Alfred Schäfer ist Ur-Bröggenäer. Noch mehr ist er für viele „der Stern-Wirt“. Obwohl er genau das seit drei Jahren nicht mehr ist. Schäfer hat mit dem wohl ältesten Lokal der Stadt glorreiche Zeiten erlebt – aber auch die schlimmsten seines Lebens. Nun scheint es ihm besser zu gehen – ohne den Gasthof zum Stern.
Schäfer sitzt in seinem winzigen Wohnzimmer in der Siebenbrückengasse, vor sich eine Tasse Tee. Die Wände sind behängt mit Erinnerungen. Bilder von Franz-Josef Strauß und Volksmusik-Star Carolin Reiber – handsigniert. Regale mit Jubiläums-Bierkrügen. Ein ICE-Fahrplan der Deutschen Bahn – der Gastwirt grüßt lächelnd von der Anzeige.
Der frühere Stern-Wirt sieht die Vergangenheit golden. Das Lokal, 1578 erstmals erwähnt, vor Tradition strotzend: Urgroßvater Ignatz, der den Stern 1871 übernahm, als Mundschenk König Ludwigs; oder Großvater Gustav, Mitbegründer des Siebener-Sprudels.
Dass er 1972 den Gasthof in vierter Generation von Vater Franz übernehmen durfte – das macht den 68-Jährigen besonders stolz: „Ich habe mein Elternhaus sehr geliebt und die Heimat. Ich wollte die Stern-Tradition unbedingt fortführen.“
Schäfer hat seine Kochausbildung 1958 bis 1961 im Würzburger Lokal „Stadt Mainz“ gemacht, die Meisterprüfung am 10. Dezember 1971. Die Jahre danach hören sich blendend an: „Viele Kurgäste und Geschäftsleute waren da. Die Stadt blühte“.
So wie der Stern: „Alle Menschen kamen – ob arm oder reich, bekannt oder unbekannt“, erzählt Schäfer. Und holt zum Beweis eine Speisekarte von 1989 hervor. Rudi Carell und Heino sind da als Gäste verzeichnet – und viele andere bekannte Namen.
Er habe das Gasthaus – mit Hilfe seiner Eltern – zum Hotel-Restaurant ausgebaut. Viele Reisen, Vermarktungsaktionen hat er unternommen. Auszeichnungen wie „Erstes Museum im bayerischen Wirtshaus“ 1985 und der Staats-Ehrenpreis der Bayerischen Küche 1991. Schäfer war ein „Macher“.
Absoluter Höhepunkt für ihn: Der Stern wird zusammen mit dem Berliner Adlon in der Hotelklassifizierung des Hotel- und Gaststättenverbandes genannt.
„Die Erinnerungen an diese Zeiten tun weh“, so der 68-Jährige. Denn so glorreich sie wohl waren; sie trugen schon den Niedergang in sich. 1978 wurde sein Vater von einem Bundeswehr-Soldaten ermordet. Viermal brannte es im Stern.
Diese Rückschläge fing Alfred Schäfer auf, berappelte sich wieder. Doch die Katastrophe sei schleichend gekommen, sagt er. Ohne dass er es gemerkt hätte. 2005 wurden die finanziellen Probleme, die seit längerem da waren, akut. Der Kurbetrieb ließ nach, die Kaufkraft ebenso; die Menschen wurden immer älter; die Jüngeren zogen weg.
Lange lebte der Stern von Gesellschaften und Geschäftsleuten. Doch die regionale Wirtschaft schrumpfte. Schäfer wollte das Elend nicht sehen: „Es durfte nicht bergab gehen. Der Betrieb war doch so gut gelaufen.“
Das böse Erwachen dann vor sechs Jahren. Der Wirt bekam von keiner Bank Kredit mehr – Zwangsversteigerung. Der Gasthof blieb in Familienbesitz. Sohn Franz-Josef ersteigerte ihn, führt ihn weiter.
Das bedeutete nicht das Ende vom Abstieg des Gastwirts. Da war der Alkohol: „Ich habe Probleme runtergeschluckt, kam mit mir nicht zurecht. Ich habe mich schlicht verloren.“
Exzesse, Streitigkeiten, Bruch mit Frau und Familie. Was genau vorgefallen ist, darüber möchte Schäfer nicht reden. Das Ergebnis: Durfte er bis Ende 2010 im Elternhaus wohnen, wurde er dann dort zur „unerwünschten Person“, wie er sagt.
„Ich bin mit nichts gegangen. Ich hatte nur das Bild meiner Eltern und ein Kreuz unterm Arm. Diesen Augenblick werde ich nie vergessen.“
Freunde hätten ihm geholfen, in der Siebenbrückengasse unterzukommen, einige Sachen nachzuholen. Weihnachten der Zusammenbruch: „Ich lag einsam im Bett und wusste nicht weiter.“ Alfred Schäfer versuchte, sich umzubringen, wurde gerettet. Der Wendepunkt?
Er habe viel Kraft im Glauben gefunden, sagt der 68-Jährige über die Zeit danach. Vier Wochen war er in Indien; im Trappistenkloster in der Eifel musste er von morgens bis abends schweigen, fand so zu sich.
Wie er am Tisch sitzt, wirkt Schäfer geläutert, aber sehr verletzlich: „Ich habe mich wieder in der Hand.“ Bier trinkt er nach eigenem Bekunden selten, lieber Tee oder Wasser.
Der frühere „Macher“ lebt von „einer kleinen Rente und dem Sozialamt“. Kontakt zur Familie habe er nicht. Das Kapitel Stern sei für ihn abgeschlossen, auch wenn es ihm weh tue, dass er nicht mehr in sein früheres Lokal hinein dürfe.
Immerhin: Für den Senior-Experten-Service (SES), eine Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit, darf er gelegentlich ehrenamtlich durch die Welt reisen, die bayerische Küche schmackhaft machen. Zuletzt war er in Kasachstan, erfuhr „Weltoffenheit und Gastlichkeit“. Und das Gefühl, „mein Wissen und Können wieder präsentieren zu dürfen“.