Frage: Herr Köberlein, sind Sie diese Woche schon Angela Merkel begegnet?
Michael Köberlein: Frau Merkel kommt erst am Freitag, am letzten Tag der Verhandlungen, an dem die Staatschefs selbst am Verhandlungstisch sitzen werden. Bislang habe ich es sogar nicht einmal ins Konferenzzentrum geschafft, da die dänische Regierung bei der Registrierung der Teilnehmer so ineffizient gewesen ist und tausende von Menschen noch keinen Zugang erhielten.
Am Montag haben Sie in Kopenhagen einen Workshop zum Thema Emissionshandel geleitet. Mit dabei waren der führende deutsche Klimawissenschaftler Professor Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam Institut für Klimafolgeforschung, und Sunita Narain, Klimaberaterin des indischen Premierministers Manmohan Singh. Wie ist es, mit dem Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel arbeiten zu dürfen?
Köberlein: Es ist natürlich eine Auszeichnung für unsere gute Arbeit, wenn wir mit den Besten der Besten zusammenarbeiten dürfen. Unser Ansatz ist es, als Ideenwerkstatt zu fungieren, um „grüne“ Ideen in die Arbeit politischer Berater einfließen zu lassen. Unsere globale Stiftungsstrategie wird von der hohen Politik mittlerweile auch wahrgenommen.
Im Workshop ging es um die Konzepte Fairness und Gleichheit in einem globalen Klimaregime. Können Sie das Ergebnis der Diskussionen zusammenfassen, so dass es auch Ihre ehemaligen Mürschter Schulkollegen verstehen?
Köberlein: Für einen effektiven Klimaschutz benötigt die Politik einen Kompass, um die CO2-Emissionen zu reduzieren und die Erderwärmung auf höchstens zwei Grad zu reduzieren. Gleichzeitig muss den Menschen aber ein Recht auf Entwicklung gegeben werden. Diese Grundsätze haben wir diskutiert. So hat unsere indische Partnerorganisation CSE für den Klimagipfel in Rio de Janeiro 1992 den Pro-Kopf-Emissionsrecht-Ansatz entwickelt, den Frau Merkel als fairsten Globalansatz eines Klimaregimes ansieht. Die Veranstaltung mit Professor Schellnhuber, Leiter des Wissenschaftlichen Beirats für Globalen Umweltwandel der Bundesregierung, war qualitativ extrem gut und selbst die erfahrenen Klimaberater haben etwas voneinander gelernt.
Welche Rolle spielt Ihre neue Heimat, das Schwellenland Indien, für das Klimaabkommen in Kopenhagen?
Köberlein: Indien spielt eine große Rolle als 'Champion der Entwicklungsländer', da es sowohl eine aufstrebende wirtschaftliche Supermacht ist, aber zugleich noch ein Entwicklungsland, das absolut gesehen noch die meisten Armen der Welt beherbergt. Indien ist in den Klimaverhandlungen immer sehr aktiv und kreativ gewesen.
Kann Deutschland gar etwas lernen von indischer Umweltpolitik?
Köberlein: Deutschland kann von Indien lernen, dass Umweltpolitik, Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik sehr eng miteinander verbunden sind. Umweltpolitik in Indien ist eher eine Ressourcenpolitik, die den Menschen eine Basis fürs Überleben und die Gestaltung ihrer Lebensgrundlage bietet.
Hat der Reichenbacher Michael Köberlein je daran gedacht, einmal in Neu Delhi als Politikberater zu arbeiten?
Köberlein: Sicherlich nicht, auch wenn mich Indien aufgrund seiner Vielfalt, Kreativität und Eigenarten schon immer interessiert hat. Aber letztendlich ist alles etwas Zufall gewesen. Man kann sagen, ich habe zum richtigen Zeitpunkt aufs richtige Pferd gesetzt.
Wie kommt es, dass sie Ihre Dissertation über diejenigen Menschen in Indien geschrieben haben, die vom Müll leben?
Köberlein: Ich habe die Menschen, die vom Müll leben, als Zielgruppe ausgewählt, da sie als das Sinnbild der Armut gelten. Das spannende war herauszufinden, wie es den Ärmsten der Armen gelingt, in einer Großstadt wie Delhi zu überleben.
Hat sich die Geografie des Landstrichs um Münnerstadt in Ihrem Gedächtnis festgebrannt? Und betreiben Sie diesbezüglich hin und wieder Feldforschung?
Köberlein: Natürlich gehört Münnerstadt und die Rhön zu meiner Identität. Auch wenn man weit weg ist, sollte man wissen, wo man herkommt. Zudem hat die Region so viel Erholungswert, dass ich nicht zum Forschen komme, sondern eher zum Ausspannen.
Indien, das immer wieder von Naturkatastrophen heimgesucht wird, wird den Klimawandel brutaler spüren als Ihr ehemaliger Nachbar in Reichenbach. Mit welchem Argument würden Sie einen Rhöner Klima-Skeptiker überzeugen, dem die drei Grad Erderwärmung eher willkommen sind?
Köberlein: Ich denke, auch ein Rhöner Klimaskeptiker sollte wissen, was drei Grad Erderwärmung global wie lokal bedeuten würden: ein Klima wie vor 15 Millionen Jahren mit einer ganz anderer Biosphäre, Vegetation und Landnutzung. Dies würde die Rhön wettermäßig zwar nicht so sehr treffen wie den Fischer an der indischen Küste, aber es hätte enorme politische, soziale und ökonomische Implikationen. Wir alle könnten unseren Lebensstil nicht mehr aufrecht erhalten und eine Welt von Hunger, Krisen und Kriegen könnte die Folge sein. Ich denke, rund ein Prozent unseres Bruttosozialprodukts in den Klimaschutz zu investieren, ist eine gute Investition, um den Planeten zu retten.
Eine letzte Prognose: Wenn am Freitag der Klimagipfel zu Ende geht, wird er ein Erfolg für die Welt sein?
Köberlein: Diese Frage ist sehr hypothetisch. Doch die Tatsache, dass sich mehr als 100 Staatschefs angekündigt haben, gibt Hoffnung, auch wenn die Verhandlungen bei den Vorveranstaltungen dieser Konferenz in Bangkok und Barcelona ziemlich in der Sackgasse gelandet sind, was vor allem an der klimarassistischen Position der USA liegt. Falls die US-Administration mit Obama an der Spitze, ein gutes Angebot auf den Tisch legt, wird sich einiges hier in Kopenhagen bewegen. Falls nicht, gehen wir alle schweren Zeiten entgegen.
Zur Person
Michael Köberlein
1968 in Münnerstadt geboren, wuchs Köberlein im Stadtteil Reichenbach auf. Nach dem Abitur im Johann-Philipp-von-Schönborn-Gymnasium studierte er Geografie in Bamberg, Heidelberg und Neu Delhi. Köberlein war Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Heidelberg und ist seit 2006 Direktor des Indienbüros der Heinrich-Böll-Stiftung. Er ist verheiratet mit Anila Elizabeth Chandy. Die beiden haben zwei Kinder, drei und vier Jahre alt.
Online-Tipp
Infos zur Henrich-Böll-Stiftung und zum Klimagipfel Kopenhagen: www.boell-india.org www.klima-der-gerechtigkeit.de