Was macht es mit einem Künstler, wenn er in Corona-Zeiten zum Nichtstun verdammt ist? „Es ist eine schreckliche Zeit, die einem ein bisschen Energie und Freude raubt“, berichtet die Weismainer Regisseurin Anja Dechant-Sundby. Inzwischen wurde sie wieder von der Muse geküsst. Mit einem besonderen Kuss, der schon auf vielen Theater-, Musical- und Filmbühnen dieser Welt zu sehen war, dem „Kuss der Spinnenfrau“ aus der Feder des argentinischen Schrifstellers Manuel Puig. Damit will sie Weismain am 16., 17. und 18. Oktober in der Stadthalle aus einem mehrmonatigen Theater-Dornröschenschlaf wachküssen (Infobox).

Zwei Mitstreiter hat die Weismainer Regisseurin für ihr Kammertheater gewonnen. Andreas Gräbe aus Dinkelsbühl spielte unter ihrer Leitung 2017 bei den Rosenberg Festspielen in Kronach den Marquis de Forlipopoli in dem Stück „Mirandolina“ von Carlo Goldoni. Komplettiert wird das Zwei-Mann-Stück von seinem Freund und Schauspielkollegen Bernd Berleb aus München.
„In Zeiten, in denen so manches eingeschränkt ist, entführt Theater die Menschen in eine andere Welt.“
Anja Dechant-Sundby, Regisseurin
In lockerer Runde sitzt das Trio in Anja Dechant-Sundbys Küche und lässt die ersten Proben noch einmal gedanklich Revue passieren, in denen Distanz statt Nähe angesagt war. „Aufgrund der räumlichen Entfernung probten wir über das Internetprotal ,Zoom‘. Es war eine Art Videokonferenz“, erläutert die Regisseurin. Diese moderne Form des Probens habe ihnen die von vielen Künstlern so schmerzlich vermisste Perspektive wiedergegeben, sind sich alle drei einig. „Man kann mit guter Vorbereitung auch aus der Distanz etwas erarbeiten“, sagt Dechant-Sundby.
Für sie und ihre beiden Schauspieler steckt das Stück, in dem ein Homosexueller und ein Revolutionär in einem Gefängnis aufeinandertreffen, voll aktueller Bezüge. Etwa das Eingesperrtsein. „Wir wollen mit der Aufführung keineswegs vermitteln, dass wir uns im Rahmen von Corona inhaftiert fühlen“, betont Gräbe jedoch. Vielmehr gehe es um das Suchen nach einer Perspektive, bei der sich für den Schauspieler Fragen wie „Woran kann ich gerade glauben? Was vermittelt mir Zuversicht? Wann ändern sich die beklemmenden Lebensumstände?“.
In Zeiten des Populismus das Bewusstsein schärfen
Das Stück, das in Argentinien während der Zeit der Diktatur in den 1970-er Jahren spielt, hat eine zeitlose politische Dimension. Es könnte auch im Dritten Reich oder in Weißrussland spielen. Alle drei finden es wichtig, in Zeiten, in denen in vielen Ländern Autokraten und Populisten an den Schalthebeln der Macht sitzen und jeder aufgerufen ist, die Demokratie vor rechtsextremen Tendenzen zu schützen, ein Stück wie dieses aufzuführen. Kultur ist für sie ein Kanal, um Bewusstsein zu schärfen, zu sensibilisieren und aufzuwecken.

Warum braucht es in Krisenzeiten Kultur mehr denn je? In Zeiten, in denen so manches eingeschränkt sei, entführe Theater die Menschen in eine andere Welt, meint Dechant-Sundby. „Der Zuschauer erkennt in unserem Stück, dass das Jonglieren zwischen Kindern und Eltern in Corona-Zeiten doch nicht so schwierig ist, wie in Buenos Aires im Gefängnis zu sitzen“, sagt die Weismainerin.
Aufgrund des Abstandsgebots sind in der Stadthalle nur 30 Besucher zugelassen. Dechant-Sundby ist zuversichtlich, dass Theater auch wieder zu einem Gemeinschaftserlebnis vor vollem Haus werde. Was ihr die Zuversicht gibt? „Das Theater in der Zeit von William Shakespeare hat zwei Pestepidemien überstanden.“
„Der Kuss der Spinnenfrau“ Aufführungen: Freitag, 16. Oktober, und Samstag, 17. Oktober, jeweils um 19.30 Uhr sowie am Sonntag, 18. Oktober, um 18 Uhr in der Stadthalle Weismain. Ticketreservierung unter Tel. 0173 922 22 34, per Mail anjadechant@gmail.com oder an der Abendkasse. Regie: Anja Dechant-Sundby. Die Leidenschaft der Weismainerin für die darstellende Kunst wurde sehr früh geprägt und gefördert unter anderem von dem Schauspieler Günther Strack und dem Regisseur Dieter Wedel. Regie führte sie unter anderem bei „Einer flog übers Kuckucksnest“ (Studiobühne Bayreuth), „Ernst sein ist alles“ (Leuchtenberg Festspiele), „Dschungelbuch“ (Naturbühne Trebgast), „Draußen vor der Tür“ (Studiobühne Bayreuth), „Mirandolina“ (Rosenberg Festspiele) und „Die Wanderhure“ (Naturbühne Trebgast). Schauspieler: Der 46-jährige Bernd Berleb aus München wirkte in den Fernsehserien Aktenzeichen XY (ZDF) und Kommissar Schulze (SAT 1) mit. Zudem spielte er Theater an vielen deutschen Bühnen. Der 44-jährige Andreas Gräbe aus Dinkelsbühl war in der Fernsehserie „Die Pfefferkörner“ (ARD) und an vielen deutschen Bühnen zu sehen.