Die Gleichstrompassage Süd-Ost ist unverzichtbar für die Versorgungssicherheit in Bayern. Das ist die Aussage des Präsidenten der Bundesnetzagentur, Jochen Homann. Er ist irritiert, dass Bayern jetzt auf die Bremse tritt, obwohl der Trassenbau lange politischer Konsens war. Die Politiker sieht er auch in der Verantwortung, den Menschen die Stromautobahn zu erklären.
Frage: Herr Homann, wofür brauchen wir die Stromautobahn?
Jochen Homann: Die Energiewende wird dazu führen, dass sich die Stromerzeugung deutlich in Richtung Norden verschieben wird. Das liegt daran, dass dort erheblich mehr Windstrom erzeugt wird und gleichzeitig Kapazitäten der Kernkraft im Süden abgebaut werden. Damit der Stromtransport gesichert ist, muss die Netzstruktur entsprechend ausgerichtet werden.
Bayern ist das größte Bundesland und hat die zweitmeisten Einwohner. Beim Ausbau der Windkraft rangiert Bayern nur auf Rang zehn. Hat der Freistaat seine Hausaufgaben bei der Energiewende nicht gemacht?
Homann: Der Windausbau geht in nördlicheren Regionen erheblich schneller, auch weil dort die deutlich besseren Standorte für Wind liegen.
Jetzt fordert die Staatsregierung ein Stromtrassen-Moratorium. Ist das eine sinnvolle Anregung oder purer Populismus vor der Kommunalwahl?
Homann: Die Ausgangslage ist klar. Die Leitung ist per Gesetz von Bundestag und Bundesrat mit breiter Mehrheit festgelegt worden. Das heißt nicht, dass sie in Stein gemeißelt ist. Natürlich kann man Gesetze novellieren, wenn der Bedarf sich ändert. Bei einer solchen Argumentation muss man aber wissen, dass wir den Bedarf an Netzausbau, wie er jetzt im Gesetzblatt steht, sehr restriktiv ermittelt haben. Mit anderen Worten: Hier wurde bereits berücksichtigt, dass sich das eine oder andere in der Energiepolitik ändern kann, ohne dass deswegen gleich die Netzplanung obsolet wird. Das gilt gerade für die großen Gleichstromleitungen. Sie bilden das Rückgrat der künftigen Netzinfrastruktur.
Es gibt also keine Alternative zur Trasse?
Homann: Nichts ist alternativlos, insbesondere was den konkreten Verlauf der Trasse angeht.
Aber was wäre Plan B, wenn politisch entschieden würde: keine Trasse?
Homann: Wenn die Trasse nicht gebaut wird, wird es zu einem Versorgungsproblem kommen. Insbesondere in Bayern.
Die Warnung vor Blackouts ist also nicht aus der Luft gegriffen?
Homann: Natürlich nicht. Deswegen wurden die Rahmenbedingungen der Energiewende einschließlich des Netzausbaus so festgelegt und von der Politik beschlossen. Das beruht auf einem sehr breiten politischen Konsens.
Vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stammt die Aussage: Die Trasse ist unnötig. Die Versorgungssicherheit in Bayern sei gewährleistet, auch wenn das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht.
Homann: Sie werden immer irgendjemanden finden, der erklärt, dass eine Trasse nicht notwendig ist. Die Notwendigkeit dieser Trasse beruht auf Analysen der Netzbetreiber, unterstützt durch wissenschaftlichen Sachverstand. Das gleiche hat die Bundesnetzagentur gemacht. Es gibt hier eine breite Übereinstimmung, dass die Trasse gebraucht wird. Dass Professor von Hirschhausen vom DIW oder Professor Jarass von der Hochschule Rhein-Main zu anderen Aussagen kommen, mag so sein. Das ist aber nicht die Mehrheitsmeinung.
Die Ausgangszahlen, die die Notwendigkeit des Netzausbaus begründen, stammen von den Übertragungsnetzbetreibern. Diese haben ein wirtschaftliches Interesse, Trassen zu bauen. Sehen Sie einen Konflikt?
Homann: Zunächst einmal trifft diese Darstellung nicht zu. Der Bedarf kommt zustande aufgrund eines Szenarios, das sowohl mit den Bundesländern als auch mit der Öffentlichkeit in einem breiten Konsultationsverfahren abgestimmt worden ist. Die Bedarfszahlen haben sich die Netzbetreiber nicht ausgedacht. Sie haben lediglich die Vorlage für das anschließende Prüf- und Konsultationsverfahren geliefert. Es wird auch immer übersehen, dass die Netzbetreiber nicht mehr das Anhängsel von Energieversorgern sind. Die Vorstellung, dass ein Interesse besteht, eine bestimmte Form von Strom zu transportieren, mag früher gestimmt haben. Inzwischen gibt es aber das sogenannte Unbundling, das heißt, wir haben eine Trennung von Stromerzeugung und Stromnetz. Diese führt dazu, dass die Netzbetreiber eigenständige Unternehmen sind. Sie haben kein Interesse, bestimmten Strom zu transportieren, sondern die gesetzliche Verpflichtung, für ein stabiles Stromnetz zu sorgen.
