Theatersommer im Herbst – im Foyer des Rathauses in Burgkunstadt. Zwar konnten nur 50 Personen dem beeindrucken Abend beiwohnen, aber am Ende gab es nur zufriedene Gesichter. Denn: „Die Künstler brauchen das Publikum und das Publikum braucht die Künstler.“
Die Eingangshalle des Rathauses und die liebevoll inszenierte Bühne – das passte einfach zusammen. Und das Stück, das gespielt wurde, hat auch schon viele Menschen zum Nachdenken angeregt. Wie wäre es, wenn man nach dem Tod vom Himmel zurückkommen würde? Zu dieser Frage hat Schauspielerin, Sängerin, Autorin und Regisseurin Clarissa Hopfensitz ein Stück geschrieben. Darin schlüpft sie selbst in die Rolle der deutschen Film- und Show-Diva Marlene Dietrich und singt und spielt sich durch deren Leben.
„Ich hab' weiter nichts Sinnvolles hier zu tun, als Wolken hin- und herzuschieben.“
Clarissa Hopfensitz als Marlene Dietrich im Himmel
„Marlene Dietrich, ein Engel auf Erden“ war der Abend überschrieben. Mit der 1992 verstorbenen Marlene Dietrich kann der liebe Gott im Himmel so gar nichts anfangen, steht doch ihr auch sehr laster- und sündhaftes Leben zu sehr im Weg, um auf einer höheren als der letzten Engelsstufe im Himmel Platz zu finden. „Ich hab' weiter nichts Sinnvolles hier zu tun, als Wolken hin- und herzuschieben, und die auf der Erde glauben noch, die fliegen von selbst“, beklagt sie sich nach einem Gespräch mit dem „Herrn da oben“. Wenn er ihr erlaube, auf der Erde noch einmal auf einer Bühne zu stehen, würde sie sich mit all ihren Sünden zu Lebzeiten auseinandersetzen. So schickt der Herr Marlene auf „Heimaturlaub“. Als Reiseliteratur gibt er ihr alle existierenden Biografien über sie mit. Über diese soll sie nachdenken.
Lange Beine, blondes Haar, elegantes Paillettenkleid
Da im Jahr 2020 alle großen Theaterbühnen nicht geöffnet haben – warum wohl – und ihr auch niemand glaubt, dass sie die echte „Dietrich“ ist, ist sie mit vielen Koffern und eben den Biografien beim Fränkischen Theatersommer in Burgkunstadt gelandet. Bis zu ihrem Auftritt gibt sie sich nun den Biografien hin, die sich bezeichnenderweise in einem Müllsack Koffer befinden. Schon die Situation, dass nur Plastikblumen statt weißer Lilien ihre Garderobe schmückten, gefällt der Diva mit ihren langen Beinen, blond gestyltem Haar und elegantem Paillettenkleid nicht.
Ihre Lebensbeschreibungen sieht sie skeptisch. Zu Verfehlungen bemerkt sie: „Was hätte ich denn tun sollen?“ Dazu gehört, dass sie immer wieder ihren Musiklehrer Robert Reiz verführte, und ihre viel zu frühe Hochzeit mit Rudolf Sieber (1897–1976), von dem sie sich niemals scheiden ließ. Sie habe doch nur Wärme und Geborgenheit gesucht, aber dabei nie die Kontrolle aufgeben wollen.
Nach einer Schauspielausbildung in den 1920-er Jahren kam der Durchbruch 1930 als „Femme Fatale“ Lola im „Blauen Engel“ unter Regisseur Josef von Sternberg. Das Lied der Lola, „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, das sie mit rauchiger Stimme vorträgt, wurde zum Lebensprogramm. Sie war schließlich für 43 Scheidungen, ungezählte Trennungen, Schwangerschaftsabbrüche und Nervenzusammenbrüchen verantwortlich, war dem Alkohol zugetan und liebte Männer wie Frauen. „Ich wollte doch nur lieben und wieder geliebt werden“, klingt dann fast schon entschuldigend.
„Lyrische Leidenschaft und Romantik wechselten sich mit dem Vamp und der Diva ab“, muss sie in einer Biographie lesen. Es war schön, begehrt zu sein, deshalb ging's nach dem Erfolg des „Blauen Engels“ mit Josef von Sternberg nach Hollywood, wo sie einen Sieben-Jahres-Vertrag bei Paramount Pictures erhielt.
Lieber Vaterlandsverräterin als dem „kleinen Führer“ helfen
Doch nun zeigte sich auch eine andere Seite der Diva. Aus ihrer Heimat- und Lieblingsstadt Berlin verlegte sie ein Jahr vor Kriegsausbruch ihren europäischen Hauptwohnsitz nach Paris. Von dort begann sie, Flüchtlinge aus Deutschland und emigrierende Künstler zu unterstützen. 1939 legte die Dietrich die deutsche Staatsbürgerschaft ab und nahm die US-amerikanische an. „Hätte ich denn mit meiner Klasse dem kleinen Führer helfen sollen? Ich war Vaterlandsverräterin, aber was hätte ich tun sollen? Haben die, die ich jetzt vom Himmel aus sehe, nichts daraus gelernt?“, fragt sie.
Soldaten habe sie schon immer gemocht: Das sind richtige Männer. Nachdem sich ihr Geliebter Jean Gabin freiwillig zum Krieg gemeldet hatte, umso mehr: „Ich liebte meine Boys.“ Als Schauspielerin und Sängerin spendete sie Soldaten an der Front Hoffnung und Abwechslung. Mit dem Lied „The Boys in the Backroom“ unterstreicht sie das in ihrer Rückschau in Burgkunstadt auch tänzerisch.
Erinnerungen an Wegbegleiter von Edith Piaf bis Frank Sinatra
Clarissa Hopfensitz zeigt als Marlene Dietrich deren gesanglichen Fähigkeiten mit Liedern wie „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, La Vie en Rose“, „I wish you Love“ oder „Lilly Marlen.“ Charakteristisch dabei der Hosenanzug, den die Stilikone Dietrich weltberühmt gemacht hat.
Aber auch die Nachkriegszeit wird Thema. Die Erinnerung, dass ihr in Deutschland verziehen wurde, wirkt schon fast ein wenig wehmütig. Ebenso die Gedanken an Schwester und Mann, die in Bergen-Belsen ein Nazi-Kino betrieben hatten und denen sie half, nicht bestraft zu werden. Das Lied „Sag mir, wo die Blumen sind“ spricht dabei für sich selbst.
„Ich muss mich vor niemandem rechtfertigen, war selbst schutzlos, wobei meine Pelzstola das einzige schien, das mir Schutz und Sicherheit bot. Eigentlich wollte ich doch nur Marlene sein und nicht die Dietrich“, resümiert sie beim Abschminken. Mit „Ich hab noch einen Koffer in Berlin“ beschreibt sie ihre Rückkehr in „ihre Stadt“. Es war schön bei euch, doch jetzt muss ich wieder nach oben, vielleicht bekomm' ich nun einen besseren Platz.“ Für den ungewöhnlichen Theaterabend zeigte sich das Publikum mit großem Applaus sehr dankbar.