Mit selbstgebastelten Folien für den Projektor hat Wolfgang Schmitt seine Lehramtslaufbahn begonnen. Nach Erfahrungen mit digitalem Distanz-Unterricht während der Corona-Pandemie und im Angesicht von Tablet und multimedialer Tafel hatte er Ende Juli seinen letzten offiziellen Arbeitstag an der Grundschule Lohr. Der Rektor geht in den Ruhestand.
Warum sind Sie Lehrer geworden?
Wolfgang Schmitt: Das hat mit meiner sportlichen Herkunft zu tun. Ich komme ja vom Schwimmen. Schon als Gymnasiast habe ich Kindergruppen betreut. Ich habe sie im Schwimmen trainiert und gemerkt, das macht mir Spaß.
Würden Sie sich wieder für diesen Beruf entscheiden?
SCHMITT: Ich hab es nicht bereut. Die Rolle des Lehrers hat sich allerdings extrem verändert, finde ich. Das weiß man ja aber nicht im Voraus. Insofern würde die Entscheidung mit Sicherheit wieder so fallen, denke ich mal. Aber es wäre ein komplett anderer Beruf, der auf mich zukäme.
Was hat sich verändert?
SCHMITT: Es gab kein W-Lan, keine Tablets, keine Handys. Man hat eine Folie auf den Projektor gelegt. Ich weiß noch, dass es beim Umzug des Gymnasiums ins Nägelsee-Schulzentrum eine absolute technische Neuerung war, dass da in jedem Klassenzimmer ein Fernsehgerät hing. Aber die Landkarten waren aufgerolltes Papier. Jetzt kommt diese ganze technische Neuerung dazu: digitale Tafeln, die Möglichkeiten mit Smartphone, mit Tablets, mit Lernplattformen. Die komplette Gesellschaft hat sich verändert und dadurch auch die Kinder – in jede Richtung. Auf viele hat früher jemand gewartet, der ein Mittagessen für sie gekocht hatte. Da gab es keine Mittagsbetreuung. Wenn die Hausaufgabe gemacht war, sind die Kinder entweder ins Schwimmbad oder auf den Spielplatz. Dort fand soziales Lernen statt. Wir haben miteinander gespielt und uns gegenseitig erzogen. Mehr oder weniger, aber es hat funktioniert. In der Schule war das kein Thema. Jetzt setzen wir uns damit hier auseinander, wie wir miteinander umgehen. Heute sind viele Kinder rund um die Uhr betreut. Von 240 Schülerinnen und Schülern gehen 200 in die Betreuung. Das bringt für uns auch Raumprobleme mit sich.
Sie haben das digitale Lernen schon angesprochen. Wie sieht das hier an der Schule aus?
SCHMITT: In jedem Klassenzimmer ist eine digitale Tafel. Das heißt, von einfachen Schaubildern, wo man Geldstücke hin und her schieben oder Buchstaben nachzeichnen kann, bis hin zu Zugang zum Internet ist alles möglich. Wir haben circa 60 Tablets. Spätestens ab der 3. Klasse fangen die Schüler an, im Internet zu recherchieren. Sie müssen beispielsweise kleinere Referate über ein Tier halten. Sie bekommen von den Lehrkräften Tipps, wo sie Informationen herbekommen und wie es technisch funktioniert. Früher habe ich mir ein Arbeitsblatt gebastelt, zum Beispiel über das menschliche Auge. Heute sagst du der Künstlichen Intelligenz, erstelle mir ein Arbeitsblatt zu den Bestandteilen des Auges für die Grundschule. Dann kriegst du ein fertiges Arbeitsblatt geliefert.
Gibt es auch Nachteile?
SCHMITT: Der digitale Unterricht ist durchaus kritisch zu sehen. Wir versuchen, die Kinder dazu zu bringen, nicht mehr als 30 Minuten am Tag am Computer oder Smartphone zu hängen. In der Schule erziehen wir sie zur Nutzung. Dazu kommen die Auswirkungen von Corona. Damals war soziales Lernen erschwert. Am Computer muss man keine Regeln miteinander ausmachen, man muss sich nicht absprechen, keine Rücksicht nehmen. Jetzt verbringen wir viel Zeit damit, Regeln zu vereinbaren. Beispiel: Wir begrüßen uns am Vormittag, wenn wir uns das erste Mal sehen. Es geht ums Ordnung-Halten und andere vermeintliche Selbstverständlichkeiten. Es ist auch wichtig, dass Eltern darauf achten, dass soziale Kontakte nicht nur digital erfolgen.
Was hat sich in den Jahren verbessert?
SCHMITT: Die Ausrüstung ist besser und vielfältiger geworden. Auch, dass sich die Schule geöffnet hat. Früher haben wir den Vormittag hier verbracht, sind höchstens mal zum Wandertag raus, und es kam niemand herein. Mittlerweile kommt die Musikschule. Wir haben die Hausaufgabenhilfe und Lesepartner. Wir haben externe Partner, die Gesundheitstipps geben oder zur Sexualerziehung beitragen. Es kommen Menschen vom Roten Kreuz oder eine Imkerin. Wir gehen auf die Streuobstwiese und verarbeiten die Äpfel zusammen mit externer Hilfe.
