Ginge es um Liebe, fehlte nur noch die Kerze: 15 kleine Bistrotische füllen die obere Etage des Restaurants „La Piazza“ in Wertheim Village. Sie sind alle besetzt. Allerdings geht es hier in den nächsten drei Stunden nicht um das private Glück, sondern um Jobs. 15 Storemanager haben um Punkt neun Uhr an „ihrem“ Tisch Platz genommen, Block, Kugelschreiber und Visitenkarten sortiert und den Aufsteller mit den aktuellen Mitarbeitergesuchen gerade gerückt: Das Job Speed Dating kann beginnen.
Die Idee ist in Deutschland noch relativ neu. „Wir haben uns auf dem Markt umgeschaut, um herauszufinden, was wir den Marken in unseren Villages noch Gutes tun können“, erzählt Julia Wichmann, Projekt Koordinatorin von Value Retail und Organisatorin des heutigen Speed Datings. Das Bewerbungsmodell des Speed Datings kam dem Unternehmen wie gelegen. „Hier zählt der erste Eindruck, genau wie später im Laden“, sagt sie.
„Hier zählt der erste Eindruck, genau wie später im Laden.“
Mit einem Namensschild an der blauen Bluse steht Julia Wichmann am Treppenende zur oberen Etage, wo jetzt die ersten Bewerber mit teils erwartungsvollen, teils etwas unsicheren Blicken heraufkommen. Julia Wichmann begrüßt sie lächelnd und schickt sie in den Wartebereich. Wie ein Job Speed Dating funktionieren kann, hat sie drei Tage zuvor im zweiten deutschen Village des Unternehmens Value Retail in Ingolstadt ausprobiert. Drei Marken und rund 30 Bewerber hatten sich dort per Schnellverfahren in Sachen Jobs gedatet. Fünf bis sechs potenzielle Kandidaten sind pro Marke herausgesprungen.
In Wertheim (Landkreis Main-Tauber) rechnet Julia Wichmann mit der doppelten Anzahl an Bewerbern. Neben den Ausschreibungen zum Job Speed Dating über die Wertheim Village Homepage, wurden 70 Bewerber allein von den Arbeitsagenturen Würzburg, Wertheim, Tauberbischofsheim, Aschaffenburg und Bad Mergentheim angeschrieben, die die Veranstaltung unterstützen. „Wir haben querbeet eingeladen, nicht nur Bewerber mit Verkaufshintergrund“, erklärt Anna-Maria Pikos von der Arbeitsagentur. In Gruppengesprächen wurden die Teilnehmer auf das spezielle Bewerbungsverfahren vorbereitet. Nun sind sie hier: Den Kurz-Lebenslauf in mehrfacher Ausführung in der Hand und laut Anna-Maria Pikos „schwer schick gemacht“.
„Ein gepflegtes Äußeres ist bei uns ein Muss, ebenso sollte der Mitarbeiter kommunikativ und offen sein“, bestätigt Vera Christ. Der Platz am Tisch der Storemanagerin von „L’Occitane en provence“ ist fast immer besetzt. Wer sich wo hinsetzt und wie lange er dort sitzen bleibt, ist den Unternehmen und den Bewerbern überlassen. Es gibt keine Stoppuhr und keine gemeinsame Rotation. Passt der Bewerber ins Profil, kann das Gespräch auch schon einmal zehn Minuten dauern. Springt der Funke nicht über, ist das Date nach kurzer Zeit vorbei und ein neuer Kandidat kann kommen. Das ist effektiv und wird geschätzt, zum Beispiel von Sabine Weiss, Filialleiterin bei der „San Francisco Coffee Company“. „Ich kann hier heute mit relativ wenig Zeitaufwand viele Interessenten kennenlernen“, sagt sie. Viele Unterlagen braucht sie dazu von Bewerberseite nicht. Wer bei ihr ins Profil passt, hat im besten Fall Gastronomieerfahrung, kann zum gewünschten Zeitpunkt starten und kann auch dann noch lächeln, wenn die Schlange vor der Theke sehr, sehr lang ist. Auch Dagmar Heidemann, Storemanagerin bei „Sunglass Time“ ist angetan. Viele Wege der Mitarbeitersuche seien ausgeschöpft. Deshalb ist sie heute für alle offen. Sitzt ein Bewerber vor ihr, hakt sie gedanklich ab: Will der arbeiten? Passt er ins Team? Und natürlich: Passt er zum Produkt? Ist jemand sehr aufgeregt, ist das für sie eher ein Zeichen: Der will.
