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OERLENBACH: Die Blendax-Filiale in „Örlenbach“

OERLENBACH

Die Blendax-Filiale in „Örlenbach“

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    Arbeitete bei Blendax: Bernhard Wahler aus Ebenhausen war Chemiewerker bei der Firma R. Schneider & Co.
    Arbeitete bei Blendax: Bernhard Wahler aus Ebenhausen war Chemiewerker bei der Firma R. Schneider & Co. Foto: Foto: Isolde Krapf

    Das „Blendax-Lächeln“ steht zwar nicht im Duden, doch die Wortschöpfung der 60er-Jahre ist noch heute sprichwörtlich. Schließlich gibt es die Firma Blendax seit 1932. Die Gebrüder Rudolf und Hermann Schneider begannen 1936 in Mainz mit der Produktion einer Zahnpasta, die auch für den kleinen Mann erschwinglich sein sollte. Heute kennt „Blendi“ jedes Kind. Kaum jemand aber weiß, dass – zumindest, was die Herstellung des Zahncremegeschmacks „Mint“ angeht – auch der Gemeinde Oerlenbach eine vielleicht tragende Rolle zukam. Denn hier betrieb Blendax nach dem Krieg eine Filiale, in der synthetisches Menthol hergestellt wurde.

    Als das Lufttanklager 1945 aufgelöst wurde, standen dort etliche Gebäude leer. Das Gelände reichte einst vom Areal der Bundespolizei bis zur Firma Hegler und war kurz nach dem Bahnübergang durch eine Schranke hermetisch vom Ort abgeriegelt.

    „Wenn wir größere Reparaturen hatten, arbeiteten wir nachts durch.“

    Bernhard Wahler (81), ehemaliger Blendax-Mitarbeiter

    Ab 1946 ließen sich dort etliche Firmen nieder und viele Menschen aus der Gemeinde fanden Arbeit. Allerdings waren die Betriebe jeweils nur für ein paar Jahre im Ort, wie aus dem Buch über Oerlenbach und seine Ortsteile zu erfahren ist, vielleicht, weil sich später einfach lukrativere Standorte in der Stadt ergaben.

    Die Firma Münchmayer zum Beispiel stellte im früheren Labor des Tanklagers Fußbodenplatten aus Kunststoff her, Prüfer und Schmitt fertigten auf dem heutigen Bundespolizei-Gelände Heraklitplatten und Krause und Genthner betrieben an der Straße „Unter den Eichen“ ein Emaillierwerk.

    Die Firma Kindermann hatte Elektrogeräte im Sortiment, Hippler hatte dort ein Betonwerk und die Firma Putz handelte irgendwo im Keller mit Karlsbader Becherbitter. Thümmler/Efalock siedelten sich an und eben auch die Blendax-Werke.

    1948 hatte zunächst ein gewisser Dr. Walter Hertel in einem Gebäude an der Straße Richtung Ebenhausen eine Fabrik für synthetisches Menthol eröffnet. Dort arbeiteten sieben bis acht Leute im Schichtbetrieb rund um die Uhr, um die begehrte Flüssigkeit zu erzeugen, die dann später fachgerecht verfüllt und vom Zoll verplombt wurde, erzählt der Ebenhäuser Bernhard Wahler. Der 81-Jährige muss es wissen, gehörte er doch zu Hertels Mitarbeiterstamm und wurde später auch von Blendax übernommen.

    Bis dato hatte man das Menthol nämlich nur aus Pflanzen gewinnen können, um es in Bonbons, Zigaretten und Zahnpasta als moderne Geschmacksvariante einzubringen. Menthol synthetisch zu erzeugen, war noch relativ neu. Wahler glaubt sogar, dass Hertel an der Erfindung des Pflanzensurrogats maßgeblich beteiligt war. Wertvoll war es allemal, denn die Behälter wurden vom Zoll abgeholt und teilweise sogar nach Übersee verschickt, erinnert sich der Ebenhäuser.

    Der gelernte Maschinenschlosser Wahler arbeitete im Betrieb als „Chemiewerker“ und wurde für alle möglichen Arbeiten eingesetzt. So stand er beispielsweise als Destillateur an der Vakuumkolonne oder arbeitete in der Katalysatorherstellung mit. Die Atmosphäre war sehr familiär, erinnert sich der Ebenhäuser. „Wenn wir größere Reparaturen hatten, arbeiteten wir nachts durch.“ Und dann tauchte plötzlich um drei Uhr morgens Hertel mit frischem Kaffee auf. „Er war ein guter Chef, der sich für uns einsetzte.“

    1948 kam die Firma Blendax und übernahm Hertels Fabrik in „Örlenbach“, wie der Ort in den Unterlagen der Firma genannt wird. Das war zu der Zeit, als die im Krieg völlig zerstörte Hauptzentrale in Mainz schon wieder aufgebaut war. 1949 nahm man bei Blendax dann auch die Herstellung von Zahncreme wieder auf, heißt es in den historischen Aufzeichnungen des Unternehmens.

    Wie das Mainzer Unternehmen dazu kam, sich in Oerlenbach zu positionieren, lässt sich nicht mehr recherchieren. Die Blendax-Werke wurden 1987 nämlich vom Weltkonzern Procter & Gamble übernommen. Seitdem liegen auch Teile der Geschichte des Unternehmens offenbar im Dunkeln. Die Pressestelle des Konzerns in Schwalbach im Taunus jedenfalls macht auf Anfrage der Main-Post klar, dass man solch weit zurückliegende Daten von Blendax nicht mehr verifizieren könne.

    Da bleibt also nur Zeitzeuge Wahler, der noch weiß, dass es am 4. Mai 1950 im Blendax-Werk in Oerlenbach zu einer heftigen Explosion kam, bei der gelagertes Menthol plötzlich in die Luft ging. Er selbst war damals mittendrin und erlitt schwerste Verbrennungen im Gesicht und an den Armen. Hertel brachte ihn damals persönlich ins Krankenhaus.

    Lange Zeit konnte Wahler nicht mehr arbeiten und wurde 1953 schließlich von seinem Ebenhäuser Hausarzt Köhler erwerbsunfähig geschrieben. Von der Firma Blendax hatte er noch ein hervorragendes Entlasszeugnis ausgestellt bekommen, denn die Mainzer Filiale in Unterfranken wurde im Februar 1952 geschlossen.

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