Einen beeindruckenden Vortrag des CHW Oberfranken über heimische Geschichte verfolgten online über 200 Teilnehmer. „Jüdische Gemeinden in der Region am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme“, lautete das Thema des Historikers Christian Porzelt.
Bei seinem Vortrag stand unter anderem der Berliner Arzt Wilhelm Nussbaum (1896 bis 1985) und dessen Aufzeichnungen aus der Zeit vor 1935 im Mittelpunkt. Dabei gab es Einblicke in die Grausamkeit der nationalsozialistischer Menschenanschauung.
Nussbaums Forschungsarbeit stellt nicht nur ein bisher wenig beachtetes Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte dar, zugleich bieten seine Unterlagen auch eine Momentaufnahme jüdischen Lebens, das wenige Jahre später komplett zerstört werden sollte. So die Existenz der Familie Hellmann in Altenkunstadt, die in Konzentrationslagern endete.
Wie die Nationalsozialisten Existenzen vernichteten
Der jüdische Kaufmann Karl Hellmann, der mit Ölen, Fetten und Schmiere handelte und seine Familie waren unbescholtene Bürgerinnen und Bürger. Karl Hellmann wurde 1938 zur Aufgabe seines Geschäftes gezwungen. Über Leipzig und Berlin wurde die Familie 1943 nach Ausschwitz und Theresienstadt gebracht, wo sie in den Gaskammern ermordet wurde. Nur ihrem Sohn Siegfried, genannt Fritz, gelang die Flucht ins damalige Palästina. Dies geht aus den Recherchen von Nussbaum und weiterer schriftlicher Dokumente aus dieser Zeit hervor.
Wilhelm Nussbaum hatte um 1930 erstmals zu den israelitischen Kultusgemeinden Altenkunstadt und Burgkunstadt Kontakt. Sein Ziel war es, in den beiden letzten jüdischen Gemeinden am Obermain Probanden für seine anthropologischen und medizinischen Forschungen zu finden.
Eugenik stieß auf großes öffentliches Interesse
„Familien, die bereits um das Jahr 1800 in Deutschland ansässig gewesen sind, wurden gebeten, sich bei der Arbeitsgemeinschaft für jüdische Erbforschung und Erbpflege zu melden. Diese Meldungen sind im Interesse der wissenschaftlichen Erforschung des deutschen Judentums dringend erforderlich hieß es dabei. Dies war bis hier her nichts Ungewöhnliches. Die Beschäftigung mit Erbgesundheit war ein internationales Phänomen und Fragen der Eugenik stießen seit Ende des 19. Jahrhunderts auf breites öffentliches Interesse“, so der Referent.
Bereits in seinem Studium hatte sich Nussbaum eingehend mit Rassenkunde und Fragen der Erbgesundheit beschäftigt. Mit dem Ziel, die von den Nationalsozialisten propagierte Rassentheorie zu wiederlegen, gründete der jüdische Wissenschaftler 1933 die „Arbeitsgemeinschaft für Jüdische Erbforschung und Erbpflege”. Gar konnte er im Weiteren die Unterstützung etlicher jüdischer Institutionen und Repräsentanten gewinnen. Ironischer weise wurde das Projekt aber auch von der neuen nationalsozialistischen Regierung offiziell bewilligt. Diese erhoffte sich von den Forschungen Nussbaums allerdings genau das Gegenteil, nämlich Resultate, die ihrer eigenen Rassentheorie bestätigen würden.
Zu den 1100 untersuchten Juden in und um Berlin zählten zunächst Berliner und aus Osteuropa stammende Familien. Mit einem Team von Medizinstudenen erhob Nussbaum deren Daten. 1934 kam Nussbaum auch an den Obermain, um in Altenkunstadt und Burgkunstadt Untersuchungen durchzuführen. Dort glaubte er körperliche und mentale Eigenheiten von Juden in besonders ursprünglicher Form anzutreffen, da viele Familien seit Jahrhunderten in diesen Orten ansässig waren.
Von sechs Haushalten und ihrer Bewohner in Altenkunstadt und sieben Haushalten in Burgkunstadt erhob der Wissenschaftler in der Folge Daten wie Körpergröße, Augen- und Haarfarbe, Kopfumfang und Form der Nase. Von einem Teil seiner Probanden fertigten Nussbaum und sein Team zusätzlich Porträtaufnahmen an. Hinzu kam ein umfangreicher Familienfragebogen, der über eventuelle Erbkrankheiten und den Verwandtschaftsgrad der einzelnen Probanden Aufschluss geben sollte.
Zahlreiche Personen untersucht

