper“ für „König Kohl“ gewesen, witzelt der Klassik-Freund später einmal. Den Auftrag erledigt der Minister aus Franken jedenfalls sehr souverän, was auch politische Gegner bestätigen. Am 31. Dezember 1997 ist das Postministerium Geschichte – und Wolfgang Bötsch wieder normaler Abgeordneter, bis er sich 2005 ganz aus der aktiven Politik verabschiedet.
Na ja, so ganz gelingt ihm, dem lebenden Zeitgeschichte-Lexikon, das nicht. Im Würzburger CSU-Kreisverband, dem er von 1973 bis 1991 vorstand, mischt er sich weiter ein – wenigstens hinter den Kulissen. Dabei haben sich seine Erfolge in der Heimat in Grenzen gehalten. Als größten Nackenschlag beschreibt er immer wieder die Niederlage seiner langjährigen politischen Weggefährtin Barbara Stamm bei der Würzburger Oberbürgermeisterwahl im Jahr 1990.
Als es die damalige Sozialstaatssekretärin als CSU-Kandidatin nicht einmal in die Stichwahl schafft, habe er, so erzählt Wolfgang Bötsch später, „ein einziges Mal SPD gewählt“, und zwar seinen langjährigen Bundestagskollegen Walter Kolbow.
Schicki-Micki war nicht sein Ding
Wer wollte, konnte bis zuletzt von Bötsch fränkisch-derbe Urteile über andere Politiker hören, auch aus der Union. Auch mit Journalisten, die ihn allzu sehr bedrängten, etwa mit kritischen Fragen zu Beratertätigkeiten, ging er nicht immer zimperlich um. Gleichzeitig war er ein blendender, witziger Anekdotenerzähler, einer, der über sich selbst ebenso lachen konnte wie über manche Auswüchse des politischen Tagesgeschäfts. Schicki-Micki und Selbstbeweihräucherung mochte er nicht, aber die Anerkennung fürs eigene politische Lebenswerk, die war ihm schon wichtig.
Den politischen Ruhestand verbrachte der zweifache Vater – Tochter Christine führt die CSU-Stadtratsfraktion im Würzburger Rathaus – mit seiner Frau Heidi bei klassischen Konzerten (zwölf Jahre war der Bruckner-Fan Schirmherr des Würzburger Mozartfestes) oder beim Fußball. Länderspiele der Nationalmannschaft besuchte der Polit-Rentner Bötsch ebenso gerne wie die Spiele der Würzburger Kickers. Die erste Zweitliga-Saison nach 40 Jahren konnte er krankheitsbedingt nicht mehr im Stadion verfolgen. Mitgefiebert mit den Kickers hat Wolfgang Bötsch, erzählen seine Freunde, gleichwohl.