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WÜRZBURG/GEMÜNDEN: Das Riesengeschäft mit "geschenkten" Autos

WÜRZBURG/GEMÜNDEN

Das Riesengeschäft mit "geschenkten" Autos

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    Bei der Übergabe war die Freude groß: Das neue Dienstfahrzeug der Stadtreiniger Würzburg ist zu 100 Prozent elektrisch unterwegs – und wurde, so zeigen Recherchen, über Werbeflächen vieler Firmen zu mindestens 100 Prozent überfinanziert.
    Bei der Übergabe war die Freude groß: Das neue Dienstfahrzeug der Stadtreiniger Würzburg ist zu 100 Prozent elektrisch unterwegs – und wurde, so zeigen Recherchen, über Werbeflächen vieler Firmen zu mindestens 100 Prozent überfinanziert. Foto: Foto: Penning-Lother

    Sie sind ein gewohnter Anblick: mit einer Vielzahl kleiner Werbeflächen örtlicher Firmen beklebte Fahrzeuge, die soziale Einrichtungen, Vereine oder auch Kommunen kostenlos hingestellt bekommen. Doch dass hinter den werbefinanzierten rollenden Litfaßsäulen wie auch hinter gesponserten Defibrillatoren und Info-Vitrinen häufig eine riesige Geschäftemacherei von Werbefirmen steckt, ist den wenigsten bekannt. Die fragen bei sozialen Einrichtungen, Vereinen und Kommunen an, ob diese nicht ein kostenloses Auto bräuchten. Beißen sie an, beginnt das Geschäft. Die Werbefirmen lassen sich nicht selten noch als Wohltäter feiern. Leidtragende dieses oft fragwürdigen „Sozialsponsorings“ sind Gewerbetreibende, die mit der Aussicht, etwas Gutes zu tun, und mit mitunter dreistem Vorgehen und unlauteren Behauptungen als „Sponsoren“ gelockt werden. Dass die Flächen meist völlig überteuert sind, kriegen sie oft gar nicht mit, da die Summe aller Einnahmen nur den Werbefirmen bekannt ist.

    Wir haben uns den aktuellen Fall eines werbefinanzierten Ford Transit Custom Kombi für das Gesundheitszentrum Main-Spessart, einer Alten- und Pflegeeinrichtung in Gemünden am Main (Lkr. Main-Spessart), näher angeschaut. Vermittelnde Werbefirma war die Mobil Sport- und Öffentlichkeitswerbung GmbH aus dem rheinland-pfälzischen Neustadt an der Weinstraße. Laut einem Ford-Händler kostet ein solcher Neunsitzer inklusive Großabnehmerrabatt etwa 20 000 Euro netto. Die Firma nahm jedoch, so zeigen unsere Recherchen, von insgesamt 54 Gewerbetreibenden aus dem Raum Gemünden und Umgebung knapp 80 000 Euro netto ein. Die werbenden Firmen fühlen sich, damit konfrontiert, übers Ohr gehauen.

    Die Werbefirma, die dem Gesundheitszentrum Gemünden „großzügig“ angeboten hatte, ihm als Ersatz für das bisherige Werbefahrzeug für weitere fünf Jahre einen neuen Ford Transit hinzustellen, hat der 2013 gestorbene Achim Niederberger gegründet. Seine Sponsoring-Werbefirmengruppe hatte ihn zum Multimillionär und größten privaten Weinerzeuger Deutschlands gemacht. Frau Jana zählt laut dem Manager Magazin zu den 300 reichsten Deutschen. Auf wiederholte Anfragen dieser Zeitung, schriftlich und telefonisch, hat die Firma nicht reagiert.

    Für den Transit musste das Gesundheitszentrum der Werbefirma lediglich eine Liste mit Firmen, die womöglich Werbeflächen kaufen würden – hauptsächlich kleine Lieferanten, die in gewisser Weise abhängig sind von ihrem Kunden – und ein Empfehlungsschreiben überlassen. Heimleiter Oliver Wind zeigt sich schockiert, als wir ihn mit den Recherchen konfrontieren. „Unser Ansinnen war eine gute Sache für alle und nicht, irgendwie die Leute abzuzocken“, sagt er. In die Preisgestaltung und Arbeitsweise der Firma Mobil habe er keinen Einblick. Da er keine juristische Auseinandersetzung mit der Firma wolle und da noch ein Sachverhalt im Vertrag ungeklärt sei, könne er keine vertraglichen Details nennen.

