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BURGKUNSTADT: Einquartierungen in jedem Haus

BURGKUNSTADT

Einquartierungen in jedem Haus

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    Versorgung: Der ehemalige Gutshof von Regens Wagner wurde jüngst für den Bau eines Pflegeheims abgerissen. In den Nachkriegsjahren sicherte der die Versorgung des St. Josefsheims und vieler Flüchtlinge.
    Versorgung: Der ehemalige Gutshof von Regens Wagner wurde jüngst für den Bau eines Pflegeheims abgerissen. In den Nachkriegsjahren sicherte der die Versorgung des St. Josefsheims und vieler Flüchtlinge. Foto: red

    Die Bilder der Flüchtlinge, die in Europa Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, erinnern viele ältere Bürger an die Folgen des Zweiten Weltkriegs, der am 1. September 1939 mit dem deutschen Angriff auf Polen begann und nach unsäglichem Leid am 2. September 1945 mit der Kapitulation Japans endete. Zwölf bis vierzehn Millionen Deutsche aus Mittel- und Osteuropa mussten ihre Heimat verlassen und suchten eine Zuflucht. Auch in Burgkunstadt kamen schon während des Krieges viele Flüchtlinge an und mussten untergebracht werden. Der große Unterschied zur heutigen Situation: Damals herrschte in der Region Wohnungsmangel und die Versorgung mit Nahrungsmitteln war in den vom Krieg gebeutelten Kommunen schwierig.

    In der Chronik „Borkuschter Mosaik“ geht der Buchautor Rudi Fetzer auf diese Zeit ein: „Der Flüchtlingsstrom ließ auch nach Kriegsende nicht nach, im Gegenteil – er verstärkte sich noch. Die Flüchtlinge, die nach Burgkunstadt kamen, – insgesamt rund 900 Menschen – stammten vor allem aus Schlesien und dem Sudetengebiet. Jedes Haus erhielt eine oder mehrere Familien zur Einquartierung zugeteilt. Eng zusammengepresst auf ein oder zwei Zimmer musste man miteinander auskommen. Alle, Einheimische und Flüchtlinge, bemühten sich, diese Zwangssituation einigermaßen erträglich zu gestalten. Für die Vertriebenen war das Organisieren von Nahrungsmitteln zunächst das größere Problem. Hier half die Bevölkerung, wo sie nur konnte, und teilte ihre Vorräte auch mit den Flüchtlingen.

    Verpflegung in St. Josefsanstalt

    Eine wesentliche Hilfe kam dabei von der St. Josefsanstalt, was folgende Zahlen belegen: Vom Juli 1945 bis zum Dezember 1945 gaben die Schwestern 3174 Mittag- und 2256 Abendessen an Flüchtlinge und durchziehende deutsche Soldaten aus. Dazu kamen 3179 Verpflegungstage für die direkt in der St. Josefsanstalt untergebrachten Flüchtlinge aus Schlesien.

    Die St. Josefanstalt wurde in den Kriegsjahren von staatlicher Seite verwaltet und durfte seit 1942 ihren Namen nicht mehr führen, sie galt faktisch als aufgelöst. Ab dem 4. Juni 1945 konnten die Schwestern das Haus wieder übernehmen und sie bemühten sich in der Folgezeit nicht nur segensreich um die Versorgung der Flüchtlinge, sondern auch sehr erfolgreich um die Wiederaufnahme ihrer Bemühungen zum Wohl von Behinderten. Am 8. November 1945 verhandelte die Schwester Oberin mit dem US-Kommandanten für den Landkreis Lichtenfels, Major Case. Danach wurde die St. Josefsanstalt wieder in ihren alten Rechtszustand eingesetzt, unter dem neuen Namen St. Josefsheim öffnete es 1946 seine Pforten wieder für behinderte Menschen. Es durfte aber nur zur Hälfte mit Behinderten belegt werden, die andere Hälfte war für versorgungsbedürftige Flüchtlingsfrauen reserviert.

    „Wer hatte damals gedacht, dass die Flüchtlinge so lange bleiben würden? Wir müssen also mit ihnen den Wohnraum teilen, ähnlich wie wir die Lebensmittel teilen und an das, was wir vordem einmal gehabt haben, dürfen wir endgültig nicht mehr denken.“

    Appell des Kreiswohnungsamts Lichtenfels von 1946

    Die Versorgung der vielen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen mit Wohnraum erwies sich für die Stadtverwaltung als große Aufgabe. Und dieses Problem erschien fast unlösbar, denn der Zuzug der Flüchtlinge nahm kein Ende. War von 1939 bis 1946 die Einwohnerzahl bereits um rund 900 Bürger gestiegen, so nahm sie in den folgenden vier Jahren nochmals um rund 340 zu. Die Vertriebenen hatten 1950 einen Bevölkerungsanteil von 23 Prozent. Um einen Überblick über den Bevölkerungsstand im Nachkriegsdeutschland zu erhalten, wurde am 30.10.1946 eine Volkszählung vorgenommen.

