Die Luft ist zum Schneiden in Saal 237. Knapp 30 Grad Raumtemperatur, stickig, der letzte Rest an Sauerstoff im Hamburger Strafjustizgebäude aus der Kaiserzeit scheint verbraucht. Dabei halten in dem Verhandlungssaal fast alle den Atem an. Vorne die Richterin mit Schöffen und Beisitzern, die sieben Angeklagten mit ihren Verteidigern in schwarzen Roben, die Staatsanwältinnen, der Nebenkläger; hinten etwa je 50 Journalisten und Zuschauer, durch eine meterhohe Glasfront von den Hauptdarstellern getrennt. Seit gut einer Stunde spricht Christina Block, 52, helle Hose, blonder Kurzhaarschnitt, an diesem Tag. Sie ist die Tochter der Hamburger Unternehmer-Legende Eugen Block (84), selbst Unternehmerin in dem Firmengeflecht aus Block House, Fünfsternehotel Grand Elysée und eigener Fleisch-, Brot- und Soßenproduktion. Nur eines ist sie nicht, obwohl es das Etikett bis in die New York Times geschafft hat: Steakhaus-Erbin. Sie hat noch nie eins geerbt. Und ob sie es je wird, steht in einem anderen Kapitel dieser Block-Saga.
Christina Block liest aus ihrer 76 Seiten starken Erklärung vor. Die Staatsanwaltschaft wirft der inzwischen nicht mehr nur hamburgweit bekannten öffentlichen Person vor, zwei der eigenen Kinder entführt zu haben. Nicht selbst, sondern als Auftraggeberin. Kindesentführung ist ein schweres Verbrechen, das mit fünf oder in besonders perfiden Fällen mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann. In Saal 237 steuert die Angeklagte ungewollt auf einen frühen Höhe- oder Tiefpunkt zu, als sie in die knisternde Atmosphäre hinein sagt: „Du Stephan, hast gewonnen. Wir sind gedemütigt und blamiert.“
Christina Block fleht das Gericht an: „Schützen Sie meine Kinder!“
Stephan Hensel ist Christina Blocks Ex-Mann. Kaum zehn Meter entfernt hockt er mit zwei Anwälten gegenüber im Gerichtssaal. In diesem Prozess, in dem es um mehr geht als eine schwere Straftat und in dem alle sieben Angeklagten sich im Sinne der Anklage für unschuldig erklärten, wird eine zerbrochene Ehe eines Promi-Paares verhandelt, ein erbitterter, jahrelanger Sorgerechtsstreit um vier Kinder und nebenbei eine tiefgehende gesellschaftliche Frage: Muss die Öffentlichkeit jedes Detail aus diesem Privatkrieg erfahren? Für die Angeklagte und ihren Ex stellt sich diese Frage schon lange nicht mehr.
Der Vorsitzenden Richterin Isabel Hildebrandt geht es um die angeklagte Tat: Kindesentziehung, Kindesentführung mit Gewalt über die Grenze von Dänemark nach Deutschland und über alle Grenzen des bislang Vorstellbaren hinweg. Hensel hat ankündigen lassen, eine bei ihm in Dänemark lebende Tochter werde als Zeugin „gegen ihre Mutter“ aussagen. Block will die bei ihr in Hamburg verbliebene Tochter ebenfalls als Zeugin benennen. Und doch fleht sie das Gericht an: „Schützen Sie meine Kinder!“ Vor dem Vater, der „die Kinder manipuliert“. Von der Vaterseite hieß es vor Prozessbeginn, die Mutter habe die Kinder hart angefasst, als sie noch bei ihr lebten. „Ich liebe meine Kinder und lehne jede Gewalt ab“, erklärt dagegen Christina Block.
„Du hast gewonnen.“ Dieser Satz einer verzweifelten Mutter hallt nach im Gericht. Sieger kann, Sieger wird es hier nicht geben. Christina Block scheint jedoch gleichfalls um das Ansehen ihrer Familie zu kämpfen. Hat da eine wohlhabende Familie mit Beziehungen in feinste hanseatische Kreise das Recht gebeugt und mit roher Gewalt einen Konflikt um die Kinder lösen wollen? Nein, sagt Christina Block. „Ich wurde öffentlich hingerichtet.“ Wohlgemerkt: schon vor Verlesen der Anklage.
