Einer der gefährlichsten Linksterroristen Deutschlands in den 1970-er Jahren war Wilfried Böse (1949 bis 1976) aus Bamberg. Mit dem Leben des Extremisten hat sich der Bamberger Lehrer Rafael Rempe beschäftigt, nachdem er durch den Seminarvortrag eines Schülers auf das ungewöhnliche Schicksal aufmerksam geworden war. Über seine Nachforschungen berichtete Rempe beim Colloquium Historicum Wirsbergense (CHW) im Kastenhof in Weismain. Der Vortrag hätte mehr Besucher verdient gehabt.
Interessant ist, dass es noch Zeitzeugen gibt, die Wilfried Böse erlebt haben. Doch Auskunft geben wolle kaum jemand, so dass manche Entwicklungen im Leben des Terroristen nicht genau zu belegen seien, erklärte Christian Klose vom CHW einleitend.
„War der Schüler wegen seiner politischen Einstellung nach Amberg abgeschoben worden, obwohl es vielleicht wichtiger gewesen wäre, ihn bei der Hand zu nehmen?“
Rafael Rempe, Lehrer aus Bamberg
Die Lebensstationen Wilfried Böses müssten gesondert betrachtet werden, sagte Rafael Rempe. So stehen die Schulzeit in Bamberg, das spätere Eintauchen in die linke Terrorszene in Frankfurt und schließlich die Flugzeugentführung in Entebbe (Uganda) nebeneinander. In Entebbe wurde der Entführer schließlich von einem israelischen Befreiungskommando erschossen.
„Warum wurde ein in Bamberg aufgewachsener Schüler von Oberrealschule und Dientzenhofer-Gymnasium zum Linksterroristen?“, fragte Rempe. Wilfried Böse war ein sehr intelligenter und redegewandter Schüler, der in einem aufgeschlossenen Elternhaus in der Gartenstadt aufwuchs. Die Mutter arbeitete in der Kinderpflege, was in den 1960-er Jahren nicht unbedingt üblich war. Böse wird als eigenständig und selbstbewusst dargestellt, was dem neuen Zeitgeist (68-er Bewegung) entsprach.

Wilfried Böse besuchte in Bamberg zuerst die Kunigundenschule, dann die Oberrealschule (heute Clavius-Gymnasium) und ab 1966 das Dientzenhofer-Gymnasium. Nach Aussage mehrerer Mitschüler vertrat er die Klasse in Diskussionen mit dem Direktorat mutig und engagiert. „Manche Lehrkräfte haben sein Auftreten zuweilen auch als frech empfunden“, sagte Rempe. Seine links orientierte, offen sozialistische beziehungsweise kommunistische politische Einstellung war für die Mitschüler und Lehrkräfte deutlich erkennbar. „Wenn der Klassensprecher Wilfried Böse etwas sagte, hat es auf alle Eindruck gemacht“, betonte der Referent.
Daher stelle sich die Frage, ob er nur wegen häufiger unentschuldigter Fehlzeiten für die letzten anderthalb Jahre bis zum Abitur 1969 ans Ansbacher Platen-Gymnasium wechselte. „Oder war der Schüler wegen seiner politischen Einstellung nach Amberg abgeschoben worden, obwohl es vielleicht wichtiger gewesen wäre, ihn bei der Hand zu nehmen?“, fragte Rempe. Er frage sich, inwiefern die Proteste gegen den Besuch des Schahs von Persien in Deutschland und der der Tod durch Polizei von Benno Ohnesorg ihn radikalisiert beeinflusst haben.
Zunächst studierte Wilfried Böse in Freiburg Soziologie und wechselte nach Frankfurt wegen der „Frankfurter Schule“, die für die 68er-Bewegung als wichtiger Orientierungspunkt diente. Er brach das Studium ab, um den Vertrieb des Verlags Roter Stern mitzuführen, in dem auch etliche Mitglieder der linksradikalen Szene Frankfurts mitarbeiteten. Dabei waren auch Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ). Durch Johannes Weinrich, Magdalena Kopp und Brigitte Kuhlmann bekam Wilfried Böse Zugang zur linken Szene.
Laut dem Linksterrorismus-Forscher Wolfgang Kraushaar soll Böse vor 1972 unter dem Decknamen „der kleine Dicke“ für die Rote Armee Fraktion (RAF) gearbeitet haben. „Damit war er endgültig in den Terrorismus abgerutscht“, meinte Rempe. In der Nacht zum 15. Juni 1972 besuchte Böses Freundin Brigitte Kuhlmann den Fritz Rodewald und bat ihn um Quartier für zwei Personen in Hannover. Dabei habe es sich um Ulrike Meinhof und Gerd Müller gehandelt, die nach Hinweisen an die Polizei festgenommen wurden. „Man kennt die Hintergründe nicht genau, kann aber davon ausgehen, dsas Wilfried Böse beide von Frankfurt nach Hannover gebracht hatte.“, stellte Rempe fest.
Die Revolutionären Zellen (RZ) waren aus dem militanten autonomen Spektrum entstanden. Es gab Kontakte zur RAF, zur „Bewegung 2. Juni“, zu palästinensischen Gruppen und dem Terroristen Carlos. Unrühmlicher Höhepunkt war sicherlich der Überfall auf die OPEC-Konferenz 1975 und Panzerfaustangriffe auf den Flughafen von Paris. 186 Anschläge mit einem sehr breiten Spektrum rechnete man den RZ zu.
Die terroristischen Laufbahn Wilfried Böses gipfelte in der Entführung eines Flugzeuges. Am Vormittag des 27. Juni 1976 wurde der Flug 139 der Air France, der von Tel Aviv über Athen nach Paris gehen sollte, nach dem Start entführt. Die mit zwölf Personen Besatzung und 258 Fluggästen besetzte Maschine wurde zum Flughafen Bengasi in Libyen umgeleitet und landete am Morgen des 28. Juni auf dem Flughafen Entebbe in Uganda.
Böse führt das Kommando bei der Entführung eines Flugzeugs
Die Entführer waren zwei Terroristen der Gruppe „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ sowie Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann von den Revolutionären Zellen. Anführer des Kommandos war Wilfried Böse. Am Flughafen Entebbe schlossen sich den vier Entführern weitere bewaffnete Kämpfer der PFLP-EO an. Mit der Flugzeugentführung sollte die Freilassung von 53 inhaftierten Terroristen aus Gefängnissen in Israel, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz erpresst werden. Darunter waren Mitglieder der Roten Armee Fraktion und der „Bewegung 2. Juni.“
Die Terroristen „selektierten“ die jüdischen Passagiere von den anderen. Die Israelis entwarfen Pläne für ein Eingreifen. Schließlich flogen vier israelische Transportflugzeuge, in Begleitung von Phantom-Jets im Tiefflug nach Entebbe und landeten nachts auf dem Flughafen. Die Spezialeinsatztruppe bestand aus etwa 100 Männern. Bei der Befreiungsaktion töten sie sämtliche Entführer und 20 der Geißeln. Nach Aussagen einiger der Entführten habe sie Wilfried Böse als sehr human behandelt.