Die Bürger, die von der Trasse betroffen sind, fordern Mindestabstände zu Wohnhäusern. An Engstellen wollen sie eine Erdverkabelung. Sehen Sie dafür eine Chance?
Homann: Derzeit gibt es in Bayern keine gesetzlichen Abstandsregeln. Aber die rechtlichen Vorschriften sehen vor, dass die Grenzwerte für die elektromagnetischen Felder eingehalten werden müssen. Anderenfalls wäre eine Leitung nicht genehmigungsfähig. Dies führt zwangsläufig dazu, dass Siedlungsbereiche möglichst weiträumig umgangen werden müssen. Überspannungen sind ohnehin verboten. Im Bundesbedarfsplangesetz sind im Bereich der Gleichstromleitungen bislang nur zwei Pilotstrecken vorgesehen. Hintergrund ist, dass es bislang praktisch kaum technische Erfahrungen auf dieser Spannungsebene gibt. Hinzu kommt, dass Erdverkabelung mit deutlichen Mehrkosten und regelmäßig mit erheblichen Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden ist. Gleichwohl kann eine abschnittsweise Verkabelung bei besonderen Problemlagen durchaus der richtige Weg sein. Vor dem Hintergrund ist es hilfreich, dass das Bundesbedarfsplangesetz in regelmäßigen Abständen überarbeitet wird. Der Gesetzgeber war insoweit vorausschauend: Das Bundesbedarfsplangesetz kann jährlich und muss mindestens jedes dritte Jahr angepasst werden.
Große Gleichstromtrassen sind für ein dicht besiedeltes Gebiet wie Deutschland eine neue Technik. Die Diskussion darum ist sehr emotional. Die Menschen befürchten gesundheitliche Risiken durch Magnetfelder. Können Sie solche Risiken ausschließen?
Homann: Ich kann ausschließen, dass die in der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung festgelegten Grenzwerte durch eine der Leitungen überschritten werden. Auch nicht in Kombination mit anderen Emittenten elektromagnetischer Felder. Die Grenzwerte einzuhalten, ist natürlich ein Grundbaustein beim Ausbau der Stromnetze.
Garantiert der Grenzwert, dass es darunter keine gesundheitliche Gefährdung gibt?
Homann: Die Wissenschaft sagt, dass es kein nachgewiesenes Risiko gibt, wenn die Grenzwerte eingehalten werden.
Es gab in Bayern drei Informationsveranstaltungen zur Trasse. Der Protest hat sich dabei immer weiter aufgeschaukelt. Haben Sie mit dem heftigen Protest der Bürger gerechnet?
Homann: Es war uns immer klar, dass die Phase kommt, in der es konkret wird. Dass dann der Netzausbau natürlich auf Widerstand stößt, haben wir erwartet. Den Protest in dieser Heftigkeit bedauere ich. Denn eigentlich gibt es ein sehr gutes und transparentes Beteiligungsverfahren. Die Bürgerinnen und Bürger werden informiert, bevor das eigentliche Planverfahren beginnt. Die Bundesnetzagentur hat darauf gedrungen, dass die Netzbetreiber schon frühzeitig auf die Bevölkerung zugehen und offenlegen, in welche Richtung sie denken. Das ist ein ausgesprochen faires und offenes Verfahren.
Vor der Kommunalwahl in Bayern springen viele Politiker auf das Thema an und sprechen sich radikal gegen die Trasse aus. Glauben Sie, dass nach der Kommunalwahl dieser politische Druck wieder nachlässt?
Homann: Nach der Kommunalwahl in Bayern kommen die Europawahl und die nächste Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen, Landtagswahlen, unter anderem in Thüringen. Es ist schwierig, sich danach auszurichten, wann welche Wahl stattfindet. Bisher ist der Auftrag aus der Politik völlig klar. Um die Energiewende zu schaffen, muss der Netzausbau beschleunigt werden. Dafür wurde die Zuständigkeit von der Länder- auf die Bundesebene gehoben. Dazu passt es nicht, wenn jetzt auf die Bremse getreten wird.
Sind die Politiker aus Ihrer Sicht auch in der Verantwortung, nicht nur eine Stimmung im Volk aufzuschnappen, sondern den Menschen auch zu erklären, worum es bei der Trasse geht?
Homann: Ja, natürlich. Man muss immer abwägen. Gerade aus Bayern hören wir immer die Sorge um die Versorgungssicherheit. Wenn man aber dann gleichzeitig sagt: Auf die Stromtrasse verzichten wir am liebsten, und wir machen ein Moratorium, dann ist das ein gewisser Widerspruch in sich.