Nach der Trennung hat sie die vier Kinder über Jahre allein behütet. Einen neuen Partner hat sie kennengelernt. Der ehemalige ARD-Sportmoderator Gerhard Delling (66) wurde innerhalb der Familie „Gernhard“ getauft. Jetzt sitzt er nahe bei Christina Block und ihrem Ex auf der Anklagebank. Beihilfe soll er geleistet haben zur Kindesentführung. Das Gericht erklärte kurz vor Prozessbeginn, Delling komme als Mittäter infrage. Einer der bekanntesten TV-Menschen Deutschlands in den vergangenen Jahren ein Kidnapper? Er streitet das ab. Christina Block nennt Delling ihren großen Halt in schweren Zeiten. „Eine alleinerziehende Mutter mit vier Kindern ist sicher kein Hauptgewinn.“ Mit feuchten Augen sieht sie ihren Gernhard an. Spricht sie von und an ihren Ex gerichtet, klingt das ganz anders.
Ihr Ex-Mann widerspricht vielen ihrer Darstellungen
Haarklein breitet sie das Eheleben aus. Wie Gattin und Gatte sich entfremdeten, als er im Familienunternehmen erst aufstieg und dann fiel. Von einem Tag auf den anderen war seine Managertätigkeit nicht mehr gefragt im Hause Block. Gründer Eugen Block, der dafür bekannt ist, einen sagenumwobenen Verschleiß an Führungskräften zu produzieren, hatte ihn geschasst. Sie sagt: Das Eheleben war im Eimer. Eine Paartherapie konnte das nicht kitten. In einer Sitzung, sagt sie, habe er ihr eröffnet, dass er sich scheiden lassen wolle. Das wahre Psychospiel beginnt da erst.
Alle zwei Wochen fuhren die Kinder zum Vater nach Dänemark, wo er mit einer neuen Partnerin lebte. Eine millionenschwere „Abfindung“ von den Blocks und ein Haus auf Sylt soll er nach der Trennung bekommen haben. Christina Block erzählt das aus freien Stücken vor Gericht. Stephan Hensel hat vielen ihrer Darstellungen mehrfach widersprochen. Einer seiner Anwälte, als es ihm offenbar zu bunt wird, haut mit der Hand auf das Pult vor ihm. Blocks Anwalt blafft dazwischen, die Richterin teilt aus, mit scharfer Stimme: „Sie haben jetzt nicht das Wort!“ Dieses Schauspiel passiert mehrfach an den bislang fünf Prozesstagen. Und die „Story“, die zu diesem Prozess mit 37 Verhandlungstagen und bislang notierten 141 Zeugen führte, stellt alles in den Schatten, was Hollywood ersponnen haben könnte. Überflüssig zu sagen, dass ein großer Sender bereits eine Mega-Doku über den Prozess plant, dass eine Berliner Krimi-Autorin („Tatort“) zu den Beobachtern im Saal 237 zählt.
Vielleicht begann alles damit, dass eine Block/Hensel-Tochter, die älteste, sich im Sommer 2021 entschloss, beim Vater in Dänemark zu leben. Kurz darauf behielt der Vater die beiden jüngsten Kinder, einen Sohn und eine Tochter, nach einem Wochenendbesuch bei sich. Die zweitälteste Tochter wohnt weiter bei der Mutter, während der Streit um die Kinder die Gerichte und die Öffentlichkeit intensiv zu interessieren beginnt. Der Vater ist ebenfalls der Kindesentziehung angeklagt. Ob und wann ein Prozess in Hamburg wegen des Dabehaltens der Kinder im Jahr 2021 gegen ihn eröffnet wird, steht in den Sternen.
Vor dem Landgericht Hamburg dreht es sich nun bloß um eine Nacht. In den frühen Morgenstunden des 1. Januar 2024 wurde nach allem, was man aus Aussagen, Protokollen, Anklage und sonstigen unwidersprochenen Berichten „weiß“, der Vater in Dänemark beim Silvesterfeuerwerk niedergeschlagen. Die beiden jüngsten Kinder wurden ihm entrissen und über Umwege nach Süddeutschland gebracht. Dort holte Christina Block sie mit ihrer „Hamburger“ Tochter ab und brachte sie in ihr früheres Heim im Norden der Hansestadt. Nach wenigen Tagen musste sie die mutmaßlich entführten Kinder auf richterlichen Beschluss wieder zum Vater nach Dänemark bringen.
