Die documenta in Kassel hat ihren 70. Geburtstag mit einem Festakt gefeiert. Der Jahrestag sei ein Moment des Stolzes und der Würdigung, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta gGmbH, Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller (Grüne). «Die documenta war nie bequem», betonte er vor rund 1.100 Gästen in Kassel. Zu keinem Zeitpunkt sei sie Dekoration gewesen. «Sie war und sie ist ein Ort des Denkens und des Handelns mit den Mitteln der Kunst. Ein Ort des Suchens, des Streitens, der Auseinandersetzung mit der Zeit, in der wir leben.»
Jede documenta habe ihre Zeit nicht nur begleitet, sondern auch befragt - künstlerisch, gesellschaftlich und politisch. «In jeder Ausgabe der documenta verdichtet sich ein Moment Weltgeschichte, sichtbar gemacht durch Kunst.» Die letzte von massiven internationalen Antisemitismus-Diskussionen überschattete documenta im Jahr 2022 sei in besonderer Weise ein Wendepunkt gewesen. «Wir haben eine umfassende Aufarbeitung sowie Veränderungen in Gang gesetzt und waren bereit, aus diesen Erkenntnissen zu lernen.» Nun richte sich der Blick auf die Zukunft.
Zuversichtlicher Blick auf kommende documenta
Die Kuratorin der kommenden documenta 16, die US-Amerikanerin Naomi Beckwith, bringe eine Haltung mit, die die Kunst nicht in Opposition zur Gesellschaft denke, sondern als deren produktiven Teil, sagte Schoeller. Beckwith ist stellvertretende Direktorin und Chefkuratorin des New Yorker Guggenheim Museums. Ihr Zugang verbinde historische Präzision mit gesellschaftlicher Weitsicht. «Und das gibt Zuversicht.» Zuversicht auf eine documenta, die Brücken baue, ohne Konflikte zu negieren, die Positionen sichtbar mache ohne Beliebigkeit.
«Ein documenta ohne Kontroverse wäre keine documenta», sagte Hessens Kunstminister Timon Gremmels (SPD), der auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der documenta ist. Die Schau sei nie bequem gewesen, genau das mache sie wertvoll wie nie. Zugleich sei klar, dass die Freiheit der Kunst dort ende, wo sie zur Bühne für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit werde. Die Würde des Menschen sei unantastbar.
Gremmels: Kunst kann Gesellschaft verändern
Die Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sei nicht selbstverständlich, betonte Gremmels. Sie sei bedroht von autoritären Regimen, von Ideologen und Gewalt. «Es gibt auch in unserer Gesellschaft schon heute in den Parlamenten die, die als allererstes, wenn sie von rechts die Macht übernehmen wollen, an die Kunst ran wollen. Das wird das erste sein, was fallen wird - die Kunstfreiheit und die Kulturfreiheit und die Wissenschaftsfreiheit», mahnte Gremmels. Deswegen sei jede documenta auch ein Zeichen gegen solches Gedankengut. «Kunst und Kultur müssen frei sein», unterstrich Gremmels. Kunst könne die Gesellschaft verändern.
Die von Arnold Bode gegründete documenta wurde erstmals am 15. Juli 1955 in Kassel eröffnet. Die Schau, die neben der Biennale in Venedig als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst gilt, findet traditionell alle fünf Jahre statt und dauert jeweils 100 Tage. Die 16. Ausgabe ist für die Zeit vom 12. Juni bis zum 19. September 2027 geplant.



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