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BOJENDORF: Die für die Toten spricht

BOJENDORF

Die für die Toten spricht

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    Auf Beerdigungen darf auch gelacht werden: Davon ist Sascha Wagner überzeugt. Die 52-Jährige arbeitet unter anderem als Trauerrednerin. Privat entspannt sie auf langen Spaziergängen mit ihren Hunden.
    Auf Beerdigungen darf auch gelacht werden: Davon ist Sascha Wagner überzeugt. Die 52-Jährige arbeitet unter anderem als Trauerrednerin. Privat entspannt sie auf langen Spaziergängen mit ihren Hunden. Foto: Annette Körber

    Es gibt Momente, da bekommt auch die Rednerin Gänsehaut. Als ein Freund des Verstorbenen die Gitarre nimmt und beim frisch ausgehobenen Grab eigene Kompositionen zum Besten gibt, zum Beispiel. Vorausgegangen war eine Beerdigung mit Musik von „AC/DC“ und Jimi Hendrix. „Der Tote war so ein Altrocker mit langen Haaren und Jeansweste. Da passt halt einfach kein ,Ave Maria‘“, erklärt Sascha Wagner.

    Die 52-Jährige arbeitet als Trauerrednerin, unter anderem. Für diejenigen, die kein kirchliches Begräbnis wollen. Und sie legt Wert darauf, die jeweilige Beerdigung persönlich zu gestalten. Dazu gehört die Musik genauso wie Abschiedsrituale. „Es ist einzigartig, wenn jemand stirbt, genauso, wie wenn jemand geboren wird. Dem will ich Rechnung tragen.“

    Sascha Wagners eigentliches Medium aber ist das Wort. 20, 30 Minuten – mehr hat sie nicht, um darzustellen, was der Verstorbene für ein Mensch war, um seine Lebensgeschichte zusammenzufassen. Über die Toten nur Gutes: nicht mit Sascha Wagner. „Mir gelingt es immer, den Leuten klar zu machen, wir wollen keine Ikone schaffen. Jeder ist geprägt von seiner Zeit, seinem Lebenslauf, jeder hat seine Ecken und Kanten. Es ist meine Aufgabe zu zeigen, das gehört dazu – so war er halt.“

    Damit hat sie auch schon manchem Trauernden den Weg bereitet, sich mit dem Toten auszusöhnen. Die 52-Jährige denkt an den eigenen Vater zurück, auf dessen Beerdigung sie ebenfalls die Rede hielt. Natürlich flossen dabei auch Tränen. Trotzdem empfand sie diese Möglichkeit, sich mit dem Leben ihres Vaters auseinanderzusetzen, als Geschenk. Er, der die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und der Kriegsgefangenschaft mitgemacht hatte, war kein einfacher Mensch. So, wie viele Männer seiner Generation. Sascha Wagner weiß, was das für die Kinder bedeutet. Und kann ihnen erklären, warum ihre Väter waren, wie sie waren. „Wenn dann hinterher die Leute kommen, meine Hand nehmen und sagen, ,man könnte meinen, Sie hätten ihn gekannt‘, dann macht mich das schon stolz“, bekennt sie.

    Hilfe im Umgang mit der Trauer

    Noch nie habe jemand nach dem Begräbnis gesagt, er hätte es sich anders vorgestellt. „Aber ich hänge mich auch voll rein, wenn ich so eine Rede zu schreiben habe, ich kenne dann nichts Anderes mehr, da zählt nur der Verstorbene“, sagt die dreifache Mutter. Zwei bis drei Stunden sitzt sie vorher mit den Hinterbliebenen zusammen, mindestens. Manchmal sind auch mehrere Gespräche notwendig. Sie lässt sich Fotoalben zeigen, fragt danach, wie der Verstorbene und seine Frau sich kennengelernt haben, kitzelt Anekdoten heraus. Sie wartet, schweigt, hört zu, lässt die Leute in Ruhe weinen. Leistet so ein wenig Hilfe im Umgang mit der Trauer. „Und irgendwann kommt auch der Punkt, an dem gelacht wird, wenn man sich an lustige Begebenheiten erinnert.“

    Das ist okay, findet Sascha Wagner, ja, es soll sogar so sein. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, die Trauergemeinde zumindest einmal zum Schmunzeln oder Lachen zu bringen. „Das war übrigens auch früher der Zweck vom Leichenschmaus, da hat man sich Anekdoten vom Toten erzählt, da durfte gelacht werden.“

    „Es ist einzigartig, wenn jemand stirbt, genauso, wie wenn jemand geboren wird. Dem will ich Rechnung tragen.“

