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NÜDLINGEN/REGION SCHWEINFURT: Dank Organspende ein ganzes Herz

NÜDLINGEN/REGION SCHWEINFURT

Dank Organspende ein ganzes Herz

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    Nach der Organtransplantation im Krankenhaus: Die Familie schickte das Foto von Jens damals an Freunde und Bekannte. Der Vater von Jens ist Holländer, darum die Botschaft in Niederländisch.
    Nach der Organtransplantation im Krankenhaus: Die Familie schickte das Foto von Jens damals an Freunde und Bekannte. Der Vater von Jens ist Holländer, darum die Botschaft in Niederländisch. Foto: Fotos: Annett Pöpplein, DTV

    Als Gesundheitsminister Daniel Bahr am 25. Mai im Bundestag zum neuen Organspende-Gesetz spricht, sitzen zwei Menschen im Saal, die ganz nah am Thema sind. Annett Pöpplein und ihr 14-jähriger Sohn Jens Bossers. „Er war noch klein, er kann sich nicht erinnern, als er den Kampf um sein Leben bestritt“, sagt Daniel Bahr über Jens. Jens kam mit einem halben Herzen zur Welt. Er wurde viermal operiert, hatte einen Schlaganfall, Hirnhautentzündung. Mit fünf bekam er ein neues Herz. „Jeder Organspender ist ein Lebensretter“, sagt Bahr im Bundestag. Für Jens und seine Familie ist so was keine Floskel.

    Annett Pöpplein (sie stammt aus Nüdlingen) hat die Geschichte ihres Sohnes aufgeschrieben. Die Kämpfe, die Verzweiflung, die Momente des Glücks. Und die Geschichte einer Familie, für die plötzlich alles anders wird, als Jens kurz nach der Geburt zum ersten Mal fast stirbt. Lebenspläne haben sich geändert, Prioritäten verschoben. Alles von heute auf morgen. Trotzdem war immer klar. Jens will leben. „Er ist seinen Weg gegangen“, sagt seine Mutter

    Die Geschichte von Jens ist ein Buch geworden: „Das halbe Herz“. Das ist nicht nur ein Stück Seelenarbeit, der Versuch, das alles zu verkraften. Mutter und Sohn engagieren sich sehr für Organspenden, geben Interviews, sind Gäste in Talkshows, sprechen auf Veranstaltungen. Am Samstag, 2. Juni, dem Tag der Organspende, spricht Annett Pöpplein in Bayern 2 mit Marianne Koch.

    Mutter und Sohn wollen Vorurteile abbauen, Ängste nehmen, wenn es um Organspende geht. Annett Pöpplein hat Psychologie studiert, in ihrer Diplomarbeit Organspende-Prozesse in verschiedenen Ländern untersucht. In ihrer Doktorarbeit untersucht sie das Thema Organspende unter dem Aspekt Kommunikation: In der Klinik, zwischen Angehörigen und Ärzten.

    Was hält sie vom neuen Organspende-Gesetz? Jeder kriegt jetzt alle zwei Jahre Post von seiner Krankenkasse, Infomaterial über Organspenden und einen Spenderausweis, den er ausfüllen kann, aber nicht muss. „Ein guter Ansatz“, sagt sie. Die Diskussion in einer Familie ist wichtig. So wissen die Angehörigen dann auch, wie jemand über Spenden denkt, tun sich leichter bei einer Entscheidung.

    Diffuse Angst der Menschen

    Allerdings sieht sie einen Knackpunkt: Die Qualität des Infomaterials. „Neutral, umfassend und objektiv“ sollte es sein. Sie beobachtet immer wieder, dass Menschen Angst haben, wenn sie einen Organspender-Ausweis besitzen, behandelt sie eine Klinik vielleicht nicht mehr richtig – weil sie nur noch als Spender, nicht als Patienten gesehen werden. Oder die diffuse Angst als Spender für eine Klinik in der Hauptsache ein Geldfaktor zu sein. Wem Organe entnommen werden, der ist hirntot, liegt beatmet auf einer Intensivstation. Das sind knapp ein Prozent der Todesfälle, sagt Pöpplein.

    An einer Organentnahme verdiene eine Klinik nicht. Im Gegenteil, sagt sie. Sie glaubt, dass es mehr Spenden geben wird, wenn die Entnahme-Kliniken nicht mehr drauflegen müssten. „Im Moment gibt es nur eine Pauschale, die den Aufwand nicht deckt.“

    Was sie sich aus ihrer Erfahrung wünscht: Schulung für Pflegepersonal, Möglichkeiten zur Traumabewältigung. Eine Organentnahme für eine Spende ist eine enorme Belastung für das Personal gerade in Kliniken, die das nicht oft machen. Geschultes Personal steht Organspenden viel offener gegenüber, hat Annett Pöpplein beobachtet. Das wirkt sich auch im Gespräch mit Angehörigen aus. Und auch die Motivation in einer Klinik steigt, sich mit dem Thema Organspende aktiv auseinanderzusetzen.

    „Organspende in Deutschland ist vor allem das Werk einiger engagierter Transplantationsbeauftragten, die in ihrer Klinik genügend Rückhalt erfahren.“ Insofern sei es gut, dass nach dem neuen Gesetz jede Klinik mit Intensiv-Station einen Transplantationsbeauftragten haben soll. Aber: „Die Leute brauchen Zeit, um ihren Job zu machen.“ In Spanien, dort sind die Spenderzahlen weit höher als in Deutschland, wird dies schon länger praktiziert, allerdings nicht als Nebentätigkeit. „In Spanien ist das eine Funktion, hier ein Amt.“

    Auch wenn das neue Gesetz ein erster Schritt ist: „Es gibt noch sehr, sehr viel zu tun.“ Annett Pöpplein hofft, das sich die Politiker jetzt nicht zurücklehnen. „Sonst gibt es nächstes Jahr keine Spende mehr als heuer.“

    Annett Pöppleins Buch „Das halbe Herz“ ist beim Verlag DTV erschienen und kostet 15,40 Euro. Das Autorenhonorar soll traumatisierten Kindern zugutekommen.

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