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Lohr: »Sozialstaat wichtiger denn je«

Lohr

»Sozialstaat wichtiger denn je«

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    »In einer Zeit des Umbruchs und der Verunsicherung ist ein starker Sozialstaat wichtiger denn je.« Das hat Holger Kempf bei der Mai-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am Donnerstag auf dem Lohrer Marktplatz betont. Der Bezirksleiter Mainfranken der IG BCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie) war Hauptredner der gut besuchten Veranstaltung, die unter dem Motto »Mach Dich stark mit uns« stand.

    Die Gewerkschaften sind nach Kempfs Worten der »Grundstein der sozialen Marktwirtschaft« und kein »Tarifversicherungsverein«. Der DGB und seine Einzelgewerkschaften stünden für Vielfalt, Gleichheit und Chancengerechtigkeit. »Wir wollen nicht zulassen, dass das Extreme die neue Normalität wird«, so der Bezirksleiter.

    Die großen Herausforderungen könne Deutschland nur im Schulterschluss mit den anderen EU-Ländern meistern. Denn die gegenwärtigen Probleme machten nicht an den Grenzen Halt. Europa müsse sich auf die neuen Machtverhältnisse in der Welt einstellen und stärker auf eigenen Füßen stehen, forderte Kempf.

    Sozialen Fortschritt fördern

    Zwar müsse Europa wettbewerbsfähiger werden, »aber nicht schon wieder zulasten der Beschäftigten«. Das gehe nur, wenn Europa den sozialen Fortschritt fördere. Mitgliedsstaaten mit robusten Sozialsystemen seien nachweislich besser durch die Krisen der letzten Jahre gekommen. Deshalb seien starke Sozialsysteme, so Kempf, die Voraussetzung für mehr Wettbewerbsfähigkeit.

    Der Sozialstaat dürfe nicht gegen Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft oder zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit ausgespielt werden. Eine Investitionsoffensive zu starten, ist nach Kempfs Worten »anspruchsvoll, aber bitter nötig«. Wenn es um Investitionen in eine zukunftsfeste Wirtschaft, die Stärkung der Bahn und den Neubau von Schulen und Brücken gehe, »spricht nichts gegen Kredite«.

    Laut Kemp ist es »völlig gerechtfertigt, die kommenden Generationen an der Finanzierung zu beteiligen«. Deshalb brauche es eine »umfassende Reform der Schuldenbremse«. In der jetzigen Form sei die Schuldenbremse eine »Zukunftsbremse«. Eine Erhöhung der Umsatz- und der Verbrauchssteuern lehnte er ab.

    Zum Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) erklärte der Bezirksleiter, sie müsse die Beschäftigen entlasten und unterstützen. Auf keinen Fall dürfe KI zu einer »unmenschlichen Effizienzmaschine« werden, um Beschäftigte fremdzusteuern, zu überwachen und anzutreiben. Betriebs- und Personalräte müssten daher beim KI-Einsatz von Anfang an eingebunden werden.

    Für die Vergabe öffentlicher Aufträge verlangte Kempf die Tariftreue, das heißt, sie sollten nur noch an Betriebe mit Tarifbindung vergeben werden. Es sei den Beschäftigten und der Bevölkerung nicht zu vermitteln, dass sie Steuern zahlten, »damit Firmen im Auftrag des Staates Lohndumping betreiben und tarifgebundene Wettbewerber schädigen«.

    Beitritt vor 130 Jahren

    Harald Merz, Betriebsratsvorsitzender der Gerresheimer Lohr GmbH, erinnerte daran, dass im April vor 130 Jahren 15 junge Glasmacher in Lohr zwischen 19 und 35 Jahren in die örtliche Gruppierung des Glasmacherverbandes eingetreten sind. Dieser mutige Schritt 1895 habe den Grundstein für die gewerkschaftliche Bewegung in Lohr gelegt. Diese 15 Männer hätten verstanden: »Nur gemeinsam sind wir stark.«

    Die Unternehmen stehen nach Merz' Worten unter Druck. Zwar planten sie Investitionen, trotzdem drohten Kurzarbeit, Verlagerungen oder gar Schließungen. Gerresheimer habe so viel wie noch nie in die Lohrer Glashütte investiert. Dennoch wachse bei den Kollegen die Unsicherheit. Zur Standortsicherung müsse der Gleisanschluss weiterhin Bestand haben, um wichtige Rohstoffe mit der Bahn geliefert zu bekommen.

    »Mehr als nur warme Worte« forderte der Betriebsratsvorsitzende in der bevorstehenden Tarifrunde Hohl- und Kristallglas in Bayern. Die Gewerkschaft wolle ein reales Plus für die Beschäftigten und Auszubildenden. Angesichts steigender Preise und Anforderungen müsse dafür Spielraum sein.

    DGB-Kreisvorsitzender Stefan Rümmer teilte mit, seine Organisation habe entschieden, die Maikundgebungen in Lohr auch in Zukunft fortzusetzen. Sie lägen zwischen den beiden großen Kundgebungen in Aschaffenburg und Würzburg. Zur aktuellen Lage sagte er, viele Arbeitsplätze stünden auf der Kippe.

    Behauptungen, die deutschen Arbeitnehmer arbeiteten zu wenig und seien zu oft krank, nannte Rümmer »billige Stimmungsmache der Arbeitgeber-Lobby«. Ihr Ziel sei es, die Arbeitszeiten zu verlängern und die Löhne zu drücken. »Das werden wir Gewerkschafter nicht zulassen«, versicherte er.

    Viele Überstunden

    Tatsächlich hätten die abhängig Beschäftigten in Deutschland voriges Jahr über 54 Milliarden Stunden gearbeitet, darunter über 600 Millionen unbezahlte Überstunden. Die Arbeitnehmer seien nicht schuld an Managementfehlern, Investitionsstaus und Wirtschaftsflaute, so der DGB-Kreisvorsitzende.

    Für den musikalischen Rahmen der Kundgebung sorgte der Singer und Songwriter Kai Höfling.

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