Selten waren die Fragen im Amtsgericht so quälend wie an diesem Mittwoch. „Wie ist es passiert“, wollte Richter Roland Wiltschka wissen. „Haben sie beide Hände genommen?“ Der Angeklagte, der seine Schuld eingestand, wollte oder konnte sich nicht genau erinnern. Nein, er habe nur gezerrt. Das nahm im Richter Wiltschka nicht ab. „Mit einem Zerren bricht man einem Baby kein Bein“, sagte er und forderte ihn auf, voll zu seinen Taten zu stehen, sonst könne er diese nicht verarbeiten und das Geständnis, das er abgelegt hat, wirke nicht glaubhaft.
Angeklagt war der hagere 30-Jährige, der langsam sprach und bei seinen Ausführungen längere Denkpausen machte, wegen mehrerer Fälle von Körperverletzung an seinem Sohn. Der erste Fall hatte sich im März 2008 ereignet. Da war dessen Sohn gerade einmal drei Wochen alt. Der Angeklagte schilderte, dass er nachmittags in der gemeinsamen Wohnung seiner Frau die Aufsicht hatte. Als der Säugling wiederholt geschrien hatte, hätte er die Nerven verloren und am Bein gezerrt. Auf Nachfrage räumte er ein, dass er dies schon mit ziemlicher Gewalt getan hätte. Auch ein Knacken des Knochens habe er gehört.
Die Tat fiel zunächst nicht auf. Auch die Frau des Angeklagten bekam nichts mit. Der Bruch wurde erst ein paar Wochen später von den Ärzten im Leopoldina-Krankenhaus festgestellt. Dort wurde das Kind nämlich aufgrund von Hämatome an den Beinen, Oberarmen und am Po eingewiesen. Diese waren auch durch den Angeklagten entstanden, wie er vor Gericht zugab. „Gezwickt“ soll er das Kind haben. Beim Röntgen wurde dabei der mittlerweile verheilte Bruch des Oberschenkels festgestellt und dies erklärte dann auch die bei einem Bruch typische Schonhaltung, die der Säugling in den vergangenen Wochen gezeigt hatte.
Weil der Verdacht auf Kindesmisshandlung bestand, verständigten die Ärzte das Jugendamt. Doch es gelang dem Angeklagten offenbar, die Hämatome mit einer speziellen Art des Wickelns zu erklären. „Pucken“ nennt sich die. Dabei wird der Säugling so fest gewickelt, dass er das Gefühl hat, er sei noch im Mutterleib. Der Bruch des Beins, so meinte er damals, könnte durch ein Zerren der älteren Schwester oder durch ein Fall vom Sofa entstanden sein. Das Jugendamt schritt nicht weiter ein.
Ans Licht der Öffentlichkeit kamen diese Taten im Oktober letzten Jahres. Der Angeklagte hatte wieder einen Wutausbruch, als der mittlerweile sieben Monate alte Säugling sich in der Nacht nicht beruhigen ließ. Wieder mit einer „zerrenden Bewegung“, so der Angeklagte, brach er ihm wieder den Oberschenkel – diesmal den des anderen Beines. Immerhin brachte er seinen Sohn am nächsten Morgen ins Schweinfurter Krankenhaus, wo der Bruch festgestellt wurde.
Die Ärzte schalteten die Polizei ein, vor denen er schließlich die Taten gestand. Erst dann beichtete der Angeklagte seiner Frau. Das Jugendamt entzog ihm darauf hin das Sorgerecht und ordnete an, dass er nicht mehr bei seinen Kindern wohnen dürfe, so dass er sich eine neue Wohnung suchte.
Fassungslos wohnten viele Besucher dieser Verhandlung bei – darunter eine Klasse der Fachoberschule Haßfurt. Die zentrale Frage war: Wie kann ein Mensch sein eigenes, wehrloses Kind so quälen? Eine Antwort darauf gab es nicht – allenfalls Ansätze einer Erklärung, die von der Verteidigung vorgetragen wurden. Nicht um die Tat nicht zu entschuldigen, aber um das Strafmaß zu drücken.
Ein Gutachten eines Psychologen wurde vorgelesen. Demnach hat der Angeklagte eine schwere Kindheit gehabt. Seine Eltern sind beide Alkoholiker, geschlagen wurde er von seinem Stiefvater, zudem wuchs er ärmlichen und verwahrlosten Verhältnissen auf.
Zur Tatzeit sei er auf der Arbeit gemoppt worden. Zudem sei er spielsüchtig gewesen. Im Computerspiel „World of Warcraft“ habe er sich regelmäßig in eine andere Welt begeben, aus der er nur schwer zurückgefunden hätte. Zudem befinde er sich in zwei Therapien – eine davon zusammen mit seiner Frau, die offenbar an der Ehe festhält. Daher plädierte die Verteidigerin auf eine Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird.
Diesem Antrag folgte der Richter nicht. Er blieb mit zwei Jahren und sechs Monaten nur wenig unter der Forderung der Staatsanwältin. Die Hemmschwelle des Angeklagten habe total versagt, sagte das Gericht in seiner Begründung. Seine egoistische Angst, die Taten zu vertuschen, sei größer gewesen, als dem Kind nach seinen Wutanfällen zu helfen.