Mehr als 31 Jahre war er Gynäkologe in Bad Brückenau und hat allein hier rund 3000 Kindern ins Leben geholfen. Ende Juni, pünktlich zu seinem 65. Geburtstag, beendete Dr. Ulrich Placzek seine Tätigkeit in der Kurstadt, die Praxis führt Gregor Kott jetzt allein. Placzek arbeitet aber weiter in einem Ärzteteam in Biedenkopf im Landkreis Marburg – „weil die Medizin eine spannende Sache ist“. Ein Gespräch über die ärztliche Versorgung auf dem Land und das Berufsbild des Arztes.
Frage: Ihre persönliche Bilanz nach 32 Jahren Bad Brückenau?
Ulrich Placzek: Die Entscheidung für Bad Brückenau war richtig, ich habe sie nie bereut. Viele meiner Patientinnen kannte ich persönlich, gelegentlich habe ich gleichzeitig vier Generationen Frauen aus einer Familie betreut, wie ich es in alter Hausarzt-Manier von meinem Vater kannte. Als zunehmend konfliktträchtig erwiesen sich die Gesundheitsreform und die Privatisierung von Krankenhäusern.
Sie haben 1969 Ihr Studium beendet. Wie hat sich der Beruf des Frauenarztes in fast vier Jahrzehnten verändert?
Placzek: Das einzig Sichere ist, auch in der Medizin, der Wandel. Faszinierend war für mich der fachliche Fortschritt: die Ultraschall- und Röntgen-Diagnostik der Brust, die maschinelle Überwachung der Geburt, die Entwicklung der Brustchirurgie. Nicht zu vergessen die neuesten psychosozialen Erkenntnisse. Weniger schön sind die gesundheitspolitischen Reglementierungen. Mein Eindruck: Der Arzt entwickelt sich immer mehr vom Helfer und Heiler zum Händler und Verteiler, genannt Leistungserbringer. Ging es vor einigen Jahren noch ums Rationalisieren – das Verbessern von Abläufen und Strukturen – geht es heute mehr und mehr ums Rationieren: Patienten und medizinische Leistungen werden ausgegrenzt. Leidtragende sind Alte, finanziell Schwache und chronisch Kranke, aber auch die im Gesundheitsbereich Tätigen.
Kann man jungen Menschen den Arztberuf noch guten Gewissens empfehlen?
Placzek: Wer glaubt, an diesem Beruf Freude zu haben und Fähigkeiten umsetzen zu können, der soll es unbedingt machen. Die ärztliche Tätigkeit kann faszinierend und befriedigend sein. Ich empfehle aber, zusätzliche Kompetenzen zu erwerben: soziale und kommunikative, aber auch gesundheitsökonomische. Und: Ein Arzt sollte geschult sein im Risiko- und Qualitätsmanagement, unbedingt betriebswirtschaftliche und juristische Grundkenntnisse haben. Nur so können Ärzte Chancen wie Filialpraxen und medizinische Versorgungszentren nutzen. Vernetzte Strukturen heißt die Zauberformel.
Wie wirken sich die Gesundheitsreformen auf das Arzt-Sein aus?
Placzek: Für die Kassenabrechnung eines operativen Eingriffs brauchen wir heute mitunter länger als für die Operation selbst. Hier geht es nicht mehr um Medizin, sondern darum, billige Arbeitskräfte für die Krankenkassenverbände in die Pflicht zu nehmen.
Was sagen Sie zur Privatisierung von Krankenhäusern?
Placzek: Wegen ihrer defizitären Haushaltslage ziehen sich Kommunen und Staat zunehmend aus ihrer Verantwortung zurück. Es finden sich immer mehr private Träger, die durch Börsengänge gewonnenes Kapital einsetzen. Doch: Börsennotierte Unternehmen bedienen, da sollten wir uns keiner Illusion hingeben, zunächst den Aktionär: Cash Flow und Aktiengewinne werden zu markanten Gütesiegeln medizinischen Handelns. Zu wenig Geld im System und schwierige Rahmenbedingungen zwischen Ärztestreiks und Reformdebatten erzwingen die unangemessene Rationierung. Ärzte haben darauf so gut wie keinen Einfluss mehr. Menschlichkeit in der Medizin können Politiker und Funktionäre nicht allein schaffen, sie können sie aber ganz allein zerstören.
Befürworten Sie die kleineren Häuser?
Placzek: Ich glaube nach wie vor, dass kleinere Krankenhäuser die Basisversorgung gut erfüllen können. Gerade Belegärzte haben in aller Regel viel Erfahrung, sind länger im Beruf, und haben durch die ambulante und stationäre Betreuung den persönlicheren Zugang zu ihren Patienten. Und: Belegärzte arbeiten allemal kostengünstiger als Klinikärzte.
Was bedeutet die heutige Reglementierung für den ländlichen Raum?
Placzek: Ganz klar: Es entsteht eine Mehrklassenmedizin. Nehmen Sie das Beispiel des Mammographie-Screenings, das für Frauen zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr kostenfrei angeboten wird. Städte bieten alle Einrichtungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar an. Frauen aus ländlichen Regionen nehmen an Untersuchungen oft auch deshalb nicht teil, weil sie keine Fahrgelegenheit haben. Erkrankt eine Frau an Brustkrebs, muss sie, wenn sie das Angebot nicht wahrgenommen hat, mit höheren Zuzahlungen rechnen. Ähnlich ist es für Schwangere bei der Wahl der Entbindungsklinik: Politik und Funktionäre haben Quantität gleich Qualität gesetzt, was zu einer „Bereinigung der Krankenhauslandschaft“ geführt hat. Dies erschwert die Situation für Schwangere, vor allem, wenn sie nicht jederzeit über ein startbereites Auto mit Fahrer verfügen.