Brav liegen die Hände auf der Holzplatte des Pults. Sie ist von Rissen, Kerben und Gravuren übersät. Rechts oben steht das Tintentöpfchen bereit. Mit einem Mal und wie von unsichtbarer Hand gelenkt erheben sich alle von den Plätzen: Enkelkind, Oma, Vater und der niederländische Tourist. „Guten Morgen, Frau Lehrerin“, hallt es wie gespurt durch das Klassenzimmer.
Manuela Dittrich ist eine Respektsperson. Wenn sie oder ein Kollege in der Dorfschule von Krausenbach zum Unterrichtsbeginn läutet, dann hält Alt und Jung den Atem an. Es gibt viele einzigartige Momente, die man im Fladunger Freilandmuseum erleben kann. Eine Schulstunde in dem alten Gebäude, das aus dem Landkreis Aschaffenburg stammt und nun in der oberen Rhön steht, gehört zu den unvergesslichsten.
25 Jahre alt wird in diesem Jahr das Freilandmuseum. Es ist ein wenig ein Spätzünder. Denn bereits in den 70er Jahren hatte ein regelrechter Boom an Freilichtmuseumsgründungen eingesetzt in Bayern, zum Beispiel das oberbayerische an der Glentleiten oder das Bad Windsheimer Pendant in Mittelfranken.
Der Erhalt bäuerlicher Kulturdenkmäler und handwerklicher Techniken, dem sich die Freilandmuseen widmen, ist seit September 1990 das große Thema in Bayerns nördlichster Stadt. Dass das unterfränkische Freilandmuseum im äußersten Nordosten des Bezirks seinen Standort fand, ist den politischen Bemühungen seit Ende der 70er Jahre zu verdanken. Schon 1983 wurde ein Zweckverband gegründet, um in das Zonenrandgebiet diese Dokumentationsstätte der Kultur und Lebensart zu bringen, auch um den Fremdenverkehr zu fördern.
In die turbulente Zeit der Wendejahre fallen die Aufbauarbeiten am Museum. 1990 schließlich konnte auf einem zwölf Hektar großen Areal am Ortsrand das Freilandmuseum seine Tore für Besucher öffnen. Immerhin schon acht Gebäude konnten seinerzeit besichtigt werden. 2002 kamen weitere Flächen hinzu.
In den Jahren bis heute ist aus einer Handvoll Objekten ein beachtliches Ensemble von rund zwei Dutzend Gebäuden geworden, die eine Fülle von Themen aus dem ländlichen Unterfranken abbilden.
Das fängt schon vor dem Museum selbst an. An manchen Tagen liegt der Platz vor dem Eingang in Dampfschwaden, laut und schrill dröhnt das Horn, wenn die historische Museumsbahn in den alten Fladunger Bahnhof einfährt oder gleich den Weg nach Ostheim und Mellrichstadt nimmt. 1996 wurde die lange verwaiste Bahnstrecke wiederbelebt mit der Dampflok „Alfred“. Der damalige Landrat Fritz Steigerwald sorgte dafür, dass auch die Dampflok 98 886 aus dem Jahr 1924 – sie stand als Denkmal jahrelang vor dem Schweinfurter Bahnhof – instand gesetzt und fahrbereit gemacht wurde.
Im Jahr 2000 erfolgte nach langwierigen Verhandlungen der Anschluss bis Mellrichstadt an das Netz der Deutschen Bahn. Derzeit verkehrt die 89-7373 der Eisenbahnfreunde Untermain auf der Museumsstrecke, die Stamm-Loks plagen Alterswehwehchen. Eine Fahrt durch das malerische Streutal in den historischen Abteilen ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Zeitreise.
Die wundersame Reise durch die Zeitläufe findet ihren Fortgang auf dem Museumsgelände. Zum Beispiel in der Reßmühle, dem einzigen Gebäude, das nicht aus einem anderen Dorf nach Fladungen verfrachtet – im Fachjargon transloziert – wurde. Das alte Mahlwerk gibt einen Eindruck, wie der Weg vom Korn zum Mehl war. Und ganz bezaubernd ist die „Schöne Stube“ mit Jahreszeiten-Darstellungen des Sommers und des Herbstes als Wandmalerei.
Wie eng die Lebensgemeinschaft zwischen Mensch und Tier in den vergangenen Jahrhunderten war, belegt zum Beispiel die Hofstelle aus Bahra, wo Wohn- und Stallzonen nah beieinander liegen. Aus dem Jahr 1684 stammt die Hofstelle aus Waldberg, die zwischen 1990 und 1997 in Fladungen wieder aufgebaut wurde und Beispiel der Besiedlung der Rhöner Hochlagen ist.
Diese sogenannten Translozierungen sind hochkomplexe Arbeiten. Mauerstein für Mauerstein, Fachwerkelement für Fachwerkelement wird demontiert, nummeriert oder kartiert und dann exakt wieder aufgebaut. Bei der jüngsten Erwerbung, dem Nordheimer Kalthaus, das als Gemeindekühlanlage fungierte, hat man unter das komplette Gebäude Stahlträger geschoben, das Haus gelupft und mit dem Schwertransporter nach Fladungen gebracht.
