Frau Kaniber, im kommenden Jahr sinkt die Mehrwertsteuer im Gasthaus auf sieben Prozent. Freuen Sie sich schon darauf, beim Restaurantbesuch zu sparen?
KANIBER: Als Wirtstochter freue ich mich immer auf einen Besuch im Gasthaus. Wir haben als Regierung nicht aus Jux die Steuern gesenkt, sondern weil die Gastronomie am Limit ist. Die Löhne sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen, die Waren ebenso. Und dann sind da noch die dramatisch gestiegenen Energiepreise. Das alles nach den ohnehin schwierigen Corona-Jahren. Viele Wirtinnen und Wirte mussten aufgeben oder zumindest Investitionen aufschieben. Laut dem Hotel- und Gaststättenverband hatten 84 Prozent der bayerischen Betriebe vor, ihre Häuser zu modernisieren, doch die Unsicherheit war zu groß. Darum war es für uns ein Muss, die Mehrwertsteuer zu reduzieren: Das ist kein Geschenk, sondern ein Stück Entlastung und Rückenwind. Damit die Wirte durchatmen, investieren und wieder Mut fassen können.
Die Wirte wissen sich doch schon jetzt selbst zu helfen und langen bei den Preisen kräftig zu. Statistiken zufolge sind Hauptgerichte in den vergangenen fünf Jahren um 34 Prozent teurer geworden. Warum also jetzt auch noch staatliche Hilfe?
KANIBER: Weil sie sonst untergehen würden! Wir dürfen nicht so tun, als ginge es hier um Luxus. Das Wirtshaus ist ein sozialer Raum. Da treffen sich Menschen, da werden Feste gefeiert, da findet Kultur statt, es werden Stammtische gepflegt und Geschichten erzählt. Wenn wir diese Orte verlieren, dann verlieren wir mehr als nur die Wirtschaft. Ich sage immer: Stirbt der Bauer, stirbt das Land – aber stirbt das Wirtshaus, stirbt das Dorf. Und dann verschwindet auch das, was Bayern zusammenhält: die Gemeinschaft, das Miteinander. Deshalb müssen wir die Gastronomie stützen
– und mit ihr auch alle, die davon leben. Wenn das Wirtshaus schwächelt, trifft es den Bäcker, den Metzger, den Landwirt. Das gilt übrigens nicht nur für Bayern, sondern für ganz Deutschland.
Ihr Beruf bringt es mit sich, dass Sie viel auswärts essen. Schauen Sie auf die Herkunft der Produkte?
KANIBER: Ich bin fast täglich irgendwo in Bayern unterwegs und sehe, wie sich die Speisekarten verändern. Regionalität und Saisonalität sind keine Modewörter mehr. Der Gast erwartet zur Spargelzeit Spargel, zur Kürbiszeit Kürbis, im Herbst Karpfen – das ist gelebte Jahreszeit. Aber wenn ich dann lese: „Argentinisches Rindfleisch – besonders zart“, dann frage ich nach. Ganz ehrlich: Wenn ein Steak ein halbes Jahr um die Welt schippert, ist es vielleicht zart, aber sicher nicht nachhaltig. Wir haben hier beste Qualität, direkt vor der Haustür. Bayerisches Rindfleisch ist kein Klimakiller, ganz im Gegenteil, und das sagt selbst der Ehrenvorsitzende des Bund Naturschutz. Regionale Erzeugung ist der bessere Weg. Es kann doch keiner von Nachhaltigkeit reden, wenn am Ende doch der Container aus Übersee kommt.
Beim Thema Klima und Nachhaltigkeit geht es auch um die Frage biologischen Anbaus. Bayern wollte bis zum Jahr 2030 sage und schreibe 30 Prozent Biofläche erreichen, derzeit sind wir gerade mal bei 13 Prozent. Wie wollen Sie das noch schaffen?
KANIBER: Wir haben uns ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, können das aber nicht befehlen. Wir haben zum Glück keine Planwirtschaft. Aber wir haben schon viel erreicht: Heute gibt es mehr als 12.000 Biobetriebe in Bayern. Jeder dritte deutsche Biobauer kommt aus Bayern. Und die erhalten ein Drittel der gesamten Fördermittel aus dem Kulturlandschaftsprogramm. Das ist enorm. Aber Bio funktioniert nur, wenn es gekauft wird. Wir Politiker können Anreize schaffen, aber ich kann mich nicht mit der Peitsche an die Supermarktkasse stellen. Am Ende entscheidet der Verbraucher. Ich sage immer: Am Regal endet die Moral. Beim Bienen-Volksbegehren haben viele unterschrieben – aber kaufen dann nach anderen Kriterien. Ich kann die Bauern nicht zwingen, auf Bio umzustellen, wenn sie ihre Produkte danach zum konventionellen Preis verkaufen müssen. Das würde sie ruinieren und wir verlieren noch mehr Höfe.
Andersherum betrachtet: Ist es überhaupt Aufgabe der Politik, Bauern vom Umstieg auf Bio zu überzeugen?
