Wer in diesen Tagen mit Politikwissenschaftlern und sonstigen Experten spricht, der könnte den Eindruck bekommen, es wäre beinahe egal, wer die Wahlen in den USA an diesem Dienstag gewinnt. Ob Donald Trump oder Kamala Harris – so oder so kämen schwierigere Zeiten auf Deutschland und Europa zu, so heißt es. Beide möglichen Präsidenten würden dem asiatischen Raum mehr Aufmerksamkeit schenken, die Rivalität mit China steht für die USA stärker im Fokus als Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Höchste Zeit also, dass die Europäer sich von der Schutzmacht USA entwöhnen und selbst genügend Geld für ihre Armeen und ihre Sicherheit ausgeben. Die guten alten, transatlantischen Zeiten enden, so dieses Narrativ, unabhängig davon, ob Trump oder Harris ins Weiße Haus einziehen.
Natürlich ist diese Analyse nicht falsch. Im Gegenteil: Deutsche und Europäer müssen sich darauf einstellen, ihr Schicksal ein Stück weit stärker selbst in die Hand zu nehmen, wenn sie weiter demokratisch, wohlhabend und weitgehend friedlich leben wollen. Wahr ist zudem auch: Bereits Joe Biden, womöglich der letzte Präsident, der sich Europa emotional verbunden fühlt, hat gezeigt, dass er auf die Europäer wenig Rücksicht nimmt, wenn es um die amerikanische Wirtschaft geht.
Donald Trump ist ein verurteilter Straftäter
Trotzdem ist es natürlich alles andere als egal, wer das Rennen um das Präsidentenamt macht. Zur Wahl stehen ein Mann, der Soldaten gegen politische Gegner einsetzen will, der Frauen mit unsäglicher Sprache herabwürdigt, einer, dem es egal ist, ob er mit dem französischen Präsidenten ein Geschäft macht oder mit Nordkoreas Diktator. Ein verurteilter Straftäter, der Schweigegeldzahlungen an einen Pornostar vertuscht hat, ein Egomane, der seine Anhänger schon einmal zur Gewalt angestachelt hat, weil ihm ein Wahlergebnis nicht passte, einer, der in diesen Tagen erneut zeigt, dass er auch eine neuerliche Niederlage nicht akzeptieren würde.
Oder eben Kamala Harris. Sicher, Harris hat aus ihren vier Jahren als Vizepräsidentin nicht allzu viel gemacht (Stichwort: Migration). Auch, ob sie gut beraten war, auf den letzten Metern des Wahlkampfs Trump als Faschisten zu brandmarken, anstatt zu erklären, wie sie dafür sorgen will, dass Amerikas Mitte wirtschaftlich besser über die Runden kommt, kann man bezweifeln. Zumindest aber hält sich Harris an die demokratischen Spielregeln, stellt die Gewaltenteilung nicht infrage und ruft nicht zur Gewalt gegen politische Gegner auf. Es sagt viel über den Zustand der amerikanischen Politik aus, wenn man damit schon mal zufrieden sein muss.
US-Wahl ist ein Weckruf für die deutsche Politik
Verstörend bleibt die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, die der Wahlkampf täglich gezeigt hat. Verstörend bleibt, wie viele Menschen bereit sind, über die charakterlichen Abgründe eines Donald Trump hinwegzusehen, einfach, weil sie ihm zutrauen, dass er für sinkende Mieten und bezahlbare Lebensmittel sorgt. Genau hier finden sich die Lehren für Deutschland. Wenn eine Politik der Mitte die Probleme der Menschen nicht mehr adressiert, wenn eine Regierung wie derzeit die Ampel nur noch als dysfunktional wahrgenommen wird, weil sie öffentlich streitet, statt Probleme anzupacken, dann könnten auch hierzulande amerikanische Verhältnisse drohen. Die jüngsten Wahlergebnisse für AfD und BSW sind Vorboten davon.
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