Erich Seufert aus Poppenlauer ist ein kräftiger Mann, einer, den so schnell nichts umhaut. Einer, der zupacken kann, mit seinen starken, breiten Händen, die an harte Arbeit gewöhnt sind. Die körperliche Robustheit hat ihn aber nicht davor geschützt, drinnen, wo die Seele wohnt, in ein tiefes schwarzes Loch zu fallen. Depression nennt die Medizin jene Krankheit, die auch den Stärksten aller Kräfte berauben kann. Eine Krankheit, die den Menschen lähmt, die ihn leer und gefühllos macht, die selbst alltägliche Beschäftigung zu einer kaum zu bewältigenden Anstrengung wachsen lässt.
An den Tag, als er in das Loch fiel, kann sich der 57 Jahre alte Familienvater noch gut erinnern. Die Erkrankung damals, vor zwölf Jahren, hatte sich schleichend eingestellt. Schon seit geraumer Zeit hatte sich der gelernte Kfz-Mechaniker, der als Lastwagenfahrer arbeitete, zunehmend überfordert gefühlt. Der ständige Wechsel der Fahrzeuge, der Lärm, der Stress – der innere Druck wurde immer größer. An jenem besagten Tag war es dann zu viel. Früh war er schon zu einem Einsatzort unterwegs gewesen, sollte dann schnell noch woanders hin. „Da ging nichts mehr, ich konnte nicht mehr hinters Lenkrad“, sagt er heute, da es ihm dank Medikamenten und Therapie wieder viel besser geht. Lastwagen gefahren ist er trotzdem nie wieder, den Führerschein ließ er verfallen.
Tabletten und Ruhe halfen nicht
Der Hausarzt hatte buchstäblich auf den ersten Blick erkannt, was los war mit seinem Patienten. „Schwere Depression“ lautete die Diagnose. Tabletten und Ruhe halfen in den kommenden Monaten aber so wenig wie der Aufenthalt in einer psychosozialen Klinik.
Nichts, was ihm früher Freude bereitet hatte, konnte Seufert aufbauen. Mit Leidenschaft hatte er an Autos geschraubt, jetzt saß er oft stundenlang im Wohnzimmer auf dem Sofa und blickte ins Leere. „Sogar das Fernsehen hat mich gestört“, sagt er. Immer tiefer zog er sich in sein Haus zurück, mied die Öffentlichkeit und den Umgang mit Menschen.
Wenn sich Besuch einstellte, war Seufert nicht zu sprechen. Anfangs versuchten gute Freunde noch, ihn aufzurichten. „Was ist denn los mit dir, so kennen wir das ja gar nicht, das wird schon wieder“, und was man halt so sagt, wenn man eigentlich gar nicht weiß, was man sagen soll, zu einem vertrauten Menschen, der einem scheinbar aus heiterem Himmel und ohne erkennbaren Grund so fremd geworden ist.
Für den Bad Kissinger Psychiater und Psychotherapeuten Bernhard Hamelbeck sind solche Aufmunterungsversuche eine natürliche Reaktion der Umwelt. „Viele sagen: streng dich halt an.“ Doch das funktioniere eben nicht. Der Wille sei zwar vorhanden, aber es ist den Menschen aufgrund der Antriebsstörung unmöglich, den gut gemeinten Ratschlägen zu folgen. „Depressionen sind Gehirnkrankheiten und nicht von Stimmungen oder Launen abhängig“, sagt der Ärztliche Leiter des Ärztezentrums Heiligenfeld. Wer sich bei dunklem Winterwetter schlecht fühle, habe noch lange keine Depression.
Nach der Definition der Weltgesundheitsbehörde (WHO) spricht man erst von einer Depression bei 14 Tage durchgehend gedrückter Stimmung, Freudlosigkeit und Interessenverlust. Der Mensch empfinde sich selbst als Hindernis und verliere sein Selbstwertgefühl. Und anders als etwa bei einer Krebserkrankung gehe auch die Hoffnung auf Hilfe verloren. Deshalb sollten Angehörige einen Betroffenen auch zum Arzt begleiten, rät Hamelbeck. Denn Depressionen seien mit Medikamenten sehr gut beherrschbar. Ideal sei eine Kombination mit Psychotherapie.
Stationäre Behandlung brachte die Wende
Erst die stationäre Behandlung in der Psychiatrie in Werneck brachte für Seufert langsam die Wende zum Besseren. Nach vielen Versuchen fanden die Ärzte dann doch das richtige Medikament für ihn. Mit Unterbrechungen verbrachte er sechs Jahre lang in der Klinik. „Das war eine harte Zeit“, sagt seine Frau Johanna. Die beiden Buben, die heute junge Männer sind, waren damals gerade zwölf Jahre alt und wurden schon sehr früh mit der harten Realität des Lebens konfrontiert. Die beiden Töchter waren schon älter.