KANIBER: Wir wollen Wege eröffnen. Unsere 34 Ökomodellregionen zeigen, wie das funktioniert: Da erzeugt der Landwirt biologische Produkte, eine Mühle verarbeitet das Getreide, eine Brauerei braut damit Bier. So entstehen Wertschöpfungsketten, die in der Region bleiben. Damit das aufgeht, brauchen wir stabile Absatzmärkte – etwa über Kantinen. Allein in bayerischen Kantinen werden täglich 1,8 Millionen Mittagessen serviert. Wenn dort regional und ökologisch gekocht wird, verändert das den Markt. Deshalb gehen die staatlichen Kantinen mit regionalen und ökologischen Produkten als Vorbild voran. Viele liegen schon bei über 80 Prozent. Das ist die leise Revolution, die nicht auf Plakaten stattfindet, sondern auf den Tellern.
Der neue Bundeslandwirtschaftsminister, Alois Rainer, ist ja wie Sie von der CSU. Gemeinsam haben Sie bereits einen Neustart für die Landwirtschaftspolitik ausgerufen. Was heißt das konkret?
KANIBER: Drei Jahre lang wurden die Landwirte von der Ampel mit neuen Vorschriften und mit Misstrauen überzogen – von der Düngung bis zur Tierhaltung. Jetzt drehen wir das um: Wir wollen Freiräume schaffen, Vertrauen zurückgewinnen. Bayern hat mit den anderen Ländern 194 konkrete Vorschläge zur Entbürokratisierung gemacht. Alois Rainer nimmt das ernst – die Stoffstrombilanz ist abgeschafft, weitere Schritte folgen. Entscheidend ist: Wer heute einen Stall baut, muss sich darauf verlassen können, dass die Regeln in zwei Jahren nicht wieder geändert werden. Wir fordern 20 Jahre Bestandsschutz. Ohne Planungs- und Rechtssicherheit investiert niemand. Das ist vielleicht der größte Unterschied unserer Landwirtschaftspolitik zu derjenigen der Ampel. Und wer regionale Lebensmittel will, muss auch regionale Landwirtschaft zulassen – inklusive Ställe und Biogasanlagen.
Das sagt sich immer so einfach. Zur Wahrheit gehört ja, dass gerade solche Anlagen in Stadt- oder Dorfnähe immer wieder für Streit sorgen. Wollen Sie die Gesetze ändern?
KANIBER: Ich frage da: Was wollen wir eigentlich? Alle rufen nach Ökostrom, aber wenn das Windrad gebaut werden soll, schreien alle „nicht bei mir!“ Genauso beim Fleisch. Wollen wir das Schwein aus dem 26-stöckigen Stall in China – oder Rindfleisch, für das Regenwald in Südamerika abgeholzt wurde? Wir brauchen Erleichterungen beim Immissionsschutz. Denn wir müssen uns als Gesellschaft ehrlich machen: Wenn wir Versorgungssicherheit wollen, müssen wir Landwirtschaft hierzulande ermöglichen. Alles andere ist hoch riskant.
Zeichnen Sie da nicht ein etwas zu romantisches Bild von der heimischen Landwirtschaft? Immerhin machten zuletzt auch immer wieder Tierschutzskandale Schlagzeilen. Sie kennen die grausigen Schilderungen. Täuscht das oder häufen sich solche Vorgänge?
KANIBER: So schlimm solche Vorkommnisse sind: Es sind Einzelfälle. Und es ist wichtig, sich jeden dieser Einzelfälle genau anzuschauen. Viele dieser Fälle entstehen nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus persönlicher Not. Wenn der Sohn verunglückt, wenn Landwirte von Krankheit oder Depression getroffen werden, bricht oft alles zusammen. Da braucht es kein Anprangern, sondern Mitgefühl. Die Ämter kennen ihre Betriebe, sie wissen, wo Hilfe nötig ist. Wir haben die wichtigsten Anlaufstellen, speziell für landwirtschaftliche Betriebe zusammengestellt, darüber hinaus stehen die allgemeinen Krisendienste rund um die Uhr zur Verfügung. Gemeinsam mit unseren Partnern, dem Bauernverband, der Familienberatung und der Sozialversicherung arbeiten wir daran, dass diese wertvollen Angebote noch bekannter werden.
Sie setzen auf das sorgende Hinschauen, also darauf, dass die Dorfgemeinschaft schon Meldung machen wird. Glauben Sie wirklich, dass sich Nachbarn untereinander anschwärzen?
KANIBER: Darum geht es nicht. Ich wünsche mir mehr Hinschauen, bevor etwas eskaliert – das ist kein Denunziantentum. Hilfe anbieten, wenn ich merke, dass jemand Hilfe braucht. Wir müssen weg vom Fingerzeigen, hin zum fürsorgenden Blick. Denn klar ist: Wenn es den Tieren nicht gut geht, geht es auch den Bauern nicht gut.
Ihr Kabinettskollege Thorsten Glauber ist für den Tierschutz zuständig. Tut er genug?