Nussbaum untersuchte in den beiden Gemeinden insgesamt 46 Personen im Alter zwischen zwei und 72 Jahren. In Altenkunstadt stammte diese aus den Familien Hellmann, Wolf, Nordhäuser, Schuster, Lauer und Maier. Für Burgkunstadt sind die Namen der Familien Kraus und Bannemann überliefert. Während des Besuchs in Altenkunstadt und Burgkunstadt fertigte der Wissenschaftler außerdem eine Reihe von kleinformatigen Amateuraufnahmen an. Diese dokumentieren die Beiden damals noch existierenden Synagogengebäude sowie den jüdischen Friedhof am nahe gelegenen Ebnether Berg. Zu den fotografisch dokumentierten Objekten gehörten auch Ritualgegenstände aus den Synagogen in Altenkunstadt und Burgkunstadt.
Eine kleine Sensation stellen drei Innenaufnahmen des Raums in Altenkunstadt dar. Wie viele Landsynagogen war der Bau auf dem ersten Blick kaum als jüdisches Gotteshaus zu erkennen gewesen erklärte Christian Porzelt. Jüdische Gemeinden kämpften gegen die Abwanderung ihrer Mitglieder seit dem Jahr 1920. In Burgkunstadt waren 1933 nur noch 59 Menschen jüdischen Glaubens in Altenkunstadt nur 30 verzeichnet.
Zahlreiche kleinere Gemeinden waren durch den Rückgang der jüdischen Einwohner bereits aufgelöst worden. Während die Gemeinden in Großstädte wie Nürnberg oder München von dieser Entwicklung profitierten, wurde der Großteil der Landgemeinden bis um 1900 aufgelöst.
Auf dem Gebiet des damaligen Bezirksamts Lichtenfels betraf dies die Gemeinden Fassoldshof, Maineck, Horb, Weidnitz und Mistelfeld. Im benachbarten Bezirksamt Kronach waren es Mitwitz (1883), Küps (1900) und Friesen (1902). 1921 wurde schließlich auch die Redwitzer Gemeinde mit der Kultusgemeinde Burgkunstadt vereinigt. Wenige Jahre später kam es zur Auflösung der Gemeinde in Oberlangenstadt.
Die hier noch lebenden jüdischen Einwohner wurden der Gemeinde Lichtenfels zugeteilt. Die Synagoge aus dem 18. Jahrhundert wurde zum Turnlokal umgestaltet, nachdem das Gebäude an den örtlichen Turnverein verkauft worden war. Die ehemalige Synagoge in Friesen bei Kronach erwarb dagegen die politische Gemeinde und richtete in den Räumlichkeiten eine Schule ein.
Im Alltagsleben fest integriert

Ein weiteres Problem stellte die zunehmende Überalterung dar. Grund hierfür waren neben der Abwanderung die durchweg geringen Geburtenraten. In Kronach war kaum ein Gemeindemitglied unter 50 Jahren. Ein ähnliches Bild ergibt sich für Altenkunstadt, wo der Altersdurchschnitt der von Wilhelm Nussbaum untersuchten Probanden bei 41 Jahren lag. Nur drei der von ihm untersuchten Personen waren Kinder. Trotz der geringen Anzahl jüdische Mitbürger waren diese im wirtschaftlichen Bereich und im Alltagsleben integriert. Jüdische Textil- und Bekleidungsgeschäfte, aber auch der Viehhandel sowie die Schuhproduktion von „Pretzfelder und Rixinger“ in Burgkunstadt oder May in Kronach waren von Bedeutung.
Auch im Vereinsleben hatten viele einen festen Platz. Ein Beispiel dafür war Julius Obermaier aus Kronach. Er war Arbeitgeber, Vorsitzender des örtlichen Zimmerstutzen-Vereins und großzügiger Mäzen des Kirchenbaus von Haig. Trotzdem stieß seine Einladung zur Einweihungsfeier der Kirche manchen negativ auf, und es kam deshalb zu einem öffentlich ausgetragenen Streit in der Lokalpresse. Schon in den 1920-er Jahren ist also schon mit der antisemitischen Propaganda begonnen worden.
Ähnliche Vorkommnisse wie eine Saalschlacht in der Brauerei Koch folgten später. Angeblich sollte der jüdische Arzt Simon Bamberger diese angezettelt haben. Fakt ist, SA-Männer verwüsteten sein Haus als er bei Ankunft dieser nicht daheim war und gingen brutal gegen dessen Schwester Ida vor.
Politische Veränderungen zeigen schnell Wirkung

Bis 1933 hatten derartige Geschehnisse unmittelbare Auswirkungen und zeigen mit heutiger Sicht wie schnell die politischen Veränderungen auf das Alltagsleben vieler Menschen übergriffen. Bereits Anfang März 1933 erfolgten die ersten Festnahmen und Misshandlungen jüdischer Mitbürger und der Boykott ihrer Geschäfte mit schlimmsten Parolen.
Wilhelm Nussbaum der seine Arbeiten völlig anders gemeint hatte glückte die Auswanderung in die USA. Glücklicherweise früh genug, um seine umfangreiche Datensammlung in die Emigration retten zu können.