Strössendorf Von 1994 bis 2018 war Susann Biedefeld als SPD-Abgeordnete im Bayerischen Landtag tätig, wo sie unter anderem das Amt der stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden und der Generalsekretärin der Bayern-SPD inne hatte. Derzeit ist sie ehrenamtliche Vorsitzende der Franken-Akademie Schloss Schney sowie des VdK-Kreisverbands Coburg. Die gebürtige Kulmbacherin ist verheiratet und lebt in Strössendorf.
Obermain-tagblatt Was machen Sie, seit Sie nicht mehr Abgeordnete des Bayerischen Landtags sind?
Susann Biedefeld: Mir ist alles andere als langweilig. Viele – auch ich – haben gedacht, dass ich in ein schwarzes Loch falle. Aber das ist überhaupt nicht der Fall. Ich habe jetzt Zeit für das, was ich liebe, wozu ich vorher keine Zeit hatte.
Was wäre das zum Beispiel?
Biedefeld: Ich habe mehr Zeit für meine Familie. Für meinen Mann und meine vier Geschwister. Ich freue mich über jede Minute mit meinen angeheirateten Enkelkindern Klara und Manuel. Am Wochenende habe ich mit Klara einen kleinen Schneemann gebaut. Oder wir haben ein Lebkuchenhaus selber gemacht. Für sowas hatte ich sonst nie Zeit. Das erfüllt mich richtig. Dann habe ich natürlich noch meine Franken-Akademie mit rund 30 Beschäftigten als ehrenamtliche Vorsitzende. Ich bin VdK-Kreisvorsitzende des Kreisverbands Coburg mit 22 Ortsverbänden und 11 000 Mitgliedern. Also mir wird so einfach nicht langweilig.
Im Gegenteil. Diese beiden Ehrenämter klingen nach viel Arbeitsaufwand.
Biedefeld: Ich habe in Coburg eine tolle Geschäftsstelle mit einem wirklich sehr, sehr engagierten Team an Hauptamtlichen, die mich in meiner Arbeit enorm unterstützen. Wenn es irgendwie möglich ist, bin ich draußen bei meinen Ortsverbänden. Das ist ein gewisses Kontrastprogramm zur SPD. Ich war 24 Jahre lang Abgeordnete, aber ich bin schon seit über 40 Jahren in der SPD. Ich muss sagen, ich habe die Arbeit leidenschaftlich gern gemacht, aber wir sind immer weniger geworden. Wir haben immer weniger Zuspruch bekommen und das hält ja auch an. Leider. Und beim VdK ist es genau umgekehrt. Trotz Corona nehmen wir stetig an Mitgliedern zu.
Wie erklären Sie sich diese unterschiedlichen Entwicklungen?

Biedefeld: Das zeigt natürlich unsere Gesellschaft auf. Es suchen immer mehr Menschen Hilfe beim VdK. Die Kernaufgabe des VdK ist die Rechtsberatung zu allen sozialen Themen. Da merkt man, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Auch in Bayern nicht. Dem VdK geht es darum, Ansprüche einzufordern von Krankenkassen, von Rentenversicherungen und so weiter. Wir haben im Jahr 2019 allein im Kreisverband Coburg 1,1 Millionen Euro für unsere Mitglieder per Klage erstritten. Das ist Geld, das ihnen rechtlich zusteht. Immer mehr Menschen brauchen diese Hilfe. Fälle, die aktuell verstärkt kommen, sind solche von Bürgern, die mit den Nachwirkungen von Corona zu kämpfen haben, wo die Krankenkassen nicht mitspielen. Das ist ein ganz neues Feld, auch für uns als VdK.
Sie sind mit 16 Jahren in die SPD eingetreten. Haben Sie Tipps für junge Menschen, die sich politisch engagieren möchten?
Biedefeld: Einfach mitmachen und reinschnuppern. Ich habe das bei den Jusos auch so gemacht. Wir haben uns damals für den Disko-Bus eingesetzt. Wir waren unterwegs, standen vor Diskotheken, in der Fußgängerzone und wir haben das geschafft. Man braucht nicht immer nur jammern und kritisieren, sondern man muss solche Gelegenheiten nutzen, mitzugestalten.
Wenn ich sehe, was diese Woche in den USA abgelaufen ist, da wird mir Angst und Bang. Eine Demokratie fällt nicht vom Himmel. Man muss jeden Tag aufs Neue für unsere Demokratie kämpfen. Und dafür lohnt es sich zu kämpfen.
Darum leite ich auch die Franken-Akademie: Politische Bildung spielt bei allen Parteien, auch bei meiner eigenen, eine viel zu geringe Bedeutung. Schule kann nicht alles leisten. Wenn ich so sehe, was junge Erwachsene von unserem Staat wissen, ist das erschreckend. Darum bedarf es einer weitaus stärkeren Unterstützung der politischen Bildung und damit auch der Franken-Akademie, für die ich leidenschaftlich kämpfe.
Dieses Jahr ist Bundestagswahl. Bereitet Ihnen Sorgen, dass ein Teil unserer Gesellschaft Demokratie und Wissenschaft negiert?

Biedefeld: Ich mache mir große Sorgen. Ich will diejenigen, die auf den Demos sind, nicht alle über einen Kamm scheren. Ich kann es nur schlecht nachvollziehen, wenn ich die Zahlen sehe, wenn ich die Situation auf unseren Intensiv- und Corona-Stationen sehe, wenn ich die Zahl der Toten auch im Landkreis sehe. Dann zu behaupten, es gibt kein Corona? Das ist mir ein Rätsel. Auch wenn ich das Thema Impfstoff nehme und diese Diskussion mitverfolge. Das ist Wasser auf die Mühlen der AfD und wir sind im Jahr der Bundestagswahl.
Gerade zu Corona-Zeiten, und das betrifft alle Parteien, nicht nur die SPD, kommt man ja an die Menschen gar nicht ran. Man überzeugt nicht nur mit Plakaten oder Flyern, sondern vor allem im persönlichen Gespräch. Wie da ein Bundestagswahlkampf stattfinden soll, wie man Menschen von den Zielen der SPD überzeugen soll, ist mir ein Rätsel. So eine Situation hatten wir ja noch nie. Natürlich gibt es Angebote wie Online-Konferenzen, aber es gibt auch viele Menschen, die gar nicht die Ausrüstung, die Technik dafür haben. Diese Bürger grenze ich damit aus und das will ich nicht.