Er ist mehr als einen Hektar groß und sogar von Hammelburg aus als markante grüne Fläche sichtbar. Von der westlichen Ecke aus sind es grade mal 50 Meter zur katholischen Kirche von Pfaffenhausen. In mehr als 350 Jahren wurden auf dem jüdischen Friedhof von Pfaffenhausen über 1000 Juden aus der ganzen Region begraben. Der letzte war 1938 David Birk aus Gemünden. Dann kamen Adolf Hitlers Nationalsozialisten (NS).
Auch Sophie Sichel wurde 1918 dort „für die Ewigkeit“ bestattet. Sie ruhte ungestört, bis 1938 nach dem Kirchweihtanz die Hammelburger Sturmabteilung (SA) kam, Hitlers paramilitärische Kampforganisation, und die Sockel von über 1100 Grabsteinen lockerte. Am nächsten Morgen wurde die Schändung des jüdischen Friedhofs öffentlich zelebriert. Der nationalsozialistische Dorfschullehrer rückte mit fünf Dutzend Schulkindern an, um die gelockerten Grabsteine umzulegen.
Ab 1939 wurde der Friedhof als Viehweide benutzt. Das Taharahaus, das Leichenhaus, nutzten Kinder bei Aktionen der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. „Hitler-Eichen“ wurden gepflanzt, das gusseiserne Tor eingeschmolzen, Mauerteile entfernt. Pfaffenhäuser NS-Mitglieder verwendeten sie zum Hausbau, gravierten Hakenkreuze ein. Grabsteine wurden benutzt, um das Saale-Ufer in Pfaffenhausen einzufassen.
Als 1945 die Amerikaner anrückten, wurden die noch vorhandenen, gestapelten Steine hastig wieder aufgestellt. Welcher Stein der von Sophie Sichel war und wo genau er stand, weiß man heute nicht mehr. Nur die Reihe, in der sie begraben ist, kennt man. Einer der größeren Grabsteine bekommt nun wieder eine Inschrift-Tafel, sie erinnert an die Frau von Samuel Sichel, die 1853 in Gersfeld geboren wurde und in Hammelburg starb.
Sie war die Großmutter von Kurt Samuel, der mit seiner Familie in die USA emigrierte. Er benannte sich um in Arnold Samuels, als er US-Soldat wurde und gegen Hitler in den Krieg zog. Und er war, ebenso wie der gleichaltrige Arthur Stühler, dabei, als der Würzburger Rabbiner Jakov Eberth diese Tafel am Dienstag vor 30 Versammelten segnete. Auch die Inschrift auf der Gedenktafel, die seit 1986 am ehemaligen Leichenhaus hängt und an den Pogrom erinnert, wurde aufgefrischt, der siebenarmige Leuchter neu vergoldet.
Oskar Böhm, langjähriger Ortsbeauftragter Pfaffenhausens, erinnerte an die Zeit, in der „Heil Hitler!“ den herkömmlichen Gruß ablöste. Weil er sich nicht daran gehalten und den Lehrer mit „Grüß Gott“ gegrüßt habe, erzählte der heute 85-Jährige, habe ihm dieser damals „20 übern Arsch gehauen“.
Arnold Samuels nickte gerührt mit, als der Rabbiner ein hebräisches Gebet intonierte. Er selbst dankte nur Petra Kaup-Clement, die den Besuch eingefädelt hatte: „Petra hat dies so wunderbar gemacht. Sie war der wichtigste Grund, dass ich nach Hammelburg gekommen bin“, so der 89-Jährige.
„Vergangenheit ist nur, wenn man was davon hat“, sagte Rabbiner Eberth. An diesem Ort in Pfaffenhausen seien Vergangenheit und Zukunft verbunden. „Wie man sich hier den Koffer vollmacht“, machte er bildhaft deutlich, „kommt man an in der Ewigkeit.“
Arthur Stühler hat einen guten Grund, erneut nach Hammelburg zu kommen: Auch sein Großvater Abraham Stühler ist in Pfaffenhausen begraben. Dessen Grab allerdings wurde noch nicht ausfindig gemacht.