Inge Goebel beugt sich zu einem Grabstein herunter, deutet auf die Inschrift und versucht, sie zu lesen. Der Stein ist schon so alt, dass einige der Buchstaben ganz verblichen sind. „Für die im Mainflusse verunglückte Jungfrau Sara Lobenheiner“, liest sie der Gruppe vor, die sich um sie versammelt hat. „In Liebe errichtet von ihrem Bruder“.
„Die leibliche Auferstehung spielt bei den Juden eine große Rolle, deswegen darf das Grab nach der Beisetzung nicht mehr verändert werden.“
Inge Goebel, Interessengemeinschaft Synagoge Altenkunstadt
Auch wenn nicht jeder Grabstein des jüdischen Friedhofs mit einer ausführlichen Inschrift versehen ist, so erzählt doch jeder seine eigene Geschichte. Manche stehen schief oder liegen schon seit Jahrhunderten umgekippt im Gras. Andere sind fast vollständig überwuchert und kaum noch zu sehen. Obwohl viele der Steine schlicht und schnörkellos sind, gibt es auch einige mit Verzierungen und Symbolen, die über das Leben des Verstorbenen Auskunft geben.
Zum „Tag des offenen Denkmals“ stellt Inge Goebel bei zwei Führungen die Geschichte des jüdischen Friedhofs vor, der mit rund 2000 Gräbern zu den Größten in Bayern zählt. Bis ins Jahr 1940 sind dort Juden aus dem Gebiet zwischen Bayreuth, Kronach und Lichtenfels begraben worden.
Rege Teilnahme und großes Interesse herrscht auf dem Ebnether Berg, wo die Gedenkstätte steht. Schon beim Betreten des großen Eingangsportals, fällt auf, dass viele Grabsteine nicht mehr aufrecht stehen, gar im Gras liegen – ein großer Unterschied zu christlichen Friedhöfen.
Unbegrenzte Totenruhe
Das hängt damit zusammen, dass anstatt einer begrenzten Ruhefrist, wie sie im Christentum gebräuchlich ist, im Judentum die dauerhafte Totenruhe gilt. „Die leibliche Auferstehung spielt bei den Juden eine große Rolle“, erklärt Goebel, „deswegen darf das Grab nach der Beisetzung nicht mehr verändert werden“.
Der Brauch der Totenruhe führt auch dazu, dass auf dem Friedhof Steine zu finden sind, die Jahrhunderte alt sind. So wie der erste Grabstein, der 1626 (sechs Jahre nach Anlage der Begräbnisstätte) aufgestellt wurde. Oftmals bestehen die Inschriften lediglich aus dem Namen und Todestag des Verstorbenen, zusammen mit einem kurzen Spruch wie „Friede seiner Asche“.
Manchmal sind sie jedoch mit kleinen Symbolen und Ornamenten versehen, die auf die Herkunft und soziale Stellung des Toten schließen lassen. Eine Kanne gibt beispielsweise Aufschluss darüber, dass es sich um den Gedenkstein eines Angehörigen des Leviten-Stammes handelt. Zwei Priesterhände deuten auf ein Mitglied der Kohanim hin. Prunkvoll geschmückte Steine sind Ausdruck hohen Reichtums und Ansehens.
„Auf jüdischen Friedhöfen gibt es nur Einzelgräber, keine Familiengräber“, betont Goebel. Zudem liegen sie eng aneinander, um Platz zu sparen. „Es ist außerdem üblich, dass Reihen entweder nur aus Männer- oder aus Frauengräbern bestehen“, erklärt die Altenkunstadterin weiter.
Symbole mit Aussagekraft
Zwar wurden während der Nazi-Diktatur Teile des Friedhofs geschändet und in den 1970-er Jahren von betrunkenen Jugendlichen verwüstet, aber zum Glück ist die Gedenkstätte gut erhalten. Denn der jüdische Friedhof ist schließlich ein Denkmal der jüdischen Geschichte weit über Burgkunstadt hinaus und ein bedeutsames Zeugnis der Vergangenheit.