Der Brauch, beim Bau eines Wohnhauses, ein Richtfest zu feiern, ist in den vergangenen 30 Jahren fast in Vergessenheit geraten. Ein großes Richtfest hat jetzt allerdings Johannes Oppel ausgerichtet. Kein Wunder, arbeitet er doch bei der Gemeinde Altenkunstadt in der Bauverwaltung. Traditionsbewusst wie er ist, hat er nach der Fertigstellung des Rohbaus und dem Aufrichten der Dachbalken seines künftigen Eigenheimes diesen Brauch wieder aufleben lassen. Und es wurde ein Fest wie es früher öfter gefeiert wurde.

„Geburtstag feiern kann man jedes Jahr, aber so ein Fest gibt?s meist nur einmal im Leben.“
Sarah Dorsch, Bauherrin
„Geburtstag feiern kann man jedes Jahr, aber so ein Fest gibt?s meist nur einmal im Leben“, meinte denn auch seine zukünftige Frau Sarah. Dabei achteten die Bauherren darauf, dass vieles so begangen wurde wie seit alters her. Ein geschmückter Richtbaum, der Richtspruch des Zimmermanns, das Anstoßen auf das Gelingen des Baus und das geleerte Glas nach unten werfen, damit es zerbricht, Bonbons. Außerdem wurden Süßigkeiten ausgeworfen für die Kinder, gegrillte Bratwürste, Krapfen und Getränke aufgetischt. So kamen über 120 Bau- und Zimmerleute, Verwandte, Nachbarn, Freunde und Kinder, um mit den jungen Bauherren auf das Eigenheim anzustoßen.
Das Richtfest wird nach dem Aufrichten des Dachstuhls gefeiert und markiert den Höhepunkt beim Hausbau. Der Brauch geht bis ins 14. Jahrhundert zurück. Und obwohl sich im Laufe der Zeit einige Rituale verändert haben oder vielerorts verschwunden sind, ist die Basis dieses Brauchtums seitdem geblieben. Der Brauch geht auf rituelle Formen der Zinszahlung und der Abgeltung von Arbeitsleistungen zurück, wie sie im Mittelalter nicht ungewöhnlich waren. Die festlichen Zusammenkünfte, die zum Abschluss der einzelnen Arbeiten abgehalten wurden, wurden als rechtsverbindliche symbolische Handlungen betrachtet, für die der Kontakt zwischen Untertan und Obrigkeit entscheidend war.

Schutz vor Unheil und Naturgewalten
Und weil im Mittelalter Aberglaube und mystisches Denken verbreitet waren, sollte ein nach allen Regeln des Brauchtums abgehaltenes Richtfest, das Haus vor Unheil schützen. Dazu zählten in erster Linie Naturgewalten wie Blitzschlag, Feuer oder Einsturz durch Sturm. Auch der sogenannte Haussegen und das Familienglück sollten mit dem rituellen Fest gewährleistet werden.
Zu früheren Zeiten bestand ein Haus zum großen Teil aus Balkenwerk, welches von den Zimmermännern errichtet wurde. Man spricht auch heute noch beim Anbringen der Dachbalken vom Aufrichten. Zudem war es in ländlichen Gegenden üblich, dass Nachbarn und andere Dorfbewohner beim Bau eines neuen Hauses mithalfen. Zu den Aufgaben der Helfer zählten das Fällen von Bäumen und das grobe Zuschneiden des zu verarbeitenden Holzes. Die Zimmermänner schnitten es dann passend zu. Das Richtfest galt somit auch als eine Art Danksagung für alle Helfer, die am Bau beteiligt waren.

Holz war einst einer der wichtigsten Rohstoffe
Zu einem Richtfest gehörte schon früh ein Richtbaum oder später Richtkränze. Dieser Brauch ist mindestens so alt wie der, Weihnachtsbäume aufzustellen. Bäume spielten auch bei vielen anderen Festen eine Rolle. Sie waren als Rohstoff extrem wichtig. Aus Holz wurden Häuser nicht nur gebaut, sondern mit Holz wurden die Häuser auch geheizt. Der Lebensunterhalt hing somit wesentlich von Bäumen ab.
Der Richtbaum symbolisiert Festigkeit, Standhaftigkeit und Langlebigkeit – das wünschte man sich auch von den neu gebauten Häusern. Meist werden dafür Nadelbäume verwendet. Weil sie immergrün sind, gelten sie auch als ein Sinnbild des Lebens und der Fruchtbarkeit. Insofern war mit dem Richtbaum sicher auch die Hoffnung verbunden, dass er den Bewohnern des Hauses ein gesundes Leben bescheren und sie vor Krankheit schützen möge. Eingebundene bunte Bänder oder Girlanden sollen Fröhlichkeit, gute Laune und Geselligkeit für die künftigen Bewohner symbolisieren. Weil zum Hausbau Bäume gefällt wurden, wollte man böse Geister durch das symbolische Anbringen eines Baumwipfels am Haus milde stimmen und sich sozusagen bei ihnen bedanken. Die guten Geister sollten durch das Anbringen des Richtbaumes weiterleben.
Früher gab es das Ritual, dass der Bauherr den letzten Nagel ins Gebälk schlug. Wurde er krumm, konnten die Handwerker eine Extrarunde Bier oder Schnaps einfordern. Ein bedeutsamer Brauch ist der Richt- oder Segensspruch der Zimmermänner über das Dach beziehungsweise das Haus und dessen Errichtung. Er soll vor Schäden schützen und den Bauherren eine glückliche Lebenszeit im neuen Heim bescheren.
Wenn das Glas nicht zerbrach, galt es als schlechtes Omen
Während einer der Zimmermänner seine Ansprache hält, trinkt er mit Wein, Sekt oder Schnaps auf das Wohl der Bauherren und wirft das leere Glas anschließend vom Dach. Getreu dem Spruch: „Scherben bringen Glück.“ Blieb das Glas ganz, galt dies früher als Schmach für den Redner und ein schlechtes Omen für Haus und Bauherren. Beim Richtfest in Altenkunstadt zersprang das Glas und alle feierten den Neubau. Nicht erforderlich war es, anschließend Heringe an den Richtkranz zu binden – lange Zeit das Zeichen, dass ein Bauherr den Richtfestschmaus zu dürftig ausgerichtet hatte.

Der Richtspruch Die Feierstunde hat geschlagen, es ruhe die geübte Hand. Nach harten arbeitsreichen Tagen grüßt stolz der Richtbaum in das Land. Und stolz und froh ist jeder heute, der tüchtig mit am Werk gebaut. Es waren wackere Handwerksleute, die fest auf ihre Kunst vertraut. Drum wünsche ich so gut ich`s kann, so kräftig wie ein Zimmermann, mit Stolz empor gehobenen Blick dem neuen Hause recht viel Glück. Wir bitten Gott, der in Gefahren uns allzeit so treu bewahrt, er mög das Bauwerk hier bewahren vor Not und Schaden aller Art. Nun nehm ich froh das Glas zur Hand, gefüllt mit Wein hin bis zum Rand, und mit dem feurigen Saft der Reben, will dem Bauherrn die Ehr ich geben, wie sich?s nach altem Brauch gehört, wenn so ein Bau ist ausgeführt. Nun brauchte man zu alten Zeiten nicht nur den Kopf, nein auch die Hand, drum auch ein Hoch den Zimmerleuten, durch deren Kraft der Bau entstand. Nun ist das Glas wohl ausgeleert und weiter für mich nichts mehr wert. Das Glas zerschelle hier im Grund, geweiht sei dieser Bau zur Stund.