Nicht mehr nervös, dafür sehr zufrieden kommt Annette Winter aus ihrem Bewerbungsrundgang. Die Studentin sucht einen Job als Aushilfe, ihre Wunschkandidaten sind Mammut, Steiff, Desigual oder Bally. Dafür ist sie extra eine Dreiviertelstunde aus dem hessischen Erlensee angereist. Aber sie findet, der Aufwand lohnt sich. „Das hier ist für alle sehr effektiv, ich fühle mich als Bewerber gut wahrgenommen, merke aber auch schnell, wenn es nicht passt“, sagt sie. Während die Studentin um halb elf mit ihren Dates durch ist, geht es für andere jetzt erst in die heiße Phase. Zur Halbzeit ist es im Date-Café richtig voll geworden – und warm. Auch die 31-jährige Würzburgerin, die sich als Storemanagerin bewirbt, fächelt sich mit dem Lageplan Luft zu. „Ich bin eine Frau, ich liebe Mode“, begründet sie spontan, warum sie heute hier ist. Zudem sucht sie eine neue Herausforderung. Als studierte Medienwissenschaftlerin kommt sie zwar aus einem anderen Bereich, ist aber trotzdem zuversichtlich. „Die ersten 30 Sekunden sind entscheidend“, sagt sie und macht sich auf zum Tisch von Triumph.
Drei Tische weiter sitzen Helmut Gottwald und Dominik Ferger von Mammut. Elf Leute haben sie bis elf Uhr kennengelernt und auf die Kriterien „Sportlicher Bezug“, „Zwischenmenschliches“ und „Was hat derjenige bisher gemacht?“ geschaut. Ein Drittel davon wollen sie zu einem weiteren Gespräch einladen. Die Idee des Speed Datings finden sie vor allem für Wertheim gut. Mit seiner Lage, abseits der Ballungszentren und nur mit dem Auto erreichbar, sei es hier unter allen 17 Mammut-Filialen in Deutschland am schwierigsten, Mitarbeiter zu finden.
Um 12 Uhr verlässt der letzte Bewerber das „La Piazza“. Das Speed Dating ist beendet. 60 Bewerber waren hier. Rund die Hälfte der Bewerber kam über die Arbeitsagentur. Deren Rückmeldungen sind gut: Durch die entspannte Café-Atmosphäre war die Hemmschwelle niedriger, die Gespräche fanden auf Augenhöhe statt, erzählt Anna-Maria Pikos. Und auch Julia Wichmann ist sehr zufrieden mit ihrer zweiten Job-Speed-Dating-Auflage. Pro Tisch und Unternehmen wurden an diesem Morgen rund 20 Gespräche geführt, rund fünf Kandidaten zum zweiten Gespräch oder zum Probearbeiten eingeladen – die Ersten kommen gleich an diesem Nachmittag.
Value Retail und Wertheim Village
Value Retail ist ein internationales Unternehmen mit Sitz in London, das auf die Entwicklung und den Betrieb von High-End Outlet Shopping Villages in Europa spezialisiert ist.
Jedes der neun Shopping Villages in Europa befindet sich in der Nähe einer großen Metropole und bietet Mode- und Wohnaccessoires für bis zu 60 Prozent unter der ehemaligen unverbindlichen Preisempfehlung.
Bei Outlet-Ware handelt es sich oft um Bestände aus der Vorsaison, aus Überproduktion oder um Ware mit kleinen Fabrikationsfehlern.
Das Outlet Center „Wertheim Village“ wurde 2003 eröffnet und bietet auf einer Verkaufsfläche von 13 500 Quadratmetern über 110 Shops. 2013 besuchten rund 2,3 Millionen Menschen das Wertheim Village. In den Geschäften im Village arbeiten rund 700 Mitarbeiter. Vom Mutterunternehmen Value Retail sind 45 Mitarbeiter für Wertheim zuständig. luc