Christina Block setzt mittlerweile auf einen öffentlichkeitsbeflissenen Anwalt
Ende der Geschichte? Anfang der Aufarbeitung! Wer waren die Entführer, in wessen Auftrag handelten sie? Bei den Blocks zu Hause wurde durchsucht, im Hotel Festplatten und Handys beschlagnahmt. Großvater Eugen Block wurde verdächtigt. Einen „hinreichenden“ Ansatz für eine Anklage gab es nicht. Oma Christa Block soll einen Rückholauftrag gegeben haben. 130.000 Euro, so wurde es mehrfach berichtet, hat sie dazu von einem Konto abgehoben.
Christina Block setzt mittlerweile auf einen öffentlichkeitsbeflissenen Anwalt, sie holte ihn erst vor Verhandlungsstart ins Team. Ingo Bott heißt er, hat in mehreren internationalen Sorgerechtsstreitigkeiten vermittelt, seit Kurzem wird er der rechtswidrigen Titelführung verdächtigt. Er hat nun diese Version (in aller Kürze): Die israelische Firma, die die Blocks zur Abwehr von Cyberangriffen auf ihr Luxushotel angeheuert haben, ist auf eigene Faust losgezogen, um die Kinder zu holen. Monatelang hatten sich die Sicherheitsleute im Hotel am Hamburger Dammtorbahnhof einquartiert, natürlich nie dafür gezahlt, dafür aber das Vertrauen der vom Sorgerechtsstreit zermürbten Christina Block erschlichen und Details aus dem Familienleben der Blocks (Hamburg) und der Hensels (Dänemark) ausgespäht.
Für den Prozess in Hamburg ist misslich, dass aus der vermeintlichen Truppe von mysteriösen früheren Mossad-Agenten und einem Mutti-Charakter namens Olga, die Christina Block nach dem Tod ihrer eigenen Mutter Christa Block umgarnte, im Saal nur einer sitzt: Es ist ein Mann, der nach Auskunft seines Anwalts wie alle Israelis zwar beim Militär war, jedoch nie beim Geheimdienst. So hocken neben dem Israeli, der als Einziger in Untersuchungshaft sitzt und dort besonders vor möglichen Übergriffen wegen seiner Staatsangehörigkeit geschützt werden muss, also diese Angeklagten im Saal 237: Christina Block, Gerhard Delling, ein Anwalt aus dem Umfeld der Familie, ein Hamburger Sicherheitsunternehmer, eine Frau aus dem Familienkreis, die bei der Übergabe der Kinder aus der Hand der mutmaßlichen Entführer das Auto mit Christina Block und den Kindern auf den letzten Metern nach Hamburg gesteuert haben soll, sowie deren Mann. Nach einem Sextett aus dem beschuldigten Sicherheitsunternehmen wird noch gefahndet.
An diesem Dienstag wird der Prozess fortgesetzt
Christina Block habe das alles nicht gewollt, sagt sie. Und doch hat sie auch weit vor der verhängnisvollen Nacht nichts unversucht gelassen, kein Szenario ausgelassen, mit dem sie „ohne Gewalt“ ihre Kinder aus Dänemark zurückholen könnte. Denn sie hatte nach ihrer Auffassung und der ihrer dänischen Familienanwältin ja das Aufenthaltsbestimmungsrecht. So räumt sie freimütig bei einer Befragung die durchgespielten, aber nie realisierten Varianten ein. Mit dem Boot über die Flensburger Förde zurück nach Deutschland sollte es gehen. Nur: Sie hatte kein Boot. Und ob die Kinder so einfach mitkämen? Sie dachte: Ja. Vermutlich. Ein Hubschrauber, eine Autoflotte kam ins Spiel, auch eine Frau, die als Doppelgängerin der neuen Hensel-Partnerin von einer Maskenbildnerin zurechtgeschminkt werden sollte, um die Kinder zu täuschen und in die Obhut ihrer Mutter zu bringen.
Es bleiben Sätze der angeklagten Christina Block hängen. „Meine Kinder müssen damit leben, dass ich über alle Grenzen angegriffen und dämonisiert werde.“ Für diese „Katastrophe“ entschuldige sie sich bei ihnen. „Es kann sein, dass ich in diesem Gerichtssaal das letzte Mal im Leben meine Kinder sehe. Ich wünsche mir, dass meine Kinder, wenn sie erwachsen sind, Liebesbeziehungen eingehen, die glücklicher sind als die, die ich mit meinem Ex-Mann hatte.“ An diesem Dienstag wird der Prozess fortgesetzt.
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