Die UNRRA (United Nations Relief Rehabilitation Administration) wurde bereits am 9. November 1943 von 44 Regierungen gegründet. Ihr Auftrag bestand darin, durch Kriegsereignisse verschleppte Personen wie Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Flüchtlinge zu sammeln, mit Nahrung, medizinischer Versorgung und Kleidung zu versehen und schließlich geordnet in ihre Heimat zurück zu führen.
Da verschiedene Volksgruppen mitunter auch untereinander verfeindet waren, richteten die Westalliierten zunächst nach Nationalitäten getrennte Sammellager ein, was natürlich auch den Abtransport in die jeweiligen Heimatländer vereinfachte. Beim Einmarsch der Amerikaner in Wildflecken im April 1945 bestanden im Bereich des Truppenübungsplatzes zwei Kriegsgefangenenlager, deren Insassen zu Arbeiten auf dem Übungsplatz herangezogen worden waren.
Zunächst verschiedene Lager
In dem ehemaligen "Gemeinschaftslager Hohe Rhön", einem Barackenlager, in dem einst Arbeiter wohnten, die am Bau des Truppenlagers beteiligt waren, wohnten Franzosen und Belgier. Die Russen waren in einem Lager unterhalb der einstigen Ortschaft Reussendorf untergebracht. Ihre Lebensbedingungen waren viel schlechter als die der Franzosen und Belgier. Entsprechend entlud sich ihre Wut nach der Befreiung an den Einrichtungen des Lagers sowie an der Bevölkerung der umliegenden Ortschaften.
Mit Morden und Raubüberfällen entschädigten sie sich für die Entbehrungen der letzten Jahre. Da die Kasernenanlage des Truppenlagers sehr vielen Menschen Platz bot und dazu noch vollständig intakt war, entschloss sich die US-Army, in Wildflecken ein Sammellager für polnische Zwangsarbeiter, die nach Deutschland verschleppt worden waren, einzurichten.
Rücktransporte
Im Juli 1945 übernahm die UNRRA die Lagerverwaltung und begann von hier aus die ersten Transporte zurück nach Polen zusammenzustellen. Das Lager war bereits zu Beginn der UNRRA-Mission mit etwa 20 000 Polen belegt. Die Unterkünfte waren 1937 jedoch nur für eine Belegung mit 9000 Soldaten ausgelegt worden. Die qualvolle Enge sorgte nicht nur für die schnelle Verbreitung von Krankheiten, sondern förderte in der Anfangszeit auch den Willen der Polen, schnell in die Heimat zurückzukehren.
Das zwölfköpfige UNRRA-Team, das die Verwaltung des "Camp Wildflecken" übernehmen sollte, war bereits frühmorgens Ende Juli 1945 im Münchner UNRRA-Hauptquartier aufgebrochen. "Das Lager befindet sich irgendwo im Wald bei Bad Neustadt im Nordosten Bayerns", schrieb die Leiterin des Teams, Kathryn Hulme, später in ihrem Buch "The Wild Place" unpräzise.
Gemischte Gefühle
"Schon der Name des Ortes - Wildflecken - jagte uns kalte Schauer über den Rücken. Wie wild würde dieser Ort wohl sein?", schreibt Hulme auf den ersten Seiten. Ein Bericht der US-Army sprach von rund 2000 Polen, die dort wären. Das Lager hätte einen Bahnanschluss, der nach Reparatur einiger gesprengter Brücken auch für den An- und Abtransport der Displaced Persons, wie die entwurzelten Menschen von Army und UNRRA genannt wurden, genutzt werden könne.
Bis dahin würde die US-Army die Transporte per Lastwagen von und zum Bahnhof in Gemünden durchführen. Spät in der Nacht, nach einer "Irrfahrt kreuz und quer durch die Wildnis der Rhön", erreichte die kleine Wagenkolonne ihr Ziel.
