Herr Rützel, am Bürgergeld wird gerade viel Kritik geübt. Die sollen doch arbeiten gehen, ist ein oft geäußerter Vorwurf in diesem Zusammenhang. Was sagen Sie dazu?
BERND RÜTZEL: Die Zahl derer, die ergänzend zu ihrem Einkommen noch Bürgergeld beziehen, ist erstmals seit 2015 gestiegen, nämlich auf 826.000 Menschen. Die gehen auf die Arbeit, haben einen Job - oft einen Mini- oder Teilzeitjob – und trotzdem reicht das Geld nicht. Und deswegen holen sie sich zusätzlich Bürgergeld, damit sie über die Runden kommen. Das sind also 826.000 Bürgergeldbeziehende, die aber in Arbeit sind. Wohin will man diese Menschen denn noch hin vermitteln? Die arbeiten ja schon. Sie stehen an der Theke, sind im Hotelgewerbe, auf den Feldern, im Einzelhandel und vielen anderen Bereichen tätig.
Interview
Was einige offenbar verkennen: es gibt Menschen, für die ist Arbeit nicht nur eine Frage des "Geldes" sondern vor allem eine sinnstiftende Bereicherung des Lebens, die Struktur, Teilhabe, Selbstwert, Identifikation bietet. Das ganze "Aufrechnenwollen" ist doch unterkomplex.....Arbeitgeber verstehen das im übrigen auch oft nicht, das ist das Problem!
Das sind oft gewohnheitsmäßige "Arbeitstiere", die gerne das tun was ihnen gesagt wird, oder die gerne ein paar weitere Arbeitsbienen unter sich herumkommandieren, sonst aber keine weitergehenden Interessen kennen. Paul Lafargue - der Schwiegersohn von Karl Marx - kritisierte schon 1883 in seinem Werk "Das Recht auf Faulheit" diese kleinbürgerlich-verkniffene "Arbeitsmoral" und sah sie schon fast als eine Art Sklavenmoral, die den Menschen in seiner höheren geistigen Entwicklung hemmt und ihn nur zu einem kleinen, brav funktionierenden Rädchen im Getriebe der kapitalistischen Arbeitswelt herabstuft.
Sorry, aber das ist ein widerwärtiges bizarres Menschenbild, das nun absolut gar nichts mit dem zu tun hat, wovon ich rede: bspw. die Arbeit im sozialen Bereich, die darin besteht, seine eigenen Fähigkeiten zugunsten von Menschen einzusetzen, die diese Fähigkeiten nicht haben und so Bindungen und ein soziales Umfeld zu schaffen, von dem alle profitieren.
Ich engagiere mich unentgeltlich im sozialen Bereich. Im harten Arbeitsalltag der mitunter fragwürdigen Sozialindustrie möchte ich aber auch für viel Geld nicht tätig sein. Daher habe ich Verständnis für die Menschen, die solchen - zwar bezahlten und sicher auch gesellschaftlich sehr wertvollen Tätigkeiten - aus dem Weg gehen. Das Bürgergeld bietet die Möglichkeit solche Anstellungen, die gewiss nicht erfüllend für die Ausführenden, aber höchstproftabel für die Schwarzen Schafe unter den Anbietern sind zu vermeiden. Wer Freude an seiner Arbeit hat, soll sie gerne genießen. Wer aber nur unter Zwang und Druck und mit Widerwillen arbeitet darf auch nach Wegen suchen dem zu entfliehen. Es wäre welt- und lebensfremd, anzunehmen Menschen würden die Möglichkeiten nicht nutzen, die ihnen die derzeitigen sozialrechtlichen Rahmenbedingungen bieten.
