Wir sind in Alaska! Aber wo ist unser Ziel? Von der Südspitze Argentiniens sind wir aufgebrochen, also wollen wir auch bis ganz hoch in den Norden, an die Prudhoe Bay am arktischen Meer. Der Weg zum Ende der Welt führt über den Dalton Highway, eine 800 Kilometer lange Schotterpiste, die zur Versorgung der Ölfelder am 70. Breitengrad gebaut wurde. Entlang dieser Route führt auch die Alyeska Pipeline, die die größten Ölfelder Amerikas mit Valdez, dem einzigen ganzjährig eisfreien Hafen Alaskas, verbindet.
Unterwegs gibt es nur drei Kneipen: An der Brücke über den Yukon, in Coldfoot nahe dem Polarkreis und ganz oben, in Deadhorse. Wie der Name schon erahnen lässt, geht es ab hier nicht mehr weiter. Von Fairbanks aus machen wir uns auf die letzte große Etappe. Vollgepackt wie Lastesel mit Proviant für acht Tage. „Seid ihr wahnsinnig, die fahren Euch tot“, wurden wir von allen Seiten gewarnt. Die Monsterlastwagen schleudern einem angeblich einen Steinhagel um die Ohren, ganz zu schweigen von Grizzlys, Wölfen und anderen Horrorgeschichten. Gespannt, aber gelassen, fahren wir los und hoffen, dass wie immer nicht alles so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. „You guys are hardcore!“, ruft uns der Lkw-Fahrer zu. Wir sind überrascht, wie rücksichtsvoll die Trucker mit uns Radlern umgehen, sie bremsen ab, winken vergnügt und manchmal werden wir sogar von oben mit kleinen Snacks verwöhnt.
Die ersten Tage bis Coldfoot fordern uns einiges ab: 100 Kilometer täglich, 1500 Höhenmeter (das entspricht fünf mal den Dreistelz hoch) und das auf grobem Schotter. „Komm, lass uns hier zelten.“ Wir sind durchgeweicht bis auf die Knochen und seit sieben Stunden im Sattel. Als ich vom Rad steige, stürzen sich Myriaden von Moskitos auf jeden Millimeter Haut. „Eins werden mit der Kreatur“, raten uns die Einheimischen und tatsächlich gewöhnen wir uns irgendwann an die Plagegeister – oder werden wir gar nicht mehr gestochen?
24 Stunden Sonnenschein
Die Tage fließen dahin im immergleichen Rhythmus von Rad fahren, Essen, Schlafen und der Beobachtung der unendlichen Weite des Landes. 24 Stunden scheint die Sonne, es raubt uns den Schlaf. Alles um uns herum pulsiert. Tiere und Pflanzen saugen begierig alles Leben auf, so kurz ist die Sommerzeit, dass sich alles im Zeitraffer abzuspulen scheint. Juni, Juli und August – das ist hier Frühling, Sommer und Herbst. Danach versinkt alles im langen Winterschlaf.
Wir überqueren die Brooks Range, der letzte Pass ist bezwungen und wir nähern uns der nördlichen Tundra. Die Vegetation wird zusehends spärlicher; sanfte, rollende Hügel, soweit das Auge reicht. Moose, Beerensträucher und Flechten auf dem Permafrostboden verströmen ein Potpourri aus verschiedenen Dürften. Ein Wolf kreuzt den Highway und trabt mit federndem Schritt davon. Wir sehen ihm lange nach, bis er im Nirgendwo verschwindet. Wir sind glücklich. Wir sind bald angekommen und fühlen uns zurückversetzt in die raue weite Patagonien. Fast hätten wir die Strapazen vergessen, die uns damals die fürchterlichen Straßen und der erbarmungslose Wind beschwerten. Jetzt kehren wir dahin zurück. „Da! Schau!“ – in der Ferne schimmern die ersten Baracken der Ölstation. Wir wissen nicht so richtig, wie wir umgehen sollen mit dem Gefühl „da zu sein“.
27 000 Kilometer, 18 Monate und durch 15 Länder hat uns dieses Ziel immer vorangetrieben und jetzt heißt es plötzlich „Welcome to Deadhorse“. Wir sind müde und ausgelaugt und geraten sogar um Nichts in einen dummen Streit. Eine Gruppe Jäger, wilde Burschen auf Karibujagd, springt aus ihrem Jeep und klopft uns auf die Schultern. „From Argentina? That's crazy!“ – alle wollen ein Foto mit uns machen und so haben wir doch noch eine „Siegerehrung“ im eiskalten Wind, neben einem Müllcontainer am verrosteten Ortsschild von Deadhorse.
Wir bahnen uns den Weg vorbei an Wellblechbaracken und öligen Pfützen zum einzigen „Hotel“ am Ort. Für Ölarbeiter im Schichtdienst wird hier 24 Stunden „All you can eat“ geboten. Der Chinese am Buffet schüttelt grinsend den Kopf, als wir zum vierten Mal um einen Nachschlag bitten. „Nein! Ihr dürft hier mit dem Rad nicht rein, das ist gegen das Gesetz“, schnauzt der Beamte am Tor zu den Bohrfeldern. „Dies ist ein Hochsicherheitsbereich!“
Schweren Herzens lassen wir unsere treuen Gefährten, die uns den ganzen Weg getragen haben, zurück und besteigen den Tourbus zur Besichtigung der Förderanlagen und an das Eismeer. Etwas feierlicher haben wir uns diesen Moment schon vorgestellt: Wir ziehen uns aus und hüpfen ins eiskalte Wasser, während der bewaffnete Beamte mit wichtiger Miene nach Eisbären Ausschau hält. Zwischen zwei Ölfässern und einem Drahtzaun halten wir uns fest und schießen ein Foto, bevor wir schlotternd in den Bus einstiegen. Die Rückkehr erleben wir schweigend, jeder für sich mit seinen Gedanken. Ein langer Weg liegt hinter uns. Wir leben und haben mehr erlebt, als in ein Leben passt. Wir haben unseren Traum gelebt, wir sind da, wir haben es geschafft. „Willkommen am Ende der Welt!“
Die Reiseberichte können unter www.dippip.de angesehen werden.