Als Generalvikar Thomas Keßler jetzt Gläubigen in der ehemaligen Pfarrgemeinde eines Ruhestandspriesters, dem sexueller Missbrauch vorgeworfen wird, Rede und Antwort stand, war „Entschuldigung“ ein häufig gebrauchtes Wort. Entschuldigung sagte Keßler nicht nur für den mutmaßlichen Täter. Er tat es auch für die Diözese. Deren Umgang mit dem Fall sei „nicht gerade supertoll“ gewesen. Und er sagte es zur Pfarrgemeinde, deren Mitglieder erst jetzt Gelegenheit bekamen, den Vorgang im Gespräch aufzuarbeiten. Ihm sei deutlich geworden, die Diözese habe kein funktionierendes Krisenmanagement, berichtete Keßler. Das versuche er nun zu ändern.
Anlass des Gesprächs war der Fall eines Pfarrers im Ruhestand, der lange im Raum Bad Kissingen wirkte. Er soll zwischen Oktober 1968 und Frühjahr 1973 in Polen, wo er damals noch lebte, eine junge Frau mehrfach sexuell missbraucht haben. Der Pfarrer habe den Missbrauch „weitgehend eingeräumt“, aber von „einvernehmlichem Handeln“ gesprochen. Das mutmaßliche Opfer sei damals 15 oder 16 gewesen, sagte Diözesanrichter Klaus Schmalzl, der ebenfalls am Gespräch teilnahm.
Was es heißt, dass der Fall „nicht gerade supertoll“ gelaufen sei, erläuterte Keßler. Er sei noch 2014 von der Frau mit den Vorwürfen konfrontiert worden und habe den Fall Anfang 2015 an Professor Klaus Laubenthal, den Missbrauchsbeauftragten der Diözese, weitergeleitet. Bis zu einem ersten Treffen Laubenthals mit der Frau sei es aber September geworden, erklärte die Diözese im März. Denn die Frau sei zwischenzeitlich krank gewesen. Der Priester sei Ende September vernommen worden.
Die kirchliche Voruntersuchung läuft ebenso noch wie die weltliche. Der mutmaßliche Täter habe sich auf seine Aufforderung hin, so der Generalvikar, selbst angezeigt. Oftmals würden Fälle bei solcher Sachlage, wegen Verjährung eingestellt. Eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft sei aber noch nicht bekannt. Wie sich die Kirche verhält, stehe ohnehin auf einem anderen Blatt.
Eine Sanktion, „das Verbot des öffentlichen priesterlichen Wirkens“, hat Keßler bereits ausgesprochen. Der mutmaßliche Täter halte sich aber nicht daran, berichten Gemeindemitglieder. Anderswo habe er trotzdem Seelenämter gehalten.
Auch solche Vorgänge, erklärte Keßler, kämen in die Akten. Und die gehen nach Abschluss der kirchlichen Voruntersuchung an die Glaubenskongregation nach Rom, die über den Fall entscheide.
Die Gemeindemitglieder nahmen die Erklärungen mit Zurückhaltung auf. Kritik übten sie an der langen Zeit, die seit der ersten Kontaktaufnahme des mutmaßlichen Opfers mit der Diözese vergangen ist. Ihre Sorgen konnte die Diözese nicht komplett ausräumen. Der Schock über die mutmaßlichen Taten eines Priesters, der früher zum Teil „mit Tränen in den Augen“ über hehre Themen gepredigt habe, sitze tief, sagte einer seiner ehemaligen Ministranten.
Der Fall ist einer von vier neuen Vorwürfen, die Laubenthal vergangenes Jahr untersuchte. Das hatte der Ansprechpartner für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Diözese im März berichtet.