    Im Jahr 1946 gab es auch in Burgkunstadt unter den Flüchtlingen viele, die nur notdürftig untergebracht waren. So appellierte das Kreiswohnungsamt Lichtenfels auch an die Burgkunstadter Bürger in einem Schreiben: „Denken Sie bitte nicht, dass die ausgesprochene Beschlagnahme (von Wohnraum bei einzelnen Bürgern) eine Willkür vom Wohnungsamt ist. Im Gegenteil – immer noch treffen weitere Flüchtlinge aus den Lagern ein, außerdem sitzen viele, viele Flüchtlingsfamilien in unmöglichen Quartieren! Wer hatte damals gedacht, dass die Flüchtlinge so lange bleiben würden? Wir müssen also mit ihnen den Wohnraum teilen, ähnlich wie wir die Lebensmittel teilen und an das, was wir vordem einmal gehabt haben, dürfen wir endgültig nicht mehr denken.

    Ein Zusammenrücken aller ist dringend notwendig. Was bisher diesbezüglich geschah, war zu wenig, viel zu wenig. Jede Zusammenlegung, die halbwegs vertretbar ist, muss jetzt gefordert werden, weil leere Räume nirgends mehr zu finden sind. Das Wort 'unmögliche Zumutung', 'unbilliges Verlangen' usw. darf so lange nicht gebraucht werden, als bekannt ist, dass heute noch 5 bis 6 erwachsene Flüchtlinge, beiderlei Geschlechts, in 1 Raum wohnen und schlafen müssen!

    Zeigen Sie sich, bitte, als ein Mensch mit Verständnis und helfen Sie jemand glücklich zu machen, der schon monatelang beim Wohnungsamt um eine bessere Unterkunft bittet. Verzichten Sie aus christlicher Nächstenliebe auf Einwände. Nehmen Sie die einzuweisenden Personen in Güte und wohlwollender Freundlichkeit auf.

    Kreiswohnungsamt Lichtenfels“

    Die rechtliche Basis für die Beschlagnahme von privatem Wohnraum zur Unterbringung von Flüchtlingen bildete die ‘Beschlagnahmeverfügung‘ welche das Kreiswohnungsamt ausstellte. Diese berief sich auf das ‘Wohnungsgesetz Nr. 18 des Alliierten Kontrollrates Artikel VII‘, das ihm erlaubte ‘überschüssigen Wohnraum einer unterbelegten Wohnung zu erfassen‘. Dabei galt: „Unterbelegt ist nach dieser Verordnung eine Wohnung, wenn der Inhaber mehr als den zur Führung seines Haushaltes notwendigen Raum inne hat“.

    Welche Dimension diese Wohnraumnot hatte, kann sich heute keiner mehr vorstellen. Anfangs wohl überall zähneknirschend wurden die Flüchtlinge aufgenommen. Gefragt wurde niemand, das Wohnraumproblem wurde von Amts wegen gelöst, die Flüchtlinge wurden zugeteilt.

    „Fremde Menschen im Haus“

    Weiter in der Fetzer-Chronik: „Diese Vorgehensweise schaffte Spannungen und Unzufriedenheit in der einheimischen Bevölkerung. Hinzu kam, dass kein Burgkunstadter wissen konnte, wie viele Jahre lang er diese ‘fremden Menschen‘ in seinem Haus dulden musste, wobei oft die beschlagnahmten Zimmer nicht deutlich abgrenzbar waren. Auch musste man häufig die Küche und das Klo gemeinsam nutzen. Aber auch für die aus ihrer Heimat Vertriebenen war diese Art der Wohnungsbeschaffung unangenehm und demütigend. Die sehr schwierige Situation der Flüchtlinge führte auch dazu, dass beispielsweise der Lehrer Göhl am 12.12.1946 in seiner 3. Klasse das Unterrichtsthema ‘Not und Elend der Flüchtlinge‘ behandelte. Die Not zwang aber auch die Menschen, aufeinander zuzugehen, zumal alle Leidtragende waren. So kam es nach Anlaufschwierigkeiten doch noch zu einem verträglichen Miteinander von Einheimischen und ‘Neubürgern‘.“

    Stadtchronik

    Eine etwas andere Stadtgeschichte nennt Rudi Fetzer seine 2009 veröffentlichte Chronik Burgkunstadts. Anschaulich schildert er die Entwicklung von den ersten historischen Belegen und Funden bis zur Gegenwart. Dabei vermittelt er viel Lokalkolorit und erwähnt auch heimische Sagen und Legenden. Die Chronik ist im Rathaus (Stadtkasse) erhältlich.

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