Die Angehörigen des Teams kamen aus fünf Nationen, da nur wenige Englisch aber alle Französisch sprachen, wurde dies als Arbeitssprache akzeptiert. Der Erleichterung, das Lager gefunden zu haben, folgte ein Schock bei der Einweisung durch den verantwortlichen Major von der US-Army.
Eine Null zu wenig
Nicht 2000, sondern 20 000 Polen waren im Lager. "War wohl ein Schreibfehler", meinte der Major trocken und begann, als mache das keinen großen Unterschied, mit seiner Einweisung. Der sarkastische Vortrag des Majors endete mit der Feststellung, dass man das "DP-Business", also die Arbeit mit den "DPs", relativ schnell erlernen würde, schließlich gebe es genug davon und täglich kämen neue dazu.
Tatsächlich erlernten die Leute von der UNRRA ihr Geschäft sehr schnell. In ihrem Buch "The Wild Place" verarbeitete Kathryn Hulme ihre Erlebnisse in Wildflecken ebenso wie in dem später erschienen Buch "Undiscovered Country". Im August 1945 verließen, nach Kathryn Hulmes privaten Aufzeichnungen, 8562 Polen das Lager in Richtung Heimat, während aus dem besetzten Reichsgebiet 7340 neue "DPs" dazu kamen.
Angst vor den Kommunisten
Dieser Austausch kam allerdings Mitte bis Ende 1946 ins Stocken, da sich in Polen mittlerweile eine kommunistische Regierung etabliert hatte und jedem klar wurde, dass das "neue" Polen nur ein sowjetischer Satellitenstaat war. Immer mehr Polen weigerten sich in ihre Heimat zurückzukehren, zumal der Teil Polens, den die Sowjets 1939 besetzt hatten, nun der Ukraine zugeschlagen worden war.
Schon kursierten Gerüchte, dass Zurückgekehrte in diesen Gebieten unterdrückt, als Kollaborateure angeklagt und misshandelt oder umgebracht worden seien. Trotz der Androhung von Zwangsmaßnahmen seitens der US-Army, die die Transporte bis nach Polen bewachte, war es nicht mehr möglich, die Züge zu füllen. Nachdem in anderen Lagern die ersten Selbstmorde von Polen stattfanden, die mit Waffengewalt zurückgeführt werden sollten, stellte die UNRRA die Rücksiedlung der Polen ein. Mitte 1947 endete der Auftrag der UNRRA in Wildflecken.
"Schon der Name des Ortes - Wildflecken - jagte uns kalte Schauer über den Rücken. Wie wild würde dieser Ort wohl sein?"
Kathryn Hulme, die Leiterin des Displaced Persons Camp, in ihrem Buch über das Lager
Noch immer harrten rund 18 000 bis 20 000 Polen in Wildflecken aus. Nun übernahm die IRO (International Refugee Organisation) "Camp Wildflecken". Deren Auftrag unterschied sich grundsätzlich von dem der UNRRA. Anstatt Rückführung in die Heimat versuchte die IRO die Polen als Auswanderer in andere Länder zu vermitteln. Um dies zu erleichtern, wurden Sprachkurse und Berufsausbildungen vermittelt. Polnische Lehrer bauten eine polnische Schule im ehemaligen Offiziersheim auf. Die IRO-Agenten vermittelten Stahlarbeiter nach Australien, Männer für den Kohlebergbau nach Belgien und Arbeiterinnen in Textilfabriken nach Großbritannien.
Lager leerte sich nur langsam
Wer Verwandte in den USA oder Kanada hatte, konnte verhältnismäßig einfach dort einwandern. Trotzdem leerte sich Camp Wildlfecken nur sehr langsam. Die Menschen im Lager begannen sich einzurichten, zwischen den Gebäuden wurden Gemüsegärten angelegt. Viele der Männer hatten feste Arbeitsstellen bei der Lagerpolizei, der Verwaltung oder Feuerwehr. Einige hatten sogar Arbeitsstellen in den umliegenden Ortschaften gefunden. Der dichte Baumbestand, der das Lager in den Kriegsjahren gegen die feindliche Luftaufklärung geschützt hatte, war bald verschwunden. Die Bäume wurden in den Öfen der Gebäude verheizt. War es im Winter zu kalt, um draußen Holz zu machen, begannen die Polen aus den Dachstühlen der Unterkunftsgebäude Holzteile heraus zu sägen. Sogar die Innenseiten der Kastenfenster wurden verbrannt.
