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Weltkunstausstellung: 70 Jahre documenta - Ein Blick zurück nach vorn

Weltkunstausstellung

70 Jahre documenta - Ein Blick zurück nach vorn

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    Zum Festakt soll das stadtweite Kunstprojekt «7000 Palmen» der Künstlerin Cosima von Bonin eröffnet werden.
    Zum Festakt soll das stadtweite Kunstprojekt «7000 Palmen» der Künstlerin Cosima von Bonin eröffnet werden. Foto: Swen Pförtner/dpa

    Sie hat Kunstgeschichte geschrieben, ist kontrovers und oft ein Zankapfel: Die Kasseler Weltkunstschau documenta feiert ihren 70. Geburtstag mit einem Festakt am 7. Juni. Am 15. Juli 1955 wurde die von Arnold Bode gegründete documenta zum ersten Mal in der nordhessischen Stadt eröffnet. Insgesamt 15 Ausgaben der documenta haben seitdem stattgefunden.

    Skandale begleiten die documenta seit ihrer Gründung. Aber der Eklat um die jüngste Ausstellung im Jahr 2022 stürzte die Schau, die neben der Biennale in Venedig als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst gilt, in ihre bislang wohl tiefste Krise.

    Umfassende Strukturreform nach Eklat

    Die documenta fifteen, kuratiert vom indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa, war von massiven internationalen Antisemitismus-Diskussionen überschattet worden. Bereits im Vorfeld waren Stimmen laut geworden, die Ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern eine Nähe zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS vorwarfen. Kurz nach der Eröffnung wurde eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgehängt. Später lösten weitere Werke scharfe Kritik und Forderungen nach Abbruch der Ausstellung aus.

    In der Folge wurden die Strukturen der documenta umfassend reformiert. Unter anderem wurde die Geschäftsleitung der documenta auf einen Verhaltenskodex, einen sogenannten Code of Conduct, verpflichtet.

    Neue Kuratorin als Hoffnungsträgerin

    Der Kasseler Kunstwissenschaftler und documenta-Kenner Harald Kimpel sah die documenta damals am Ende. Die 16. Ausgabe vom 12. Juni bis 19. September 2027 schwebte ihm als fulminantes Finale vor. Jetzt sieht er die Ausstellung wieder im Aufwind. «Mit Naomi Beckwith ist eine Person am Ruder, die als Hoffnungsträgerin der documenta gesehen wird», erläutert er. Ihre Wahl sei verknüpft mit einem «Rückwendungsversprechen». «Die documenta möchte zu Recht zurück zum personalisierten Kuratieren.» Statt des Kollektiven sei wieder die identifizierbare Person am Werk.

    Wie schon zur Gründung der documenta gehe es auch zu ihrem 70. Geburtstag um Vergangenheitsbewältigung. «Bei der ersten documenta 1955 ging es um die Bewältigung der nationalen Vergangenheit. Jetzt geht es um die Bewältigung der eigenen Vergangenheit der documenta», erläutert Kimpel. «Die Besinnung auf bewährte Strategien, die die documenta groß und zur weltweit wichtigsten Kunstherstellung gemacht haben, ist einfach nötig, um aus dem Dilemma der documenta fifteen rauszukommen.»

    Gremmels: «Mit richtigen Reformen Krise hinter uns gelassen»

    «Die documenta lebt!», sagt auch Hessens Kunstminister und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der documenta, Timon Gremmels (SPD). «Wir haben mit den richtigen Reformen die Krise hinter uns gelassen.» Er blicke mit Zuversicht auf die Zukunft der Schau. «Mit der neuen künstlerischen Leitung unter Naomi Beckwith wurde ein sehr klarer Kurs angekündigt, der künstlerische Freiheit mit einer starken Haltung gegen Antisemitismus und Diskriminierung verbindet. Denn Kunstfreiheit muss stets im Kontext gesellschaftlicher Verantwortung gedacht werden.»

    Beckwith unterstrich ihre Achtung für Menschenwürde und für gegenseitigen Respekt, als sie im März bei einem öffentlichen Auftritt in Kassel erste Einblicke in ihre kuratorische Arbeit gab. Sie sei offen für Debatten und Diskussionen, «aber ich werde keine physische, verbale oder symbolische Gewalt gegen andere dulden», betonte sie. Die 49-Jährige ist Direktorin und Chefkuratorin des New Yorker Guggenheim Museum - zuvor arbeitete sie am Museum of Contemporary Art in Chicago und am Studio Museum in Harlem.

    Der Antisemitismus-Eklat habe eindrücklich gezeigt, wie wichtig die Verantwortung der Kuratorinnen und Kuratoren ist und welche strukturellen Veränderungen bei der documenta notwendig waren, erklärt Gremmels. «Zum 70. Geburtstag können wir mit Stolz auf die documenta blicken – als eine Institution, die sich kontinuierlich selbst hinterfragt, reflektiert und weiterentwickelt.»

