Schnell nähert sich das Fahrzeug von hinten, die Lichthupe wird gesetzt, der Blinker ebenso. Immer näher wird aufgefahren, links und rechts gependelt, ohne Rücksicht darauf, dass ein LKW-Konvoi dem Vordermann keinen Spurwechsel ermöglicht. Ist die linke Fahrbahn wieder frei, wird dem vorher Bedrängten beim Überholen auch noch der Vogel gezeigt. . . So soll es sich am Morgen des 26. April auf der A 70 von Schweinfurt in Richtung Bamberg zugetragen haben.
Jetzt muss sich ein 62-Jähriger wegen versuchter Nötigung und Beleidigung vor dem Amtsgericht Haßfurt verantworten. Der Außendienst-Mitarbeiter gibt sich angesichts der Vorwürfe unschuldig. "Ich habe noch nie jemandem vorsätzlich Leid an Leib und Seele zugefügt." Er sei in keinem Fall in "Hoppla-jetzt-komm-ich-Manier" an seinen Vordermann herangefahren, sondern vielmehr mit seinem Wagen ungefähr 50 Meter von dem VW entfernt gewesen.
Zugegeben, es sei möglich, dass er die Lichthupe betätigt habe - aber dies eher als zarter Hinweis. "Ich habe mir überlegt: Schläft der denn?" Denn vielleicht habe der VW-Fahrer ja gar nicht gemerkt, dass er schon längst überholt hatte und wieder die Spur wechseln könnte.
Bleibt noch die Beleidigung: Richter Roland Wiltschka erkundigt sich nach möglichen Zeichen, die der Angeklagte später beim Überholen des VW machte. Hier beteuert der Angeklagte, er habe "noch nie im Leben" jemanden einen Vogel gezeigt. Einen so genannten "Scheibenwischer", also eine wischende Handbewegung vor dem Gesicht, habe er dem VW-Fahrer aber vielleicht mit auf den Weg gegeben.
Genau dieses Zeichen, von ihm als "Vogel" interpretiert, hatte das Fass für den überholten Autofahrer zum Überlaufen gebracht. Der 59-Jährige aus dem Kreis Kassel, der jetzt als Zeuge auftritt, war mit seiner Frau und seiner Tochter auf der A 70 unterwegs und fühlte sich durch das Fahrverhalten des Angeklagten gefährdet. "Wäre vor uns ein LKW ausgeschert und wir hätten abbremsen müssen, wäre das knapp geworden," erläutert er. Zudem rechnet der Fahrlehrer dem Richter noch vor, dass der Bremsweg des Angeklagten um einiges länger gewesen sei, als der eingehaltene Abstand. Die Tochter des Kläger bestätigt diese Einschätzung: Zeitweise seien nicht einmal mehr die Scheinwerfer des Wagens im Spiegel zu sehen gewesen.
Nun wird der Ton schärfer: Der Angeklagte wirft dem Zeugen vor, er sei "provokativ auf der linken Spur geblieben" und langsamer geworden. Der VW-Fahrer quittiert dies lediglich mit einem Schulterzucken: "Ich weiß ja, dass sein Auto schneller ist, wozu sollte ich da vor ihm bleiben." Diese Aussage bringt den Angeklagten endgültig in Rage, er fühlt sich als Opfer: "Da haben wir es mal wieder, nur weil ich einen Mercedes fahre ...." Der Richter beobachtet den Ausbruch schmunzelnd, während der Zeuge hinzufügt, dass er durchaus auch selbst ab und an am Steuer von schnellen Wagen sitzt und daher keine Abneigungen gegen deren Halter hegt. "Ich will dem Mann gar nichts, aber so geht es auf der Straße einfach nicht."
Als die Gemüter wieder besänftigt sind, gibt der Richter dem Angeklagten den Tipp, sich bei den Zeugen zu entschuldigen - was er auch umgehend tut. Schließlich steht für ihn einiges auf dem Spiel: Denn der Staatsanwalt fordert neben einer Geldstrafe als Denkzettel auch noch ein einmonatiges Fahrverbot.
Wie der Verteidiger erklärt, hätte das in diesem Fall jedoch schwer wiegende Folgen: Denn der Angeklagte habe momentan mit einer Auflösung seines Arbeitsverhältnisses zu rechnen, allerdings bislang mit der Aussicht auf eine hohen Abfindung. Würde aber ein Fahrverbot verhängt, dann könnte ihm die Firma ohne diese Abfindung kündigen.
Die Strafe lautet schließlich auf 25 Tagessätze zu 100 DM. Angesichts der prekären beruflichen Situation des Angeklagten verzichtet der Richter auf die Verhängung des Fahrverbots: "Ohne Auto wären sie ja aufgeschmissen." Aber er hofft, dass der Angeklagte verstanden hat, dass ein solches Verhalten auf der Autobahn nicht die feine englische Art ist.