Für Altbürgermeister Siegfried Erhard war es wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Die Nachricht, dass das Technische Hilfswerk (THW) im kommenden Jahr nach Bad Kissingen zieht – darüber hat er sich im letzten Kreisausschuss geärgert. Geärgert darüber, wie er sagt, dass man ohne Not Liegenschaften aufgibt, die so wichtig sind für eine kleine Gemeinde. Besser: einen kleinen Gemeindeteil. Die Waldsiedlung. Was Erhard meint, wird deutlich bei einem kurzen Streifzug durch die Geschichte der Siedlung und einem Besuch vor Ort.
Waldsiedlung 14 steht an der Mauer gleich am Anfang der Waldsiedlung, linker Hand, das gelbe Schild „Katastrophenschutz“ hängt am grünen Tor. Dahinter ein blauer Einsatzwagen des Technischen Hilfswerks (THW). Seit 1981 hier ansässig. Von dem Ortswechsel erhofft sich der Ortsbeauftragte des THW, Andreas Kiesel, „dass wir besser gesehen werden“. Das Übungsgelände sei in der Waldsiedlung perfekt gewesen, aber da auch das THW mit Nachwuchssorgen zu kämpfen hätte, zähle die Außenwirkung momentan einfach mehr.
Siegfried Erhard sagt, er mache den Verantwortlichen des THW keinen Vorwurf, aber: Mit jedem neuen Leerstand, jeder neuen brachliegenden Fläche, sinke das Interesse, in die Waldsiedlung zu ziehen. Die Infrastruktur ist intakt, bis nach Rottershausen Mitte sind es zweieinhalb Kilometer, knapp 800 Meter zur ehemaligen B 19 und die Lage: wunderschön und ruhig – das ist die Haben-Seite. Abgelegenheit, eine eingeschränkte Busverbindung, brachliegende Flächen links und rechts die andere Seite.
Es ist nicht alles schlecht
Das weiß auch Oerlenbachs Bürgermeister Franz Kuhn (BBO), der über den Wegzug des THW ebenfalls nicht gerade begeistert ist: „Wieder ein Haus, das nicht genutzt wird.“ Es gefällt ihm nicht, dass die Siedlung immer mehr ausstirbt. Eigentlich gibt es draußen ja alles, sagt er. Sicher, die Busverbindung war auch schon mal besser – im Schnitt fährt heute zweimal am Tag ein Bus – aber wenn wieder mehr Kinder dort wohnen würden, ließe sich auch das sicher wieder regeln.
Erhard zeigt auf ein Haus, die grüne Farbe abgeblättert, der Garten struppig – hier hatte das Forstamt einst seinen Sitz, heute stehen auf der Fensterbank ein Sack Kartoffeln und ein paar Zwiebeln.
Vieles, was einst die Siedlung prägte ist jetzt nur noch zu erahnen: die Bunker, in denen die Munition für die Luftwaffe gelagert wurde, die Fabriken, die sich nach dem Krieg dort ansiedelten, darunter das Deutsche Glasmosaikwerk und der heute in Münnerstadt ansässige Glashersteller Löwinger. Ganz zu schweigen von den Menschen: Konzipiert als Siedlung für Heimatvertriebene und Flüchtlinge, lebten dort nach dem Krieg knapp 150 Personen.
1953 lag bereits eine komplette Planung für eine Ortschaft vor; Gressertshofen hätte sie heißen sollen, angelehnt an einen gleichnamigen Gasthof, ein Ort für Heimatvertriebene hätte es werden sollen. Zwei Jahre später war das Projekt gescheitert – Land und Bund konnten sich nicht über die Finanzierung einigen. Für ein Jahr, 1955 bis 1956, gab es eine Schule – gebaut als Übergangslösung, bis die Schule in der neuen Ortschaft Gessertshofen eröffnet werden würde. Als die Dorfpläne scheiterten, wurde die Schule wieder aufgelöst.
32 Schüler gingen einst dort zur Schule. Das Gebäude ähnelt inzwischen einer Waldhütte, die Schülerzahl von damals entspricht etwa der gesamten Einwohnerzahl von heute. Gut 40 Personen sind laut Einwohnermeldeamt in der Waldsiedlung gemeldet.
Und Siegfried Erhard kennt sie alle. Auch das Paar, das in dem Haus wohnt, das gleich neben dem alten Forstamt steht. Der Hausbesitzer möchte namentlich nicht in der Zeitung stehen, sagt aber: viele sagen immer, wie schön es hier alles ist, das Haus, der Wald, aber wohnen, das wollten sie hier trotzdem nicht.“
Als Siegfried Erhard in den 1990er Jahren Bürgermeister von Oerlenbach wurde, als er 1994 die Kanalisation an die Rhön-Maintal-Gruppe anschließen ließ, da waren es noch rund 100 Bewohner. Vier Wohnblöcke im hinteren Teil der Siedlung wurden gebaut – mehr Zuzug hatte man sich erhofft. Konzipiert für sechs Familien, leben heute höchstens zwei in jedem Block. An den Fenstern hängen Zettel in Din-A4-Größe mit der Aufschrift: „Zu vermieten, Zwei-Zimmer-Appartement, provisionsfrei.“