2011 war für die 45 Mitarbeiter der Molkerei in der Winkelser Straße kein gutes Jahr. Die Bayerische Milchindustrie (BMI) Landshut hatte angekündigt, dass mit der Quarkherstellung in der Kissinger Filiale Ende 2012 Schluss ist. Die drohende Schließung des Traditionsbetriebs hing wie ein Damoklesschwert in der Luft. Noch vor Weihnachten 2011 aber wurden Interessenausgleich und Sozialplan für die mittlerweile 34 Beschäftigten unterzeichnet. Bei der Betriebsversammlung am 3. Januar 2012 gab es daher sogar zufriedene Gesichter.
Schon lange hatte es im Kissinger Werk unter der Oberfläche gebrodelt. Bereits 2005 hatten die Beschäftigten sich motiviert gezeigt, um ihre Firma zu retten, und einem Stillhalteabkommen zugestimmt, in dem unter anderem ein Lohn- und Urlaubstageverzicht vereinbart worden waren.
Das ging ein paar Jahre gut. Doch im März 2011 brachte die Landshuter Zentrale plötzlich die Schließung des Kissinger Werks ins Gespräch. Die Quarkproduktion sollte nach Zapfendorf verlegt werden. Als Grund gab man unter anderem an, dass am Standort Bad Kissingen nur noch 60 bis 65 Millionen Kilo Milch pro Jahr verarbeitet würden, wohingegen zukunftsfähige Betriebe bis zu 300 Millionen Kilo jährlich schaffen würden. Dazu muss man wissen, dass sich 2009 ein Großteil der hiesigen Bauern aus der Milchanlieferung verabschiedeten und so lediglich noch 50 Prozent des bis dato üblichen Milchaufkommens in die Kissinger Produktion kamen.
Stellenangebot für jeden
Im Mai 2011 wurde endgültig klar, dass die Weichen in Landshut gestellt waren. Die Kissinger kündigten das Stillhalteabkommen mit Hilfe der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) auf, ließen die Mitarbeiter richtig eingruppieren und klagten für die NGG-Mitglieder (80 Prozent der Beschäftigten) die Tarifleistungen rückwirkend für sechs Monate ein.
Im Mai und Juni suchten sich die ersten Facharbeiter neue Arbeitsplätze. Es fielen unendlich viele Überstunden an, denn die Auftragsbücher waren voll. Neun Mitarbeiter kamen schließlich aus anderen BMI-Werken nach Bad Kissingen. Die Gewerkschaft vereinbarte mit der BMI-Geschäftsführung jetzt eine Durchhalteprämie.
Im Juli stieg man schließlich in die Sozialplanverhandlungen ein. „Die Gespräche waren hart und intensiv“, schildert NGG-Bezirksvorsitzender Ibo Ocak die Stimmung. Aber man sei auch immer fair miteinander umgegangen. Mit dem Ergebnis ist Ocak hochzufrieden. Auch die Belegschaft äußerte sich am 3. Januar durchweg positiv.
Im Interessenausgleich wurde vereinbart, dass jeder Beschäftigte bis zum 30. November 2011 ein Stellenangebot in Zapfendorf bekam. Die Arbeitnehmer können sich bis 31. Januar 2012 entscheiden. Darüber hinaus werden auch ein paar wenige Arbeitsplätze im Würzburger Standort angeboten. Was die drei Produktionslinien im Kissinger Werk angeht, ist inzwischen klar, dass die erste Maschine bereits im März nach Zapfendorf verlagert werden soll.
Wesentliche Punkte des Sozialplans sind unter anderem, dass Arbeitnehmer, die nach Zapfendorf oder Würzburg wechseln, für die Dauer von zwei Jahren einen Fahrtkosten- oder Unterkunftskostenzuschuss erhalten. Wer sich bereit erklärt, nach Zapfendorf umzuziehen, kann ebenfalls auf die finanzielle Unterstützung des Arbeitgebers rechnen.
Kein „Bad Kissinger Quark“ mehr
Interessant ist auch die Wechselprämie, die mit dem ersten Lohn nach dem Umzug nach Zapfendorf ausgezahlt wird (für Würzburg fällt sie freilich geringer aus). Was die Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses angeht, ist Ocak mit dem ausgehandelten Ergebnis ebenfalls zufrieden: Wer in einem ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis steht, kann demnach mit einer Abfindung rechnen, die sich nach der Formel „Dienstjahre mal Bruttomonatsentgelt mal Faktor 1,0“ errechnet.
Das Kissinger Werk soll bis Ende Oktober 2012 endgültig geschlossen sein. Die Marke „Bad Kissinger Quark“ wird es dann nicht mehr geben, denn der Name darf laut Ocak nicht übernommen werden.