    Sascha Wagner, Trauerrednerin

    Rechnen darf man die Zeit nicht, die eine solche Rede kostet, dessen ist sich die 52-Jährige bewusst. „Mein Mann sagt immer, ich bin eine schlechte Geschäftsfrau“, sagt sie lächelnd. Aber das ist ihr egal. Genauso, dass sie, die in Bojendorf mitten im oberfränkischen Jura wohnt, sich wohl eine der schwierigsten Regionen für diesen Beruf herausgesucht hat: Hier beerdigt der Pfarrer. Was braucht man da eine Trauerrednerin, zumal die Kirchen eine Zusammenarbeit abblocken? Sie möchte trotzdem nichts Anderes machen. „Ich liebe den Beruf“, sagt sie schlicht. „Ich werde das tun bis zum Sankt-Nimmerleinstag.“

    Sascha Wagner hat schon viel ausprobiert. Geboren in der Eifel, aufgewachsen in Oberbayern, hat sie in München Germanistik und Fremdsprachen studiert. Ihr erster Mann hatte eine Gärtnerei, deshalb absolvierte sie eine Ausbildung zur Floristin. Als Erste im oberbayerischen Raum organisierte sie Hochzeitsmessen – und die erste Trauermesse. Sie stellte Särge auf, dekorierte diese, legte fiktive Trauerreden dazu. Die Resonanz war überwältigend. Die findige junge Frau bekam ihre ersten Aufträge.

    Nach der Scheidung hielt sie nur noch für Freunde und Bekannte Reden, arbeitete als freie Journalistin für die Süddeutsche Zeitung. 2002 zog sie zu ihrem jetzigen Mann nach Bojendorf, verdiente Geld im Außendienst für ein Pharmaunternehmen. Doch dann wurde das Begräbnis ihrer eigenen Mutter zum Schlüsselerlebnis: Die Ansprache des Pfarrers sei denkbar unpersönlich geraten – „ganz schlimm“. Vor fünf Jahren machte sie sich selbstständig.

    Der Anfang war nicht leicht. Aber die Mund-zu-Mund-Propaganda funktionierte. Inzwischen gibt es Testamente, in denen festgelegt ist, dass sie auf der Beerdigung sprechen soll.

    Das ganze Leben

    Sascha Wagner lässt sich auch für Hochzeiten engagieren. Aber die Trauerreden mag sie lieber: „Bei Hochzeiten geht es nur um das Schöne und Lustige, bei Trauerfällen um das ganze Leben.“ Die 52-Jährige ist sich sicher, dass ihr bewegtes Leben, ihre vielen Erfahrungen, aber auch ihr Hintergrundwissen eine gute Basis bilden. Viele Verstorbene, auf deren Beerdigung sie spricht, stammen aus der ehemaligen DDR, sind konfessionslos aufgewachsen. „Das heißt, Zeitgeschichte, Politik, da ist alles dabei.“ Und sie hat auch den Anspruch, das alles mit einfließen zu lassen.

    Mittlerweile fährt sie bis Würzburg, Bayreuth, München, ja, sogar bis Hamburg zu Bestattungen. Die Autofahrten nach Hause nutzt sie zur Verarbeitung des jeweiligen Trauerfalls. „Ich weine auch oft mit. Ich bin sowieso nah am Wasser gebaut“, gesteht die Rednerin. Aber die Gespräche mit den Hinterbliebenen sind nie nur traurig, weil sie auch so viel Schönes erfährt. Und wenn sie dann auf der Beerdigung anfängt zu sprechen, dann hat sie sich so intensiv mit dem Menschen auseinandergesetzt, dass keine Tränen mehr fließen. Außer wenn es um junge Menschen oder gar Kinder geht. Aber das lässt sie zu. „Ich will nicht abstumpfen.“

    Das im Kindbett gestorbene Baby, die Selbstmörder, die viel zu früh gegangenen Mütter oder Väter: Solche Schicksale zieht sie heran, wenn in ihrem Leben etwas nicht rund läuft. „Das hilft, um gelassen zu bleiben, aber nicht immer. Dafür bin ich viel zu emotional.“

    Die vielen Begegnungen mit dem Tod haben ihr Verhältnis zu ihm zwangsläufig verändert. „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich bin völlig abgeklärt. Aber ich bin mir bewusster, wie schnell es gehen kann, und ich weiß, wie die Beerdigung bei mir sein soll.“ Sascha Wagner denkt noch einmal nach und nickt. „Ich schiebe das nicht weg.“

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