    Die Kunstschau sieht er nun für die Zukunft gut aufgestellt. Der Aufarbeitungsprozess sei umfassend gewesen. Gesellschafter und gGmbH hätten die erforderlichen Reformen umgesetzt. Skandale seien nie vollständig auszuschließen, gerade bei einer Kunstinstitution, die sich durch kritische Auseinandersetzung und Mut auszeichne. «Wir haben jetzt aber den richtigen Instrumentenkoffer für den Krisenfall.»

    Die Diskussionen zur documenta fifteen und die Auseinandersetzung um Antisemitismus hätten alle herausgefordert, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller (Grüne). Doch gerade diese Herausforderung unterstreiche, wie relevant, notwendig und wirksam die documenta als Ort des kritischen Diskurses sei.

    «Wie in den zurückliegenden Monaten sichtbar wurde, stehen wir als Stadt zu unserer Verantwortung: Wir wissen um die Bedeutung der Kunstfreiheit – ebenso wie um die Pflicht, klare Grenzen gegenüber jeder Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu ziehen», betont Schoeller.

    Schoeller: «Nicht verpflichtet, alles schweigend zu tolerieren»

    Das Prinzip der documenta basiere auf Toleranz und Vertrauen. «Der Künstlerischen Leitung wird Kassel zur Durchführung der Ausstellung anvertraut und alles, was im Rahmen der Gesetze dort veranstaltet wird, wird toleriert werden.» Aber die veranstaltende Träger-Gesellschaft sei nicht verpflichtet, alles schweigend zu tolerieren. «Sie ist ein Akteur, der sich in Fällen, wie sie auf der documenta 15 aufgetreten sind, kontextualisierend äußern darf und dies auch muss.»

    Die documenta sei nun «durch grundlegende organisatorische Änderungen gewappnet, ihren Schutzauftrag für den Fall gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu erfüllen und gleichzeitig das documenta-Prinzip von Vertrauen und Toleranz unangetastet zu lassen», so Schoeller.

    Hoffmann: «documenta war und ist Spiegel ihrer Zeit»

    Der documenta-Geschäftsführer Andreas Hoffmann betont die Bedeutung der Kunstschau damals wie heute. «Die documenta war nie ein Ort fertiger Antworten», sagt er. Aber sie sei immer ein Ort gewesen, an dem die drängenden Fragen gestellt worden seien – oft früher als anderswo.

    «Die Themen, die uns heute umtreiben – Erinnerungskultur, Nachhaltigkeit, postkoloniale Kritik, digitale Überforderung, gesellschaftliche Fragmentierung – sie alle wurden von der Kunst auf dieser Plattform schon früh verhandelt. Mit ihren eigenen Mitteln. Mit einer Ästhetik und Offenheit, wie sie nur die Kunst bereitstellen kann», so Hoffmann.

    «Sie war und ist ein Spiegel ihrer Zeit, ein Seismograf gesellschaftlicher Errungenschaften und Erschütterungen, ein Ort der Reflexion, der Auseinandersetzung und – ja – auch der Hoffnung. Man könnte sie auch als ein Verständigungsinstrument begreifen.» Mit dieser Haltung bewege man sich auf die nächste documenta zu.

    «Die documenta war nie ein Ort fertiger Antworten», sagte Geschäftsführer Andreas Hoffmann. (Archivbild)
    «Die documenta war nie ein Ort fertiger Antworten», sagte Geschäftsführer Andreas Hoffmann. (Archivbild) Foto: picture alliance / Uwe Zucchi/dpa
    Kurz nach der Eröffnung der documenta fifteen wurde eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgehängt. (Archivbild)
    Kurz nach der Eröffnung der documenta fifteen wurde eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgehängt. (Archivbild) Foto: Uwe Zucchi/dpa
    Naomi Beckwith betont, sie werde keine physische, verbale oder symbolische Gewalt gegen andere dulden. (Archivbild)
    Naomi Beckwith betont, sie werde keine physische, verbale oder symbolische Gewalt gegen andere dulden. (Archivbild) Foto: Uwe Zucchi/dpa
    Skandale begleiten die documenta seit ihrer Gründung. (Archivbild)
    Skandale begleiten die documenta seit ihrer Gründung. (Archivbild) Foto: Swen Pförtner/dpa
    Naomi Beckwith ist Direktorin und Chefkuratorin des New Yorker Guggenheim Museum. (Archivbild)
    Naomi Beckwith ist Direktorin und Chefkuratorin des New Yorker Guggenheim Museum. (Archivbild) Foto: Uwe Zucchi/dpa
    Die documenta fifteen wurde von massiven internationalen Antisemitismus-Diskussionen überschattet. (Archivbild)
    Die documenta fifteen wurde von massiven internationalen Antisemitismus-Diskussionen überschattet. (Archivbild) Foto: Uwe Zucchi/dpa
    Bei einem Festakt am Samstag soll an die Gründung der Weltkunstausstellung erinnert werden. (Archivbild)
    Bei einem Festakt am Samstag soll an die Gründung der Weltkunstausstellung erinnert werden. (Archivbild) Foto: Swen Pförtner/dpa
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