Flink und behände schraubt Markus Reuther mit einem Sechskantstiftschlüssel eine Kunststoffrolle in die Halterung aus Edelstahl. Sein strahlendes Lächeln verrät, dass ihm die Arbeit Freude bereitet. Ausbildungsleiter Markus Petterich von der Burgkunstadter Maschinenfabrik Fischer Tire Tech Germany kommt aus dem Staunen nicht heraus: „Das macht er so gut, als hätte er nie etwas anderes gemacht.“ „Ich halte es mit Angela Merkel, die einst festgestellt hatte: 'Wir schaffen das'“, erwidert der 44-jährige, der sonst in den Werkstätten St. Joseph von Regens Wagner in Burgkunstadt arbeitet.

An zwei Tagen schnuppert der Burgkunstadter im Rahmen eines sozialen Projektes zusammen mit fünf anderen Frauen und Männern aus den Werkstätten in der Lehrwerkstatt des Burgkunstadter Unternehmens, das Cordschneideanlagen für die Reifenindustrie herstellt, die Luft an einer anderen Arbeitsstätte. Fischer Tire Tech Germany und Regens Wagner leisten damit einen Beitrag zum Abbau von Vorurteilen und zum Erweitern des geistigen und sozialen Horizonts auf beiden Seiten.
An der Spindelpresse
Nachdem vor zwei Jahren die Fischer-Lehrlinge, den Boden der Reithalle von Regens Wagner mit Holzhackschnitzeln befüllt und im vergangenen Jahr in der Küche von Regens Wagner Plätzchen gebacken hatten, erfolgt nun der Gegenbesuch. Das Sextett aus den Werkstätten St. Joseph baut unter der Anleitung von Lehrlingen 442 Rollen für eine Spleißmaschine, mit der geschnittene Stahlcordstreifen zu einem Endlosband verbunden werden. Auch anderen Aufgaben werden erledigt: Sabine Jerentrup aus Theisau schneidet mit einer Handhebelschere aus einem Aluminiumblech einen Kreis heraus, während Sophia Kremer aus Burgkunstadt an einer Spindelpresse einen Einkaufschip mit dem Logo des Unternehmens herstellt.
Vielleicht bald ein Praktikum?
„Bei der Arbeit mit der Handhebelschere, die viel Muskelkraft erfordert, kommt es auf Genauigkeit an“, sagt Jerentrup und zeigt stolz das Ergebnis ihrer Arbeit. Sie und die anderen Mitarbeiter lieben die Abwechslung. Zudem freuen sie sich darüber, neue Arbeiten in einem anderen Betrieb ausprobieren zu dürfen. Schließlich wachse man an seinen Aufgaben, sind sich alle einig.

Sophia Kremer könnte sich vorstellen, bei der Maschinenfabrik Fischer ein Praktikum zu machen. „Ich bin handwerklich geschickt und die Mitarbeiter hier sind alle sehr nett“, untermauert sie ihre mündliche Bewerbung mit handfesten Argumenten.

Den Mitarbeitern bei ihrer Arbeit über die Schulter zu blicken, das wäre für Sachbearbeiterin Doris Graß aus der Personalabteilung kein Problem. Ein aktives Arbeiten hingegen müsste mit der jeweiligen Abteilung, der Geschäftsführung, der Sicherheitsfachkraft und Regens Wagner abgesprochen werden, sagt sie. Damit wird ein wunder Punkt angesprochen, über den seit Jahren diskutiert wird. UN und EU fordern von Deutschland, dem Personenkreis der geistig Behinderten bessere Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt zu geben und sich vom System der Werkstätten zu verabschieden.
Erkan Ari, Praxisbetreuer für die Auszubildenden, die bei Regens Wagner den Beruf des Heilerziehungspflegers erlernen, und Sozialpädagoge Jonas Dinkel von den Werkstätten St. Joseph verweisen darauf, dass bereits jetzt Arbeitsplätze in den Werkstätten ausgelagert werden.

Mitarbeiter würden in Kindertagesstätten im hauswirtschaftlichen Bereich arbeiten oder in der Therme Bad Staffelstein Garten- und Hausmeistertätigkeiten verrichten. „Wenn die Mitarbeiter mit der Arbeit dort nicht zurechtkommen, dann kehren sie wieder in die Werkstatt zurück“, hebt Dinkel einen Vorzug des Konzepts hervor.
Beide Seiten lernen dazu
Sechs Auszubildende, die den Beruf des Konstruktionsmechanikers erlernen, zeigen den Besuchern, wie die Arbeiten zu machen sind. Auch sie profitieren von dem sozialen Projekt. Sie bekommen ein Gefühl dafür, dass man mit Menschen, die über eine geistige Beeinträchtigung verfügen, anders kommunizieren muss. „Aufmerksam zuhören und eine einfache Sprache sind hier das A und O“, hebt Ari hervor. Die Frage, ob das soziale Projekt das Einfühlungsvermögen in die Lebensumstände anderer Menschen schärfe und einen verantwortungsbewussteren Umgang mit behinderten Mitbürgern stärke, beantwortet der 17-jährige Konstrukionsmechaniker Ben Wallenta aus Burgkunstadt mit einem klaren „Ja!“
Fortsetzung geplant
Die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der Maschinenfabrik und der sozialen Einrichtung wollen alle Beteiligten fortsetzen. Für ein international agierendes Unternehmen wie der Maschinenfabrik Fischer, Weltmarktführer im Bereich Cordschneideanlagen für die Reifenindustrie, trage ein soziales Projekt dazu bei, Mitarbeiter im Umgang mit anderen Menschen zu sensibilisieren, sind sich Graß und Ausbildungsleiter Markus Petterich einig. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Auf die andere weist Petterich hin, als er zum Schluss feststellt: „Die Mitarbeiter aus den Werkstätten gehen nach diesen zwei Tagen mit einem Selbstbewusstsein und einem Selbstvertrauen nach Hause, dass sich positiv auf ihr weiteres Leben auswirkt.“