KANIBER: Ja, wir arbeiten eng zusammen. Unser gemeinsames Ziel ist Prävention. Wir müssen früher ansetzen, um Tierleid zu vermeiden. Ein Beispiel: Wir arbeiten an einem System, das gesetzlich erhobene Tiergesundheitsdaten besser auswertet. Dabei setzen wir in der Beratung und in der Produktionstechnik auch auf die Digitalisierung: Heute tragen Kühe Sensoren am Bein, die melden, wie viel sie sich bewegen, wie viel sie fressen oder Milch geben. Die Landwirte haben viele Daten – und sie nutzen dieses Wissen immer besser.
Viele Verbraucher wünschen sich Tierhaltungskennzeichen, um beim Einkaufen bestimmte Haltungsformen gezielt unterstützen zu können. Wäre das nicht auch ein zusätzlicher Anreiz für Bauern, Tiere so gut wie möglich zu halten?
KANIBER: Der Verbraucher hat natürlich mehrere Wünsche. Er will hohe Standards, maximale Transparenz und das zu einem sehr günstigen Preis. Wir haben längst bewährte Siegel: „Geprüfte Qualität Bayern“ und „Bio Bayern“. Die sind bekannt und werden genutzt. Wenn wir alles doppelt und dreifach kennzeichnen, schafft das nur mehr Bürokratie und verwirrt am Ende die Verbraucher. Der Markt hat das bisher gut geregelt. Vor allem müssen wir eins vermeiden: Modelle, die nur deutsche Ware kennzeichnen, benachteiligen unsere Betriebe gegenüber Importen.
Viele Bauern, Sie sprachen es an, beklagen die Bürokratie, das führt zu Unmut. Als dann, vor knapp zwei Jahren noch die Streichung der Steuervorteile beim Agrardiesel hinzukommen sollte, kam es zu Protesten. Unser Eindruck ist – da steckt mehr dahinter, die Forderung der Bauern nach Respekt für ihre Arbeit, zum Beispiel.
KANIBER: Natürlich. Es ging um Respekt und Wertschätzung. Wenn man ständig und zu Unrecht als „Bodenvergifter“ oder „Tierquäler“ bezeichnet wird, trifft das hart. Viele Menschen haben keinen persönlichen Kontakt mehr zu Bauern und können nicht vollumfänglich abschätzen, was Landwirtschaft bedeutet. Wir leisten unseren Beitrag, um Landwirtschaft wieder zu erklären. Das ist nicht nur Landschaftspflege, das ist auch Biodiversität, aber vor allem Ernährungssicherung. Corona und der Ukraine-Krieg haben doch gezeigt, wie sehr wir unsere Bauern brauchen, wenn weltweite Lieferketten auf einmal zusammenbrechen. Plötzlich wurde allen klar, wie verletzlich unsere Versorgung ist. Das war ein Weckruf.
Sie gehören zu den wenigen Frauen in der bayerischen Landesregierung. Ihre Parteikollegin Ulrike Scharf fordert eine Frauenquote in der CSU. Unterstützen Sie sie?
KANIBER: Von Quoten habe ich noch nie viel gehalten – weder bei Milch noch bei Frauen (lacht). Ich habe drei erwachsene Töchter, die sagen mir: „Mama, wir wollen keine Quote, wir wollen Chancen.“ Natürlich ist es schwierig, Frauen für Politik zu gewinnen. Viele sind voll gefordert mit Familie, pflegen Angehörige, arbeiten Vollzeit. Da ist Politik oft das fünfte Rad am Wagen. Zwang ist nicht die Lösung. Eine Frau, die wirklich etwas will, lässt sich von niemandem aufhalten. Aber sie muss es selbst wollen – nicht, weil eine Quote sie auf eine Liste zwingt.
Sie selbst waren als Bundeslandwirtschaftsministerin im Gespräch. Wollten Sie den Job nicht oder warum hat das nicht geklappt?
KANIBER: Ich wollte nie nach Berlin. Ich bin in Bayern daheim, hier kann ich etwas bewegen. Wie Sie wissen, bin ich ein Gastarbeiterkind, ich weiß, wo meine Familie herkommt und welche Chancen sich uns hier eröffnet haben. Dass ich mit diesem Lebenslauf heute Landwirtschaftsministerin in diesem großartigen Land sein darf, das macht mich demütig und stolz. Es ist eine Ehre für all die Menschen in Bayern zu arbeiten und das mache ich mit ganzem Herzblut. Darum ist mein Platz hier im Freistaat.
Zur Person
Michaela Kaniber (48) ist seit 2013 Mitglied des Bayerischen Landtags und seit 2018 Landwirtschaftsministerin in der Bayerischen Staatsregierung. Die Eltern der CSU-Politikerin kamen Ende der 1960er Jahre aus dem damaligen Jugoslawien nach Bad Reichenhall, wo sie ein Gasthaus betreiben. Kaniber ist mit einem Polizeibeamten verheiratet. Das Ehepaar hat drei Töchter.
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