Und verschlechtert?
SCHMITT: Wir haben immer genügend Lehrer gehabt, aber wir haben heutzutage Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis, verbeamtete Lehrer, Drittkräfte, die einen pädagogischen Hintergrund haben und in kleinen Gruppen mit den Kindern arbeiten können. Wir haben sehr viele Lehrer in Teilzeit, vor allem Mütter. Manche arbeiten, nachdem ich sie angesprochen habe, während der Elternzeit für acht, zehn oder zwölf Stunden bei uns, unter der Zusage, dass die Betreuung ihrer Kinder Vorrang hat, beispielsweise wenn das Kind krank ist. Das läuft insofern gut, als diese Kräfte im Notfall untereinander tauschen, sich absprechen. Aber bei so vielen kleinteiligen Arbeitsverhältnissen ist der Organisationsaufwand enorm. Das ist ein riesiges Puzzle. Ich will nicht sagen, dass es schlechter ist, aber komplizierter.
Mit welchem Hintergrund haben Sie es bei Ihren Schülerinnen und Schülern zu tun?
SCHMITT: Wir haben top geförderte Kinder, die von der Musikschule über den Sportverein und über sonst was eingebunden sind. Und wir haben Kinder, die wenig direkte Betreuung zu Hause haben und bis 16 Uhr bei uns sind. Die Frage ist, ob dann jemand daheim auf sie wartet. Sie sind dann nicht im Verein oder der Musikschule. Die Schere zwischen beiden Gruppen geht mehr auf als zu. Das ist auch eine Veränderung zu früher: Wir müssen einem größeren Spektrum gerecht werden – den Starken und den Schwachen. Das geht leider zulasten von Projekten wie dem Schulspiel oder dem Schulgarten. Wir brauchen diese Stunden für die Förderung. Es sind ja noch weitere Themen dazugekommen: Integration, Inklusion und Sprachförderung.
Was wünschen Sie sich für die Kinder?
SCHMITT: In Lohr wird unheimlich viel an Jugendarbeit geleistet. Allein die Vereine tragen dazu viel bei, von Sport bis Pfadfinder und Ministranten. Ich komme jetzt wieder von der Sportseite: Müssen in den Ferien, wo die Kinder am meisten Zeit haben, die Sportplätze geschlossen sein? Kann man im Sommer nicht den Nägelsee-Sportplatz, wie in Würzburg den Sanderrasen, öffnen und gegen ein Pfand Bälle ausgeben? Positiv ist, dass den Vereinen jetzt die Hallengebühren für den Kinder- und Jugendsport erlassen werden.
Was wünschen Sie sich für die Schule?
SCHMITT: Es fehlen uns im Moment mindestens zwei Lehrkräfte. Da wünsche ich mir, dass die Stellen mit ausgebildeten Grundschullehrern besetzt werden. Ich würde mich freuen, wenn diese mit einer hohen Stundenzahl kontinuierlich mit den Kindern arbeiten könnten. Gerade wenn es ums Einhalten von Regeln geht, ist es gut, wenn eine Lehrkraft dranbleiben kann. Kontinuität würde ich mir auch für die Lehramtsanwärter wünschen. Sie sind zwei Jahre an unserer Schule, engagieren sich, bringen neue Ideen, wovon das ganze Kollegium profitiert. Wenn sie sich eingearbeitet haben und mit ihrer Ausbildung fertig sind, werden sie versetzt. Meistens nach Oberbayern. Wie soll man da Schulentwicklung betreiben? Angeblich steigen die Zahlen der Studierenden für das Grundschullehramt. Ich hoffe, dass das stimmt. Das Schlimmste wäre, wenn der Schlüssel für die Klassen hochgesetzt würde. Wir dürfen die Klassen jetzt schon erst teilen, wenn es mehr als 28 Kinder sind. Und das bei der Schere, die immer weiter aufgeht. Das bringt selbst Profis an ihre Grenzen. Die Folge sind Erkrankungen. Schon fehlt noch einer mehr... Auch die Teilzeit zu beschränken halte ich für fatal. Dann entscheiden sich noch weniger für den Beruf. Wer Teilzeit arbeitet, hat dafür Gründe.
Was sollten junge Menschen mitbringen, die sich fürs Lehramt interessieren?
SCHMITT: Humor, Geduld und Erfahrung mit Kindern. Über sich selbst lachen können.
Zur Person: Wolfgang Schmitt
Wolfgang Schmitt wurde in Lohr geboren, ist in der Stadt aufgewachsen, hat das Franz-Ludwig-von-Erthal-Gymnasium besucht und dort Abitur gemacht. Sein Lehramtsstudium absolvierte er nach dem Wehrdienst in Würzburg, wie Schmitt berichtet. Seine erste Lehramtsanwärterstelle hatte er in der Grundschule in Karlstadt. Nach vier Jahren wurde er nach Wiesenfeld versetzt. „Da war ich 15 Jahre. Seit 2007 bin ich in Lohr, anfänglich als Konrektor und ab 2014 als Rektor“, informiert der Lehrer auf der Schwelle zum Ruhestand. (mb)
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden