Drei, vier, fünf: Das Glöckchen aus dem Fachwerkturm zählt die Stunden. Die Töne fliegen übers saftig grüne Tal, verklingen. Es gibt sie hier, Momente des wunderbaren, stillen Friedens, die der Mensch des lauten 21. Jahrhunderts nur mehr selten erlebt. Wenn er die Augen schließt, könnte er glauben, in der Zeit gereist zu sein. Würde aus der Kirche des Klosters das Gebet der Nonnen klingen, der Besucher wäre nicht sonderlich überrascht – obwohl die letzte Zisterzienserin von Frauental 1547 starb.
Das Kloster in der 200-Seelen-Gemeinde Frauental, einem Ortsteil des Tauberstädtchens Creglingen, ist heute zu einem Teil ein Museum. Der andere Teil dient der kleinen Gemeinde noch immer als Gotteshaus. Denn die Klosterkirche besteht aus zwei Kirchen, die teilweise übereinander liegen. Eine Besonderheit. „Hier ist alles besonders“, lächelt Margret Gröger.
Die Führerin des Museumsvereins steht im Chor der sogenannten Oberkirche, dem ältesten Teil des 34 Meter langen Kirchenschiffs. Begonnen wurde mit dem Bau kurz nach 1232, am Übergang von Romanik und Gotik. Die schmalen Halbsäulen in den sechs Ecken des Chorraumes zeigen Blattschmuck aus dem frühen 13. Jahrhundert. Vom alten Hauptaltar sind noch die gemauerten Fundamente zu sehen.

Das lässt Raum für Spekulationen: Stand hier vielleicht ursprünglich der berühmte Altar, der jetzt die Attraktion der nur wenige Kilometer entfernten Creglinger Herrgottskirche ist? Das Meisterwerk des Würzburger Bildschnitzers Tilman Riemenschneider ist ein Marienaltar. Das würde zu einem Zisterzienserinnenkloster passen. Und das „Creglinger Lichtwunder“, bei dem die Riemenschneider-Madonna, von der Sonne beschienen, wie in magischem Licht erscheint, hätte auch in der Frauentaler Kirche funktioniert. Das jedenfalls glaubt Margret Gröger. Wurde der wertvolle Altar aus dem Kloster weggeschafft, um ihn in Sicherheit zu bringen? Frauental wurde 1525 im Bauernkrieg zur Hälfte zerstört. Beweisen lasse sich das mit dem Riemenschneider-Altar aber nicht. „Alles Spekulationen“, wehrt Margret Gröger ab.
Lieber begibt sie sich auf sicheres Terrain und steigt die Treppe hoch in den Westteil der Oberkirche. Dass die Hälfte des Gotteshauses quasi im ersten Stock liegt, ist auch eine Besonderheit der ehemaligen Klosterkirche. Hier, auf der sogenannten Nonnenempore, feierten die Ordensschwestern den Gottesdienst (Laien mussten unten bleiben). Wer heute hier oben beim Besichtigen der Vitrinen, Modelle und Dokumente die Geschichte Frauentals vom Kloster zum Dorf nachvollzieht, steht auf der Decke der Unterkirche. Doch vor dem Abstieg dorthin zieht ein weiß verputzter Raum vor dem Westfenster die Aufmerksamkeit auf sich. Die Nonnen betraten das kojenartige Gebilde durch einen mittlerweile zugemauerten, spitzbogigen Durchgang. Draußen waren sie zuvor durch den doppelstöckigen Kreuzgang gelaufen – auch der war eine dieser Besonderheiten des Klosters im Steinachtal.

„Wozu dieser Raum diente, wissen wir nicht mehr“, erklärt die Klosterführerin. Der Boden aus rotem Backstein lässt vermuten, dass er als Wärmestube für die frommen Frauen diente. Das Kloster war nicht beheizt, wie seinerzeit üblich. „Es wird richtig kalt hier in der Kirche“, weiß Margret Gröger. Heute sind in dem weißen Raum steinzeitliche Funde aus der Region ausgestellt.
Der Weg in die Unterkirche führt zurück in den ebenerdigen Teil der Oberkirche und durch einen Torbogen unterhalb der Nonnenempore. Es ist ein Weg in eine andere Welt. Der Besucher tritt aus der weiten Oberkirche in einen dichten Wald aus achteckigen Säulen, die sich zur Decke hin zu einem Kreuzrippengewölbe verästeln. Uralte Wandmalereien um den Altarbogen (Jesus und die zwölf Apostel), das schräg durch die kleinen Westfenster fallende Licht und die tiefe Ruhe, die das Kirchlein ausstrahlt, lösen wieder diesen Zeitreise-Effekt aus . . .

Das Altarbild schreibt man, neuen Erkenntnissen zufolge, Hans Mack II. zu. Die Initialen des Nürnbergers, der als „Briefmaler und Illuminist“ im Ämterbüchlein seiner Heimatstadt eingetragen war, finden sich auf dem Bild. Mack (1536 bis 1585) war Spross einer Nürnberger Künstlerfamilie, die auch mit Albrecht Dürer zusammenarbeitete. 1565 war er in Rothenburg. Womöglich entstand das Altargemälde – eine allegorische Darstellung der Kreuzigung – in Frauental zu dieser Zeit. Hans Mack II. entwarf auch Flugblätter. Bekannt ist seine „Erinnerung und Warnung vor dem jetzt scheinenenden Cometen“ von 1580.
Ursprünglich war die erst nach der Oberkirche entstandene Unterkirche Grablege des Adelsgeschlechts der Hohenloher. Und links neben dem Altar wurde 1742 der Amtmann Johann Christoph Meyer zur letzten Ruhe gebettet, sieben Jahre später seine Frau Elisabeth Margarete. Durch gläserne Sargdeckel sind ihre Leichen heute zu sehen – unverwest. Selbst die Kleidung ist erstaunlich gut erhalten. Wahrscheinlich wurden die Toten durch Säurefluss aus dem Gewölbe wie Mumien konserviert. Auch ein Kinderleichnam ist erhalten. Dessen Sarg ist verschlossen. Die Mumien sorgen bei der Besichtigungstour für eine Art Gruseleffekt. Den hat die Klosterkirche aber gar nicht nötig, um den Besucher zu fesseln und in eine längst vergangene Zeit zu schicken.
Öffnungszeiten des Klostermuseums Frauental: März bis Oktober, Mittwoch bis Sonntag von 14 bis 17 Uhr.