Als sich die Bamberger Gruppe vom „Schwarzen Block“ der 300 Antifa-Aktivisten entfernte, umkreisten die Polizisten den Block, helmbewehrt und mit Schlagstöcken in der Hand. „Wir haben bisher deeskalierend gewirkt“, vermutete Wolfgang Grader. Schließlich waren unter den Bambergern auch ältere Leute: „Omas und Opas gegen rechts“, die friedlich hinter dem Block aus schwarz gekleideten und vermummten Personen hinterher marschiert waren.
Allerdings war nicht die „Antifa“, die „Antifaschistische Aktion“ und Strömung der linken bis linksextremen Szene, Anlass der Sorge, die die 90 Bamberger am Samstag nach Wunsiedel getrieben hatte. Es war der jährliche Aufmarsch von Neonazis zum Volkstrauertag, zum „Heldengedenktag“, wie dieser November-Sonntag in deren Jargon heißt.
150 Mitglieder der rechtsradikalen Kleinpartei „Der III. Weg“ waren beim Wunsiedler Landratsamt als zuständige Behörde für Versammlungen gemeldet: „Versammlungsfreiheit in ein hohes Gut, wir haben keine Chance, so etwas zu verbieten. Wir können das verbriefte Recht nicht biegen“, erklärte Landratsamt-Sprecherin Anke Riess-Fähnrich im Vorfeld dieser Redaktion.
120 Neonazis um den Rechtsextremen Tony Gentsch aus Plauen waren es letztendlich, die Wunsiedel in Atem hielten. Diese Anzahl nannte das Polizeipräsidium Oberfranken am Abend. Mehrere hunderte Einsatzkräfte der Polizei aus ganz Bayern sicherte das 9200-Einwohner-Städtchen im Fichtelgebirge und sorgte nach eigenen Angaben „für einen friedlichen und störungsfreien Verlauf der Versammlungen“.
Unübersehbar für die Bamberger, die auf Initiative der „Grünen“ und der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Oberfranken zur Gegendemonstration mit zwei Bussen aufgebrochen waren. Grünen-Stadtrat Wolfgang Grader, Fraktionsvorsitzende Ulrike Sänger und Vorstandsmitglied Michaela Reimann hatten relativ kurzfristig zu diesem Protestzug gegen rechts aufgerufen. DGB-Jugendsekretär Paul Hummer mobilisierte – wie jedes Jahr – sein Klientel. Mit dabei: Grünen-Landtagsabgeordnete Ursula Sowa und Europa-Abgeordneter Malte Gallé sowie Esther Gratz, Leiterin der Koordinierungs- und Fachstelle der Partnerschaft für Demokratie in der Stadt Bamberg.
„Es ist eine traurige Sache, dass wir noch 2022 revanchistischen Kräften entgegen treten müssen. Wir sagen ‚nie wieder‘ zu Faschismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus!“ erklärte DGB-Jugendsekretär Hummer. „Wir wollen zeigen, dass wir viele sind, die anderen wenig“, begründeten die Grünen-Vertreter ihre Initiative. „Wir sind dabei, um Flagge zu zeigen; der III. Weg ist nicht das Maß aller Dinge, und wir sind mehr“, betonte Felicitas, Gründungsmitglied der „Omas gegen rechts Bamberg“. „Unsere Enkel sollen das Nazi-Elend nicht noch einmal erleben“, fügte sie hinzu.
Mehr durch Zufall denn bewusste Entscheidung landeten die Bamberger am Zielort bei dem Demo-Zug der „Antifa“. Der verursachte via Lautsprecherwagen und skandierten Schlachtrufen einen ohrenbetäubenden Lärm. Anwohner standen vor ihren Häusern, klatschten Beifall, wenn Sätze fielen wie „Wir haben ein klares Ziel: Den Nazis den Aufmarsch vermiesen!“
„Nationalsozialismus ist ein Verbrechen und keine Meinung! Wir müssen gemeinsam die Menschenrechte und Demokratie verteidigen!“
Astrid, „Omas gegen rechts“
Ob das gelang, konnten die Bamberger nicht in Erfahrung bringen. Denn zu einer unmittelbaren Begegnung mit den Rechtsextremen kam es nicht: Die Polizei verhinderte durch entsprechende Streckenführung den Zusammenstoß. Doch „die Neonazis können uns hören!“ wussten Botschafter der „Antifa“, die förmlich aufdrehte.
Stiller wurde es, als Astrid von den „Omas gegen rechts“ das Mikrofon nahm. In einer flammenden Rede verteidigte die ältere Frau „faires, respektvolles Miteinander gegen jeden Rechtsextremismus und Antisemitismus“. Wandte sich gegen die Rechtspopulisten wie AfD oder Pegida. Warb zwar für Meinungsfreiheit, doch „Nationalsozialismus ist ein Verbrechen und keine Meinung! Wir müssen gemeinsam die Menschenrechte und Demokratie verteidigen!“
In den Abendstunden erreichten die Bamberger den Marktplatz, wo seit dem Nachmittag viele Wunsiedler mit Punk und Soul gegen rechts feierten. „Wir sind zur Stelle und wir Bürger zeigen Gesicht, wir stehen für die Demokratie ein!“ rief Svenja Faßbinder, Sprecherin vom Netzwerk „Wunsiedel ist bunt“.
Dieses Netzwerk agiert seit 2002 als Allianz aus Kommunalpolitik, Kirchen, Gewerkschaften und verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen, „um das Feld nicht den extremen Kräften zu überlassen, sondern Flagge zu zeigen: hinschauen, nicht wegschauen“, sagte Bürgermeister Nicolas Lahovnik dieser Redaktion. Und: „Wunsiedels Bürger stehen für Demokratie, Freiheit, Frieden und Toleranz.“ In Zeiten des Krieges in Europa werde deutlich: „Wenn wir nicht immer wieder für unsere Freiheit eintreten, wird sie immer weniger“, befürchtete der Bürgermeister.
Mit dem Suizid im Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau von Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess im August 1987 und der anschließenden Beisetzung in dessen Elterngrab auf dem Wunsiedler evangelischen Friedhof wurde Wunsiedel zur Pilgerstätte für rechte Extremisten. Diese veranstalteten einen jährlichen Gedenkmarsch dorthin. Auch nachdem das Hess-Grab im Juli 2011 mit Zustimmung der Erben aufgelöst, die Gebeine exhumiert, verbrannt und auf See bestattet wurden, sollte sich die Hoffnung auf ein nachlassendes Interesse der Neonazis an Aufmärschen in Wunsiedel nicht erfüllen. Sie kommen weiterhin – allen Protesten aus der Bevölkerung zum Trotz. Wie lange noch?
Grünen-Vorstandsmitglied Michaela Reimann, die federführend die Organisation der Bamberger Busfahrt in die Hand genommen hatte, war auf der Heimfahrt überzeugt: „Wir werden auch im nächsten Jahr die Wunsiedler unterstützen und kommen.“ Solange, bis Wunsiedel durch und durch bunt sein darf.