    Landwirt Thomas Riedmann aus dem kleinen Gemündener Ortsteil Massenbuch könnte sich schwarz ärgern, dass er sich hat beschwatzen lassen, für 1500 Euro Werbung auf dem Ford Transit zu schalten. Mobil-Vertreter H. aus dem Raum Würzburg habe jedoch stark auf die Tränendrüse gedrückt, die Alten und Behinderten bräuchten unbedingt ein neues Fahrzeug. „Ich hatte einen schwachen Moment“, sagt Riedmann. Andere erzählen, dass behauptet wurde, das Fahrzeug werde behindertengerecht sein. Das ist es jedoch in keiner Weise. Eine Mitarbeiterin des Gesundheitszentrums erzählt, dass der Einstieg bei dem Ford Transit so hoch sei, dass man ein Hockerchen als Hilfe beim Einstieg darunter stellen müsse.

    Bei den Verkaufsgesprächen wird geschickt mit den Kosten pro Jahr statt mit den Gesamtkosten geworben und damit, dass die Werbung ja lange laufe, so erzählen die Unternehmer. Genau nachgerechnet hat offenbar niemand, die Gemündener Unternehmer bekamen vielmehr gesagt: Es gibt ja unterschiedliche Größen zu unterschiedlichen Preisen. Die reichen in der Tat bis 2500 Euro netto für fünf Jahre, beginnen aber auch erst bei 1000 Euro.

    Was man von praktisch allen Unternehmen hört, die eine Anzeige auf dem Fahrzeug haben: „Ich habe gedacht, ich tue was Gutes.“ So ging es auch Unternehmer Jürgen Katzenberger aus dem nahen Aura im Sinngrund. Ihm habe Anzeigenverkäufer H. gesagt: „Wir kommen grad so hin, die alten Leute sind darauf angewiesen, jeder trägt einen Stein dazu bei. H. spricht beim Telefonat mit der Redaktion mit ruhiger, ja vertrauenswürdiger Stimme. „Nie im Leben, nie im Leben“, sagt er, würde er unlautere oder unrichtige Behauptungen machen.

    Gemünden ist dabei kein Einzelfall. In Bad Kissingen hat die Caritas im Februar ebenfalls von Mobil einen neuen VW Up bekommen – 34 Firmen haben darauf inseriert. Der Wagen hat einen Wert von etwa 11 000 Euro – und die sind nach acht von uns kontaktierten Firmen schon erreicht, die größte Werbefläche für 3000 Euro noch nicht mitgerechnet. Bei 34 Firmen kommt man hochgerechnet auf über 45 000 Euro Werbeeinnahmen.

    Bei mindestens einer Gewerbetreibenden soll der Vertreter einen Caritas-Ausweis vorgezeigt haben, wodurch diese glaubte, alles käme der Caritas zugute. Ludwig Sauer, Geschäftsführer des Caritasverbands Bad Kissingen, sagt, dass der Mobil-Vertreter lediglich ein Empfehlungsschreiben der Caritas bekommen habe, keinen Ausweis. „In keiner Weise“ hätten er oder sein Vorgänger Einblicke in das Vorgehen von Mobil gehabt, sagt auch er. Man sei auf Firmen angewiesen, weshalb es fatal wäre, diese zu verprellen.

    Rechtsanwalt Wolf-Dieter Czap aus Hirschaid bei Bamberg ist nach eigenen Angaben schon in 250 Fällen gegen Firmen der Niederberger-Gruppe vorgegangen. Deren Geschäftsmodell sei zwar „nicht strafbar, aber unanständig“. 75 bis 80 Prozent der Einnahmen aus den Werbeanzeigen blieben nach seiner Erfahrung bei Firmen wie Mobil. Da werde vonseiten der Anzeigenverkäufer oft ganz gezielt getäuscht und „verschleiert, mit wem der Kunde einen Vertrag schließt“. Die Unternehmen sollten nicht einfach zahlen. Bei einem Rechtsstreit sieht er die Erfolgschance bei 50 Prozent.

    Mobil ist dabei nicht irgendeine Klitsche, sondern eine Firma mit Millionenumsatz und nach Angaben auf der eigenen Internetseite mit über 15 000 „Partnern“ „mit großem Abstand Marktführer in Europa“. In Oerlenbach (Lkr. Bad Kissingen) haben Gemeinderäte einen „Spiegel“-Artikel über die Methode einer ähnlich agierenden Firma gelesen und versuchen deswegen lieber einen Bürgerbus selbst zu finanzieren, anstatt dies Mobil zu überlassen. Glaubt man Recherchen anderer Zeitungen und des „Spiegel“, wimmelt es in der Branche von Firmen, denen Abzocke vorgeworfen wird.

