Das Strafregister der Wiederholungstäter Max und Moritz ist lang. „Tierquälerei, Körperverletzung in mehreren Fällen, Hausfriedensbruch, Diebstahl, Mobbing, Beleidigung, Einbruch, Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz“, zählt der Jurist auf. „Mein lieber Schieber, das ist jede Menge kriminelles Potential!“ Was Wilhelm Busch einst als Streiche bezeichnete, ergäbe jede Menge gemeinnütziger Arbeitsstunden für die beiden vermutlich strafunmündigen Übeltäter.
Derweil ist Göbhardt erleichtert darüber, dass er eine solche Anhäufung krimineller Energie in seiner jahrelangen Praxis als Jurist noch nicht erlebt hat. Allerdings stellt er immer wieder fest, dass es den Jugendlichen, die mehr oder weniger reumütig vor seinen Kadi treten, „an einem gewissen Werte-Grundbewusstsein fehlt“. Früher, gibt er zu bedenken, hätten Eltern „zugegebenerweise manchmal zu rigide erzogen. „Aber heute stehen sich Eltern, Schule, Jugendamt und Justiz mit dem Versuch, jungen Menschen Werte zu vermitteln, oft hilflos gegenüber.“
Im Schneidermeister Böck sieht Göbhardt einen klassischen „Opfertypen“. Solche Leute, die sich nicht wehren könnten gegen Beleidigungen und Hänseleien, seien leichte Beute für Jäger eines Kalibers á la Max und Moritz. „Die testen dann: Wie weit kann man gehen?“
Im Falle von „Ziegen-Böck“ und „Schneider, meck, meck, meck“ eindeutig zu weit. „Wer jemanden so bewusst ärgert und sogar eine gefährliche Körperverletzung billigend in Kauf nimmt, handelt zutiefst heimtückisch“, beurteilt der Richter das Provozieren des braven Böck und die Manipulation der Brücke vor dessen Haus. Unter Schülern sei ein solches Verhalten zunehmend zu beobachten, „sowohl bei Mädchen als auch bei Jungs“.
Einzig in der Sache mit den Maikäfern, die Max und Moritz Onkel Fritz unter die Decke streuen, sieht Göbhardt einen „echten Streich“. Dabei fasst er sich durchaus auch an die eigene Nase. „Wir haben als Kinder auch so'n Lumpenzeug gemacht, sind verbotenerweise über Bahnschienen gelaufen, haben Äpfel geklaut, Maikäfer von Bäumen geschüttelt.“ Aber wer mache so etwas heute noch, fragt er, wo doch Streuobstwiesen nicht mehr den Stellenwert hätten wie anno 1865 und die meisten Menschen die Äpfel im Supermarkt kauften.
Mögen Max und Moritz noch so krumme Dinger gedreht haben, ihr Ende voller Weh' durch gemeinschaftlich begangenen Mord lässt dem gestandenen Juristen die verbliebenen Haare zu Berge stehen. „Ein klassischer Fall von Selbstjustiz“, stellt Göbhardt fest. Rein menschlich sei es ja verständlich, das anlässlich des Todes der Übeltäter freudige Gebrumm von Witwe Bolte oder Lehrer Lämpel und all den anderen arg Geschädigten. „Rechtlich aber vollkommen inakzeptabel“.
Da gäbe es eine ganze Menge möglicher Sanktionen, erläutert der Richter. „Die moderne Erlebnispädagogik kann einer schädlichen Neigung von solcher Vehemenz entgegensteuern.“ So könne man „heutige Max und Moritze“ zusammen mit Erziehern in abgeschiedene Gegenden bringen. Straffällige Jugendliche würden dort beispielsweise lernen, dass „Brot oder Hühner wichtige Güter sind, denen man Wertschätzung entgegen bringt.“
Auch nach jahrelangem Einsatz für Justitias Sache ist Göbhardt, anders als Wilhelm Busch, im Tiefsten überzeugt: „Böse Kinder gibt es nicht.“ Ein Kind sei nie per se böse. Wohl aber bekämen viele Kinder schlechtes Verhalten vorgelebt. Viele Jugendliche wüssten mit Werten wie Vertrauen oder körperlicher Unversehrtheit nichts anzufangen. Dies macht dem 56-jährigen Juristen zunehmend Sorge: „Die schauen mich dann in der Verhandlung mit großen Augen fragend an.“
Im Blickpunkt
Busch, Max&Moritz und Göbhardt Wegen seiner satirischen Bildergeschichten, allen voran der von Max&Moritz, zählt Heinrich Christian Wilhelm Busch zu den bedeutendsten humoristischen Dichtern Deutschlands und gilt als einer der Urväter des Comics. Vermutlich sind die Taten der berühmten Lausebengel von realen Streichen Wilhelms (1832 - 1908) und seines Freundes Erich Bachmann inspiriert (Quelle: wikipedia). Matthias Göbhardt, seit 2002 Amtsgerichtsdirektor in Bad Kissingen und zuständig für Jugendstrafsachen, vertiefte sich für die MAINPOST trotz längst abgelaufener Verjährungsfrist freundlicherweise in das Aktenzeichen WB/1895.