Die Bürgergeld Bezieher nutzen den Spielraum aus, denen ihnen der Staat lässt. Das System ist doof, nicht die Bürgergeld Bezieher. Vergleich zweier Familien. Familie A und B. Jeweils 2 Erwachsene und 2 kinder 10 Jahre. Bei Familie A arbeiten beide Erwachsene 40 Wochen Stunden zum Mindestlohn von 12,85 Euro. Bei Familie B arbeitet nur 1 Erwachsener (450 euro job). Die Familie A wo beide Erwachsene arbeiten hat monatlich 3740 euro , d.h. nur 280 Euro mehr Einkommen als Familie B. Ist der Groschen gefallen? Jetzt weiss man warum Bäcker, Metzger, Friseure keine Arbeitskräfte finden. Vollzeit Arbeit zum Mindestlohn Lohnt sich nicht.
Man muss dann auch noch die Aufwendungen (Fahrtkosten, Kinderbetreuung, etc.) berücksichtigen, die der arbeitenden Familie entstehen um zu dem Schluss zu kommen, dass Arbeit sich für sie nicht lohnt. Selbst für Alleinstehende in Steuerklasse I, die nahezu die Hälfte ihres Bruttogehalts für Steuern und Sozialabgaben abgeben müssen ist Arbeit bisweilen ein Draufzahlgeschäft. Wer also nüchtern und ohne altbackene "Held-der-Arbeit"-Allüren rechnet, vertut immer öfter seine Zeit nicht mit unwirtschaftlichem Aktionismus für andere, sondern denkt mehr an sich selbst.
Könnten Sie bitte die Quelle für Ihr Beispiel nennen.
Draufzahlgeschäft? Ganz so schlimm ist es nicht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) berechnete für diesen Fall, dass der Vollzeit-Arbeitnehmer (38-Stunden-Woche) 1.515 Euro verfügbares Einkommen hat, der Bürgergeld-Empfänger 990 Euro. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung berechnete Werte, die sich nur um wenige Euro unterscheiden. Forscher vom ifo-Institut errechneten, dass der Arbeitnehmer 348 Euro mehr nach Abzug aller Abgaben, Miete und Heizkosten hat. https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/faktenfuchs-buergergeld-oder-mindestlohn-welcher-haushalt-hat-mehr-geld,UaiOaBE Aber es stimmt schon, der Staat könnte die Steuerlast für Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich um einiges verringern,
Das heißt also, für läppische 348 Euro soll man einen ganzen Monat lang arbeiten, Fahrzeiten und Arbeitsstress auf sich nehmen und sich Möglichkeiten für kreative Nebenverdienste entgehen lassen? Das empfindet nicht jeder als ein tolles Geschäft.
Natürlich sind diese Menschen nicht alle faul. Aber viele kiönnen halt auch rechnen und wirtschaftlich denken und merken schnell, dass sich arbeiten für sie nicht lohnt.
Friedrich Merz: „Wir werden dieses System Bürgergeld vom Kopf auf die Füße stellen. Da werden sich zweistellige Milliardenbeträge einsparen lassen" https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/cdu-chef-merz-will-entlastungen-mit-einsparungen-beim-buergergeld-finanzieren-01/100094974.html Hat uns der Bundeskanzler schon wieder angelogen? Oder hat er nur die Einsparungen für die nächsten 10 Jahre zusammengefasst?
Ich schätze - @ Dietmar Eberth - er wollte uns darauf vorbereiten, dass er Elon Musk nach Deutschland holen will, um ein DOGE zu gründen, was am Ende mehr Geld kostet (auch durch angerichteten Schaden...) als dadurch eingespart wird.
Also beim Bürgergeld lassen sich eine bis anderthalb Milliarden Euro sparen. Das ist doch sicher Musik in den Ohren der Cum-Cum- und Cum-Ex-Betrüger, denen man das ja dann von der Schadenssumme in Höhe von (mind.) knapp 40 Milliarden abziehen kann, oder (vorausgesetzt die Banken dürfen die Unterlagen nicht doch noch durch den Shredder jagen)? Wenn schon über kriminelle Energie diskutiert werden soll, dann bitte auch richtig!
Ja wie jetzt? Der Haushalt lässt sich doch nicht dadurch sanieren, dass man die faulen "Taugenichtse" im Bürgergeld "an den Ohren zieht"....? Dabei hat doch die CDU genau das vor der Wahl "versprochen" und der kleine Linnemann glaubt das offenbar immer noch.
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