Erich Seufert ist seiner Frau gegenüber von großer Dankbarkeit erfüllt, weil sie bei ihm geblieben ist. „Eine andere wäre auf und davon.“ Seine Frau sieht das anders. „Warum soll man einen Menschen bestrafen, der schon krank ist?“, fragt sie und gibt selbst die Antwort: „Er hat sich das ja nicht ausgesucht.“ Diese Erkenntnis hätte sie auch jenen gewünscht, die ihr damals, in der schweren Zeit, Dinge gesagt haben, die sie lieber nicht wiederholen möchte. „Es gibt halt noch starkes Unverständnis in der Außenwelt.“
Nach den Erfahrungen von Psychiater Hamelbeck wächst aber langsam das Verständnis in der Bevölkerung. „Immer mehr betroffene Menschen gehen offener damit um.“ Dass die Vorurteile geringer werden, liege aber auch an der stärkeren Medienpräsenz und Thematisierung durch die Ärzte.
So richtig besser geht es Seufert seit etwa drei Jahren. „Gehen Sie nach Hause, wenn es nicht geht, können Sie sofort wiederkommen“, habe der Chefarzt eines Tages zu ihm gesagt. Seufert ist dem Rat gefolgt und kehrte nicht wieder nach Werneck zurück. Jetzt bastelt er wieder an Autos, geht spazieren und einkaufen. „Ich kann wieder alles machen, alles, was weg war, ist wieder da“, freut er sich. Auch die sozialen Kontakte funktionieren wieder. Ausgeglichenheit findet Seufert vor allem in seinem Bastelkeller.
An den Wänden im Wohnzimmer hängen Kupferarbeiten, auf dem Boden stehen Korbflechtereien. Dinge, die er in der Beschäftigungstherapie in Werneck hergestellt hat. Die Beschäftigung mit den Materialien tut Seufert gut. Vor einiger Zeit hat er ein weiteres Betätigungsfeld entdeckt. Er stellt Kruzifixe her.
Mit einer Stichsäge schneidet er das Holz zu und verziert es mit Brandmalereien, bevor die Christusfiguren angebracht werden, die er häufig auf Flohmärkten ergattert. An Bekannte und Verwandte verschenkt Seufert die kleinen Kunstwerke, die auch Ausdruck dafür sind, dass er angekommen ist, in ihrer Welt, die jetzt auch wieder seine ist.
depressive Infobox
Wo gibt es ambulante Hilfe?
Bernhard Hamelbeck (unser Bild) ist einer von fünf niedergelassenen Psychiatern im Landkreis. Alle haben ihre Praxen in der Stadt Bad Kissingen. Neben Hamelbeck (Erwachsene) sind das Agathe Krahl (Erwachsene, Jugendliche, Kinder), Madjid Sedaghat Kerdar (Kinder und Jugendliche), Harald Denzel (Psychiatrie, Neurologie) und Otto Hoffmeyer (Psychiatrie, Neurologie). Gut 500 Patienten im Quartal kommen allein zu Hamelbeck, die Gesamtzahl der Menschen im Landkreis Bad Kissingen, die ambulante Hilfe bei einem Psychiater in Anspruch nehmen, schätzt er auf 2000. Die Wartezeit auf einen Arzttermin beträgt für neue Patienten in der Regel etwa drei Monate.
Was ist eine Depression?
Hamelbeck beschreibt Depression als ein Gemütsleiden mit unterschiedlichen Ursachen. Sie kann als Folge von Trauer oder Erschöpfung entstehen und führt immer zu Veränderungen des Stoffwechsels im Gehirn. Sie äußert sich in seelischen, geistigen und körperlichen Störungen, wie etwa Schlafstörungen. Untersuchungen gehen davon aus, dass sieben bis 18 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens eine Depression erleiden. Der Begriff Burnout bezeichnet eine Unterform der Depression und ist das Erleben körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung. Ursprünglich wurde er auf Personen in sozialen Berufen mit hoher Leistungsbereitschaft angewandt, die sich hohe Ziele setzen.
Was kann man dagegen tun?
Die Kombination aus Psychopharmaka und Psychotherapie wird zumindest bei schweren Depressionen als wirksamste Behandlungsmethode empfohlen. Daneben sind die Bewegung an frischer Luft, ausreichend Sozialkontakte, eine geregelte Tagesstruktur und viel Schlaf wichtig. Bei jahreszeitlich bedingten Problemen, wie etwa einer Winterdepression, kann auch eine Lichttherapie helfen. Hamelbeck hält es aber für besonders wichtig, körperliche Signale, wie etwa Magenschmerzen oder Übelkeit, zu verstehen und bewusst Ruhepausen einzulegen. Viele Menschen würden ihre psychische Verfassung nicht mehr wahrnehmen, weil sie es sich abtrainiert haben, ihrem Körper zuzuhören.