    Auch ein Beispiel aus Würzburg mit einer anderen Werbefirma zeigt, dass mit Autosponsoring gut Geld zu verdienen ist. Was manche unter dem Mäntelchen der Gemeinnützigkeit machen, machen andere offenbar unter dem der Umweltfreundlichkeit. Anfang April wurde der Stadt Würzburg für die Stadtreiniger ein neues Dienstfahrzeug, ein gebrauchter Renault Kangoo Z.E. Maxi mit Elektroantrieb, übergeben. Vermittelnde Werbefirma war hier die Firma Mobil Marketing Riedel & Kaiser aus Deggendorf. Laut Stadt haben sich 39 Firmen an dem Wagen beteiligt, der 22 000 Euro brutto wert ist. Schon allein die Werbesumme der 25 Firmen, die uns mitgeteilt haben, was sie zahlten, beträgt knapp 50 000 Euro brutto. Eine Firma hat sogar einfach 100 Euro gespendet.

    Christian Weiß, Pressesprecher der Stadt Würzburg, sagt: „Wir können dadurch ein Fahrzeug beschaffen, ohne es auf die Müllgebühren der Würzburger umzulegen.“ In die Kalkulation von Riedel & Kaiser habe die Stadt keinen Einblick. Das Auto sei nun definitiv Eigentum der Stadt. Der Vertreter von Riedel & Kaiser, der in Würzburg die Werbeflächen verkauft hat, bestreitet die recherchierte hohe Summe. „Das ist mit Sicherheit nicht der Fall“, behauptet er. Wir hätten bestimmt nicht alle Verträge eingesehen. Chef Karl-Heinz Kaiser, der sich – offensichtlich alarmiert – bei uns meldet, will sich zum Fall nicht äußern, er sagt lediglich: „Ich hatte bislang ein sehr gutes Verhältnis zur Presse, das muss ja nicht auf ewige Zeiten so bleiben.“ Geschäftspartner Stefan Riedel teilt mit: „Gute Geschäfte sind Basis unserer Wirtschaft und sichern die nachhaltige und anständige Zusammenarbeit aller Beteiligten.“ Er spricht von „Mischkalkulation“.

    Was bleibt, ist für manche Gewerbetreibende die Hoffnung auf den Werbeeffekt. Druck- und Werbeunternehmer Richard Reitz aus Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) sieht den bei über 50 Firmen auf einem Auto „bei null“. Er schätzt die Kosten für das Aufbringen der gesamten Anzeigen auf einen Ford Transit zudem auf höchstens 3500 bis 4000 Euro. Bei einem angenommenen Gesamtwert von 25 000 Euro netto für den Ford Transit blieben der Werbefirma im Gemündener Fall über zwei Drittel der Einnahmen.

    Womöglich noch lukrativer als werbefinanzierte Autos sind gesponserte Defibrillatoren und Info-Vitrinen. Ein Gemündener Geschäftsmann erzählt, dass das Freibad vor etwa sechs Jahren einen Defibrillator bekommen sollte, eine Vertreterin habe sich damals sogar als städtische Mitarbeiterin ausgegeben. Aus dem Defibrillator wurde offenbar nichts. Vergangenes Jahr dann sollte das benachbarte Burgsinn einen fürs Freibad bekommen, aber manche der angesprochenen Firmen rechneten nach: Die Anzeigen auf der Werbetafel neben dem 1000 bis 2000 Euro teuren Defibrillator werden für ein Vielfaches des Wertes verkauft. Die vermittelnde Werbefirma war hier die ToMa Marketing GmbH – aus Neustadt an der Weinstraße, Teil der Niederberger-Gruppe. Für eine Presseauskunft nicht zu erreichen.

    Was die auf dem Ford Transit in Gemünden werbende Firmen als die Höhe empfinden: Das Fahrzeug geht, so ist es bei Mobil üblich, nach fünf Jahren wieder an die Werbefirma zurück, die durch Abschreibungen Steuern sparen und dann durch den Verkauf noch einmal Reibach machen kann. Laut Ludwig Sauer geht auch der VW Up in Bad Kissingen nach fünf Jahren zurück; der Vertreter habe anderes behauptet, teilen uns Firmen mit. Und dann braucht die jeweilige gemeinnützige Einrichtung, die die laufenden Kosten selbst zu tragen hat, ja wieder ein neues Fahrzeug – und alles beginnt von vorn. Mitarbeit: Franziska Jünger

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