Am neuen Lern- und Erinnerungsort Notaufnahmelager Gießen wird für die Besucher ein wichtiges Kapitel der deutschen Geschichte erlebbar. Zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Fall des Eisernen Vorhangs kamen hier hunderttausende Menschen aus der früheren Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise aus der späteren DDR an, denen sich damit das Tor zur Freiheit öffnete. Hessens Kultusminister Armin Schwarz (CDU) und der frühere Bundespräsident Joachim Gauck eröffneten den Gedenkort am Abend bei einem Festakt in Gießen.
Heute sei vielen dieser Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte gar nicht mehr präsent, sagte Gauck laut Mitteilung. Die Gedenkstätte solle dazu beitragen, dieses Kapitel für die kommenden Generationen zu bewahren. «Es erinnert an Flucht, Vertreibung, Neuanfang - als deutsche Geschichte, aber auch als Menschheitsgeschichte», so Gauck.
Bis 2018 Anlaufstelle für Schutzsuchende
Das Notaufnahmelager Gießen hatte von 1946 bis 1989 als zentrale Anlaufstelle für fast eine Million Menschen gedient, die aus der DDR und anderen osteuropäischen Staaten nach Westdeutschland flohen. Auch ein Großteil der rund 33.000 durch die Bundesrepublik freigekauften politischen Häftlinge der DDR kam nach Angaben der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung hier an.
Nach der deutschen Wiedervereinigung war die Einrichtung bis zu ihrer Schließung im September 2018 noch für fast drei Jahrzehnte Anlaufstelle für Schutzsuchende aus verschiedensten Herkunftsländern. Mit Investitionen von rund 6,8 Millionen Euro wurde nun der Lern- und Erinnerungsort hier eingerichtet. Fünf Millionen Euro davon bestritt das Land Hessen, die übrigen 1,8 Millionen Euro steuerte der Bund bei.
Ort für lebendige Erinnerungsarbeit
«Als einmaliger Lern- und Erinnerungsort kann die Gedenkstätte sowohl Diktaturerfahrung als auch positive Demokratiegeschichte vermitteln», erklärte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU). «Ob für Heimatvertriebene, DDR-Flüchtlinge oder später auch für Asylsuchende – hier begannen die ersten Schritte eines Lebens in Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ihre Geschichten und Erfahrungen wollen wir in der ersten und einzigen vom Land getragenen Gedenkstätte erzählen.»
Kultusminister Schwarz bezeichnete den Lern- und Erinnerungsort als echten Gewinn für die historisch-politische Bildungsarbeit in Hessen. Im Sinne einer lebendigen Erinnerungsarbeit und Demokratievermittlung für Schülerinnen und Schüler werde ein Fokus der Arbeit auf Zeitzeugen liegen.
Das rund 1.500 Quadratmeter große Gelände ist nunmehr auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Zum Angebot des Lern- und Erinnerungsortes Notaufnahmelager Gießen gehören Führungen, Workshops, Zeitzeugengespräche und Abendveranstaltungen.

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