Ob Spessart, die Haßberge oder das Maingebiet: In Fladungen versammelt sich die ländliche Baugeschichte fast des gesamten Bezirks. Und die wird besonders dann lebendig, wenn in der Krausenbacher Dorfschule zum Unterricht geläutet wird, in der Ölschlagmühle aus Wiesthal im Spessart das Mühlrad angeworfen wird oder zum Beispiel im alten Gemeindebrauhaus aus Alsleben im Grabfeld der Sud für das museumseigene Bier angesetzt wird. Auch Schnaps wird gebrannt im Museum. Und es wird sogar gebetet, wenn beim besinnlichen Adventskonzert, alljährlich der Schlusspunkt im Terminreigen, die Kuratiekirche aus Leutershausen mit Gläubigen gefüllt ist. Geweiht wurde sie 1995.
In den letzten Jahren hat der Zweckverband, dem der Bezirk, der Landkreis Rhön-Grabfeld und die Stadt Fladungen angehören, mächtig in das Museum investiert. 2011 wurde der neue Eingangsbereich fertiggestellt, der jetzt auch einen ordentlichen Museumsshop beherbergt. Eine wichtige Weichenstellung war der Umbau des Leutershäuser Dreiseithofes zu einem museumspädagogischen Zentrum. „Die Museumspädagogik hat einen festen Standort, das unterstreicht den Weg des Museums“, freut sich Sabine Fechter, die Leiterin des Museums.
Was viele nicht wissen: Das Freilandmuseum hütet einen tausendfachen Schatz an wissenschaftlichen Sammlungsobjekten, Werkzeugen, Zeugnissen der Volksfrömmigkeit, Möbeln, Bildern und Kleinteilen. Sie bilden immer wieder auch den Fundus für Sonderausstellungen. Seit 2013 werden die mehr als 50 000 Objekte in einem hochmodernen Depot gehütet.
Sabine Fechter: „Was mir besonders gefällt? Die Einbettung in die reizvolle Rhöner Landschaft hier ist sehr gut gelungen. Man merkt gar nicht, dass es sich um künstlich angelegte Dorfstrukturen handelt.“ Mit dem Rhönzügle und der geweihten Kirche, die für Gottesdienste oder Trauungen genutzt werden kann, habe man Alleinstellungsmerkmale.
Und dann hat die Museumsleiterin, die seit 2004 die Geschicke lenkt, noch zwei Wünsche für die Zukunft. „Einen ansprechenden Parkplatz und Eingangsbereich. und als neues Gebäude wünsche ich mir eine Synagoge, durch die an den Alltag der jüdischen Landbevölkerung in Unterfranken erinnert wird.“ Genug Arbeit also für die nächsten Jahre.
Das Jahresprogramm im Freilandmuseum Fladungen
Auch im Jahr des 25-jährigen Bestehens wartet das Freilandmuseum mit einer Vielzahl von Veranstaltungen auf. Jeder Monat steht unter einem thematischen Motto. So wird im Mai das Thema „Technik“ behandelt. Am Sonntag, 17. Mai, finden zum Internationalen Museumstag um 14 und 16 Uhr Führungen durch das Zentraldepot zum Thema „Museum. Gesellschaft. Zukunft“ statt. Am 22. Mai wird der Deutsche Mühlentag gefeiert. „Alle Einsteigen – Eisenbahngeschichte im Streutal“ heißt es an diesem Tag bei einer Führung um 14 Uhr.
Der Juni steht unter dem Motto „Tiere“. Am Sonntag, 7. Juni, gibt es um 14 und 16 Uhr Führungen zu „Rhönschaf, Frankenvieh und Freunde“. Eine Woche später, am 14. Juni, wird ab 11 Uhr im Freilandmuseum zusammen mit dem Biosphärenreservat Rhön der „Tag der alten Haustierrassen“ gefeiert.
Dem Thema „Kleidung“ ist der Juli gewidmet. Dazu gibt es am Sonntag, 12. Juli, den Infotag „Trag mal Tracht“ mit Modenschauen, Trachtenberatung und einer Ausstellung. Am Sonntag, 19. Juli, können Kinder in Fladungen „Wäsche waschen wie damals“ jeweils um 14 und 16 Uhr.
Im Ferienmonat August lautet das Motto „Feste feiern“. Das Motto der Führung am Sonntag, 16. August, um 14 Uhr lautet: „Als Uroma Kind war“. Am letzten Augustwochenende steht dann wieder das große Museumsfest mit Aktionsprogramm für die ganze Familie an.
„Garten und Gemüse“ lautet der Themenschwerpunkt im September. „Pflanzen im Dorf und drumherum“ werden am Sonntag, 6. September, vorgestellt. Am Sonntag,13. September, beteiligt sich das Museum am Tag des offenen Denkmals. Tipps und Tricks für den ländlichen Garten gibt es am Sonntag, 27. September.
Der Oktober steht unter dem Motto „Haus und Handwerk“. Die alte Büttnerei aus Sulzthal bei Bad Kissingen wird am 11. Oktober eröffnet. Seinen Abschluss findet das Jubiläumsjahr am Sonntag, 8. November, bei einem Mitmachtag mit Kartoffeldämpfen, Melken und Buttern.
Das komplette Programm mit Rhönzügle-Fahrplan: www.freilandmuseum-fladungen.de
„Es ist ein Geschenk, hier in Fladungen arbeiten zu dürfen.“
Sabine Fechter, Museumsleiterin