Zum Jahresbeginn hat die Klinik Bavaria ihr Kerngeschäft Rehabilitation um eine neurologische Intensivstation erweitert. Für rund zwei Millionen Euro wurden elf Intensiv-Plätze geschaffen, die auch für beatmete Patienten geeignet sind. Dr. Lothar Lürken wechselte dafür von der Intensivstation des St.-Elisabeth-Krankenhauses an die Klinik Bavaria. Wir sprachen mit dem 58-jährigen Leiter der „Aware Care“-Station über den dortigen Therapieansatz.
Frage Herr Dr. Lürken, Sie waren am Aufbau der Aware-Care-Station beteiligt. Was hat Sie an dieser Herausforderung gereizt?
Dr. Lothar Lürken: Es war die völlig neue Konzeption, die die Familie Presl mit dieser Station plante: Patienten, die einer intensivmedizinischen Betreuung bedürfen, trotzdem eine wohnliche Atmosphäre zu bieten, in der sie sich wohl fühlen. Dementsprechend stellen wir hier nicht nur die aus der Akutmedizin heraus bekannten organbezogenen Hilfen in den Vordergrund, sondern auch das seelische Befinden eines Patienten, sprich das Fühlen, das Sehen, das Empfinden.
Welche Philosophie verfolgen Sie?
Lürken: Die neurologische Früh-Rehabilitation hier beruht auf dem Team-Gedanken. Der beinhaltet unter anderem die therapeutische Betreuung mit krankengymnastischen, physio- und ergotherapeutischen Maßnahmen, sowie musik- oder tiergestützter Therapie.
Was unterscheidet ein Zimmer in der Aware-Care-Abteilung von anderen Intensiv-Zimmern.?
Lürken: Es gibt Vieles, was hier ganz anders ist als bei den üblichen Patientenzimmern. Das erste, was auffällt, ist der sehr goße Raum. Wir haben viel Platz um die Betten herum, zum einen für die Pflege und die Hilfsmittel, zum anderen wollen wir den Patienten ein Raumgefühl geben, in dem sie sich wohlfühlen.
Wie plante man die Gestaltung?
Lürken: Die Wände sind weiß, die Hölzer sind explizit in einem sehr hellen Ton gewählt, um die Helligkeit des Tageslichtes, das über große Fenster in unsere Zimmer fällt, nutzen zu können und den Patienten nicht das Gefühl zu geben, dass sie in einem rein funktionalen Raum sind, sondern in einem Wohnraum. Die Technik ist hinter Holzverkleidungen quasi versteckt, der Monitor ist das einzige, was für uns als Hinweis erkennbar ist.
Sie haben sogar eine Disko-Kugel und einen Beamer an der Decke. Wozu?
Lürken: Die Disko-Kugel nutzen wir hauptsächlich in der Farbe Weiß, um am Abend einen Sternenhimmel zu simulieren. Mit dem Beamer können wir den Patienten Erinnerungen aus ihrem Leben vor dem Unfallereignis oder vor dem Schlaganfall einspielen, zum Beispiel Urlaubsfilme, die uns Angehörige mitbringen. Gleichzeitig kann man hier mit Soundtechnik und Beduftungseinrichtungen auch die Wahrnehmung der übrigen Sinne ansprechen.
Welche Erfahrungen haben Sie inzwischen gemacht?
Lürken: Durchaus unterschiedliche. Es kommt sehr auf das Verletzungsmuster und auf den Wachheitsgrad der Patienten an. Wir erleben immer wieder, dass Patienten gerade wenn sie aus bewusstseinsgestörteren Verhältnissen in die wacheren Phasen hineinkommen, durch Bilder aus der Vergangenheit, Bilder aus ihrer Erinnerung sich geborgener fühlen und wir deshalb einen deutlich besseren Zugang zum Patienten bekommen und sie auch nicht unbedingt schneller, aber intensiver wieder in ihr Leben zurück finden.
Ist es wissenschaftlich belegt, dass das Wohlbefinden eine große Rolle bei der Heilung spielt?
Lürken: Wir wissen heute, dass nicht nur die Rückgewinnung der Organ-Funktionen den Regenerationsgrad des Patienten bestimmt, sondern dass es sehr wohl auch weitere Faktoren gibt, die sich mehr in der Gefühls-, in der Wahrnehmungsebene befinden, die Besserungen mit sich bringen. Gerade bei Patienten mit Gehirnerkrankungen oder -verletzungen wissen wir, dass von der ersten Minute an die Rückgewinnung von verloren gegangenen Fähigkeiten auf der einen Seite, zum anderen aber auch das Trainieren von noch vorhandenen Fähigkeiten extrem wichtig ist und man deshalb möglichst frühzeitig damit beginnen sollte. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass Patienten, die sich in einer für sie ansprechenden Atmosphäre befinden, sehr viel mehr mit den Therapeuten und den betreuenden Personen kommunizieren.
Welche Patienten kommen zu Ihnen, welche Krankheitsbilder behandeln Sie?
Lürken: Wir sind ein neurologisches Fach-Krankenhaus, insofern haben alle unsere Patienten im Vordergrund eine neurologische Diagnose. Diese kann verschiedene Ursachen haben, entweder ein Unfall mit Schädel-Hirn-Verletzung oder eine Gefäßerkrankung, die letzten Endes zu einem Hirnschlag oder einer Hirnblutung geführt hat. Oder der dritte Bereich: Neurologische Erkrankungen, die den gesamten Körper betreffen, eben auch das Gehirn. Meine jüngste Patientin ist 22 Jahre alt, unser ältester Patient war 93, wir decken das gesamte Spektrum außer Kinder- und Jugendmedizin ab. Der Trend geht hin zu den Gefäßerkrankungen und daraus resultierenden Hirnschlägen oder -blutungen, die von den Akuthäusern in relativ frühen Phasen zu uns verlegt werden.
Ist der Ausbau auf 20 Betten das Ende der Fahnenstange?
Lürken: Die Frage müssen Sie als allererstes der Geschäftsführung stellen, aber nach aktueller Planung werden wir uns zunächst auf diese 20 Betten konzentrieren. Es ist nicht einfach, qualifiziertes Personal in allen Bereichen, dem ärztlichen wie pflegerischen oder therapeutischen, zu finden. Wir haben uns mit der Geschäftsführung vorgenommen, die Erweiterung nur so umzusetzen, wie wir auch qualifiziertes Personal anbieten können.
Wir werden also nicht versuchen, um jeden Preis zu wachsen, sondern wir werden uns an den Gegebenheiten ausrichten. Aber die Zukunftsperspektive ist: Unsere Station und unser Angebot werden gebraucht und mehr gebraucht als bisher. Dem wollen wir gerne nachkommen.