Mit der Normalisierung des Lebens hatten auch die Raubzüge der polnischen Banden in den umliegenden Gemeinden aufgehört. Lediglich der Schwarzmarkt innerhalb des Lagers dürfte bis zuletzt geblüht haben. Hier wurden Wertgegenstände, Waffen, Zigaretten und der selbst gebrannte Wodka umgesetzt. Bei der Übernahme des Lagers wechselte auch ein Großteil des ehemaligen UNRRA-Personals zur IRO. Auch Kathryn Hulme blieb in Wildflecken noch bis 1948. Dann übernahm sie Aufgaben in Aschaffenburg und Würzburg.
Vereinfachte Auswanderung
Ab 1949 war sie schließlich für alle "DP-Camps" in der amerikanischen Besatzungszone verantwortlich, bis diese offiziell 1951 aufgelöst wurden. Durch die Verabschiedung des "DP-Act" durch den amerikanischen Präsidenten Eisenhower 1949 kam Bewegung in die Auswanderung. Der "DP-Act" vereinfachte die Auswanderung der Polen in die USA erheblich. Die Polen in Wildflecken freuten sich über diese Initiative des US-Präsidenten derart, dass sie den großen Platz vor dem ehemaligen Offizierheim, auf dem sie ihre Kundgebungen und auch Feste abhielten, in "Eisenhower-Place" umbenannten. Als die US-Army 1950 beschloss, Lager und Übungsplatz Wildflecken wieder militärisch zu nutzen, wurden die letzten Polen auf andere Lager verteilt. Teilweise verblieben einige in den umliegenden Gemeinden und leben noch heute dort.
Kreuzweg der Nationen
Unterhalb der im Bereich der heutigen Rhön-Kaserne gelegenen, Wildfleckener Schule liegt der Polenfriedhof. Hier endet auch der "Kreuzweg der Nationen", der an das millionenfache Leid des Krieges erinnert. Auf dem Friedhof des ehemaligen DP-Camps wurden von 1945 bis 1951 544 polnische Staatsbürger beerdigt, davon 116 Erwachsene und 428 Kinder. Der Polenfriedhof in seiner heutigen Form geht auf eine Neugestaltung im Auftrag des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge 1971 zurück. Nachdem die letzten Polen das Lager 1951 verlassen hatten, kümmerten sich noch einzelne deutsche Familien um die Gräber. Als die US-Army das Gelände allerdings in das Truppenlager einbezog, war dies nicht mehr möglich.
Die Amerikaner kümmerten sich nicht um den Friedhof, so dass dieser schließlich überwuchert wurde und verwilderte. Einer Initiative des damaligen Bundeswehrsoldaten Adolf Kreuzpaintner war es zu verdanken, dass der Volksbund sich der Anlage annahm und in der heutigen Form ausbaute. Kreuzpaintner betreut den Friedhof noch heute.
Eigene Homepage
Das "Displaced-Persons-Camp" Wildflecken dürfte deutschlandweit das einzige Camp mit einer eigenen Homepage im Internet sein. Viele der hier geborenen Kinder haben hier ein Stück ihrer Identität wiedergefunden, einige haben daraufhin sogar den Entschluss gefasst die Koffer zu packen und Wildflecken zu besuchen.
Hotelreservierung und Betreuung übernehmen seit einigen Jahren Angehörige der Reservisten-Kreisgruppe Rhön-Saale. Die Kommunikation geht über das Internet verhältnismäßig schnell und die Zusammenarbeit mit der Kommandantur des Truppenübungsplatzes läuft dank einer festen Partnerschaft mit den Reservisten reibungslos.
Informationen gibt es unter
www.comrades.de oder unter
www.dp-camp-wildflecken.de