Vor dem Rathaus in Burgkunstadt steht ein junger Mann und schaut sich um. Rund 30 interessierte Bürgerinnen und Bürger haben sich an diesem Sonntagnachmittag eingefunden, um mit ihm eine Reise zurück in das Burgkunstadt während der Nazi-Diktatur zu machen.
„Wir sind aktuell vier Stadtführer, die das ehrenamtlich machen“, beginnt Max Konrad. „Und das, was wir heute hier machen, das ist Erinnerung und auch Mahnung.“ Der junge Mann schaut dabei ernst. „Wir werden sechs oder sieben Stationen besuchen. Und dort werde ich ihnen etwas über die Menschen hier erzählen.“
Doch zunächst ist ein wenig Vorgeschichte notwendig, beginnend nach dem Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik, aber auch über die Stadt selbst. „1928 wurde die Bahnhofstraße befestigt, vorher war das im Grunde genommen nur ein besserer Feldweg. 1930 bekam man die erste Müllabfuhr, das waren drei Mann und ein Pferdefuhrwerk, in der Kulmbacher Straße entstand das erste Wasserwerk.“ Das Leben in Burgkunstadt war eher gemächlich, aber auch geprägt von der weltweiten Wirtschaftskrise nach dem schwarzen Freitag. All das änderte sich, als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde. „Innerhalb weniger Monate wurde das komplette Reich, und damit auch Burgkunstadt, auf Linie gebracht.“ Bürgermeister Hans Agath wurde abgesetzt, der linientreue Dr. Leo Feuersinger und zehn NSDAP-Stadträte eingesetzt.
Wohnungen für „Getreue“
In Burgkunstadt lebten zu dieser Zeit 2583 Menschen, darunter 54 Juden, also gerade mal zwei Prozent. Die Wohnungssituation war miserabel, die wenigen Wohnungen in schlechtem Zustand. 1934/35 wurde daher ein Wohnungsbauprogramm aufgelegt. 15 neue Häuser wurden gebaut mit 36 Wohnungen, die aber nur an „Getreue“ vergeben wurden. Die billigste Ausführung kostete 6400 Reichsmark, was in heutigem Wert etwa 27.000 Euro entsprachen oder 8300 zu leistenden Arbeitsstunden. Ein weiteres Neubaugebiet entstand später, auch hier wurden nur Menschen berücksichtigt, die ins System passten. „Es gab eine Probezeit und genaue Vorschriften, welches Gemüse anzubauen war, wann der Hof gereinigt werden musste und wie viel Nachbarschaftshilfe zu leisten war.“ Wer sich nicht daran hielt, wurde rausgeworfen.
Deportation der jüdischen Bürger
Ein Blick auf das jüdische Leben in Burgkunstadt darf bei einem solchen Rundgang nicht fehlen. So im Feuerweg 19, wo die ehemalige jüdische Schule zu finden war. 1851 war das Gebäude von den jüdischen Brüdern Moses und Zacharias Sack gekauft worden und diente bis November 1938 als Schule und Wohnstätte für den jüdischen Kultusbeamten. Der Letzte war Ignaz Steinbock, der mit seiner Familie am 24. Februar 1942 deportiert und ermordet wurde. In der Pogromnacht blieb das Gebäude unbeschädigt, dann „kaufte“ es die Stadt.

Bis 1935 gelang es zehn Juden, aus dem Reich auszuwandern, dabei wurden sie all ihrer Ersparnisse und sonstigen Werten beraubt, die als „Ausreisesteuer“ zu entrichten waren. Darunter die Familie Banemann. Leo Banemann war ein hochdekorierter Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen und betrieb mit seinem Bruder Justin ein Geschäft für Metzgereibedarf. Durch die Repressalien wurde das Leben immer schwieriger, nach der Reichspogromnacht war für die Banemanns klar, es war gefährlich, im Deutschen Reich zu bleiben. 1939 gelang es ihnen, mit dem letzten Schiff, das dies ermöglichte, Deutschland zu verlassen.
Andere hatten nicht so viel Glück, erläuterte Max Konrad. „Die Synagoge in Burgkunstadt wurde nicht angezündet, die Gefahr, dass das Feuer auf andere Gebäude übergriff, war zu hoch.“

Doch am 10. November 1938 kaufte die Stadt sowohl die Synagoge als auch den jüdischen Friedhof für die Summe von 1000 Reichsmark. Heute erinnert nur noch eine Gedenktafel mit den Namen der letzten deportierten Juden daran.
Druck auf den Baur Versand
Auch die Geschäftswelt veränderte sich. So zum Beispiel das Geschäft von Friedrich Baur. Er gründete den Baur Versand 1925 als erster Schuhversender. 1936 baute er ein neues Gebäude, 1938 übernahm er die Schuhfabrik Iglauer, die von den Nazis geschlossen worden war, da sie jüdische Eigentümer hatten. Auch Friedrich Baur blieb von Repressalien nicht verschont, der Versandhandel war den Nazis ein Dorn im Auge. Die Menschen sollten möglichst alles vor Ort bekommen, auch band der Versand wichtige Transportressourcen, die für den Kriegseinsatz gebraucht wurden. Schuhe gab es dann auch nur noch gegen Bezugsscheine, was den Versandhandel zum Erliegen brachte. Während des Krieges sank die Beschäftigtenzahl von 45 auf zehn, am 11. April 1945 wurde das Schuhlager geplündert.
Auch die Geschichte der Schuhfabrik Püls beleuchtete Max Konrad. In den besten Zeiten wurden dort 5000 Paar Schuhe am Tag gefertigt. Der Firmeninhaber Hans Püls zählte zu den bedeutendsten Mäzenen der Stadt, er baute unter anderen ein Kinderheim, das seiner Frau zu Ehren den Namen „Theresien-Kinderheim“ erhielt. Heute steht dort das Baur-Hochhaus. Er beteiligte sich finanziell an Wohnungsbauprojekten, ließ die katholische Kirche renovieren und spendete eine Glocke sowie bereits 1923 das Kriegerdenkmal, weil die Stadt kein Geld hatte. Heutzutage ist er nicht mehr ganz unumstritten, hat er sich doch während des Krieges durch Wehrmachtsaufträge bereichert.
Im Zweiten Weltkrieg fielen insgesamt 242 Burgkunstadter, also zehn Prozent der Bevölkerung, und alle Juden, die nicht hatten fliehen können, waren umgebracht worden. Nach gut zwei Stunden endete der Rundgang, der eine Menge an Informationen und Geschichten bereithielt und absolut empfehlenswert ist.