Martin M. geriet Ende 2013 in Konflikt mit dem Gesetz: An einem Samstagnachmittag war er mit Freunden unterwegs, am Vorabend hatten sie in der Disco gefeiert, am nächsten Morgen wurde mit Alkohol nachgelegt. Die Drei pöbelten Passanten an, sein Freund verletzte sogar einen Menschen. Martin M. hatte damit zwar nichts zu tun, wurde aber ausfällig und entblößte später seinen Hintern. Jetzt steht er vor Gericht, Anwalt hat er keinen. Weil er zum Tatzeitpunkt aber erst 19 war, steht ihm zumindest die Jugendgerichtshilfe zur Seite. Deshalb war er vor dem Gerichtstermin beim Jugendamt.
„Wenn's optimal läuft, kriegen wir schon die Mitteilung der Polizei, aber spätestens bei der Erhebung der Anklage ist das Jugendamt eingebunden“, berichtet Maja Schmitt. Sie ist Bezirkssozialarbeiterin für den Raum Bad Brückenau. Jeder Angeklagte zischen 14 und 20 Jahren bekommt Post vom Jugendamt. „Ich würde sagen, dass sich rund zwei Drittel melden, manche kommen aber auch erst kurz vor der Verhandlung“, sagt Schmitt zum Rücklauf.
Gesprächstermin im Jugendamt
Meistens setzt sich Schmitt im Landratsamt ein bis zwei Stunden mit den Angeklagten zusammen. „Wenn ich den Eindruck habe, dass das häusliche Umfeld wichtig ist, mache ich aber auch Hausbesuche.“ Abgefragt wird ganz viel: Wie hat sich das Kind entwickelt? Gab es längere Krankenhaus-Aufenthalte, die zu einer Reifeverzögerung führten? Wie oft wurden der Wohnort oder die Schule gewechselt? Wurde jemand im Heim betreut? „Oft sind die, die bei uns landen, nicht auf dem Stand von Gleichaltrigen“, berichtet Schmitt.
„Die wichtigste Frage ist, ob der junge Mensch strafrechtlich überhaupt verantwortlich ist“, berichtet die Sozialarbeiterin. Zudem geht es in den Gutachten um Vorschläge für die „Rechtsfolgen“, wie Maja Schmitt sagt. Von Strafen will sie eher nicht reden, denn: „Im Jugendstrafrecht steht der erzieherische Gedanke im Vordergrund.“ Und da ist die Sozialarbeiterin sehr erfinderisch: Die vorgeschlagenen Auflagen reichen von der schriftlichen Entschuldigung beim Opfer bis zu ganzen Aufsätzen. „Dann muss sich der Jugendliche wenigstens mal zwei Stunden an den Tisch setzen“, sagt Thomas Duda, stellvertretender Leiter des Jugendamtes.
Maja Schmitt hat aber auch schon junge Mütter, die wegen ihres Kindes keine Arbeitsstunden leisten können, Socken stricken lassen. Oder die Polizei kommt am Samstagmorgen zur Alkohol- und Drogen-Kontrolle. Auch ein Kontaktverbot mit anderen sei möglich – und natürlich Arbeitsstunden: „Das können auch mal viele sein, damit die Jugendlichen einen geregelten Arbeitsablauf bekommen.“ Zum Teil mit guten Nebeneffekten: „Wir hatten schon Jugendliche, die im Seniorenheim Stunden leisten mussten und dann dort einen Ausbildungsplatz gefunden haben.“
Wenn alles nichts fruchtet, schlage sie auch Jugendarrest vor: „Wenn jemand nicht erzieherisch erreichbar ist, dann muss er halt auch mal einsitzen, das ist manchmal ganz heilsam.“ Eingesperrt, ohne Süßigkeiten und vor allem ohne Handy würden auch vermeintlich harte Jungs „heulen wie die Schlosshunde“, hat Maja Schmitt selbst schon erlebt.
Der Bericht der Jugendgerichtshilfe wird grundsätzlich in der Verhandlung vorgetragen. „Der Richter muss unserer Empfehlung aber nicht folgen“, stellt Maja Schmitt klar. Das weiß auch Jugendrichter Matthias Göbhardt, Direktor des Amtsgerichtes Bad Kissingen, legt selbst aber hohen Wert auf die Meinung des Jugendamtes: „Ich bin froh, dass wir die Jugendgerichtshilfe haben, weil sie Hintergründe beleuchtet und uns Erklärungen an die Hand gibt.“ Deshalb empfehle er jedem jugendlichen Straftäter, mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten: „Dann hat er einen Fürsprecher vor Gericht.“
400 Euro für den Kreisjugendring
Und Martin M.? Bei ihm kam das Jugendamt zu dem Schluss, dass die Tat „eher jugendtypisch“ war. Also nutzte Göbhardt seine Freiheit als Jugendrichter und beließ es trotz der Beleidigung und Bedrohung bei 400 Euro Geldstrafe – zu zahlen in Monatsraten von 50 Euro, weil M. nur eine geringe Ausbildungsvergütung hat. Kostenlos gab es noch einen Wunsch zum Abschied dazu: „Ich hoffe, das war das erste und letzte Mal, dass ich Sie hier sehe.“