Von der Pike auf gelernt hat Franz Wich sein Handwerk von seinem Vorgänger, dem Coburger und späteren Haßfurter Hans-Peter Schmidt, der im Jahr 1987 starb. Dieser hatte sein Tafel-Wissen von seinem Großvater erhalten. „Regulär erlernen kann man dieses Handwerk nicht“, sagt Wich. „Nur durch einen erfahrenen Meister im direkten Kontakt mit der Arbeit kann man sich das beibringen.“
Nach der Lehrzeit übernahm Wich 1988 das Geschäft von Hans-Peter Schmidt. Zunächst fuhr er auf den alten Reiserouten seines Vorgängers im Bayerischen Wald. Dann zog er immer weitere Kreise. Heute ist der Haßfurter mit seinem Schultafel-Service ein gefragter, routinierter Praktiker und Restaurator. Seit 25 Jahren ist er landauf landab unterwegs und restauriert an Hunderten von Lehrstätten Tafeln.
Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde der beschädigte Tafellack (Litophone-Lack) mit brennenden Öllampen von den Tafeln heruntergebrannt. Heute wird der Lack meist abgeschliffen und dann wieder neu aufgetragen. Trotzdem riecht es bei der Arbeit noch nach Lösungsmitteln und Farbe. Oft sind es Lineaturen, die feinen hellen Linien auf dem grünen Tafelhintergrund, die erneuert werden müssen. Und die trägt Wich meist mit der Hand auf.
Im Laufe der Zeit hat Wich nicht nur einiges Geschick, sondern auch einiges an Wissen über verschiedene Tafeln zusammengetragen – und es in zwei Büchern veröffentlicht. Darin geht es unter anderem um die Geschichte der Tafel von den Anfängen in der Antike bis in die Gegenwart. Hierzulande werden sich viele noch an die Schiefertafel erinnern oder an den Kreidegriffel und das Schwämmchen, das zum Trocknen am Schulranzen baumelte. Grundschüler benutzten Schiefertafeln noch bis in die 1960er Jahre, weiß Wich. Papiermangel war wohl nur ein Grund. Später wurde Schiefer durch Kunststoff ersetzt.
Rasches Korrigieren gelingt auf großen wie kleinen Tafeln problemlos, sagt der Experte. Sie sind auch weitestgehend standortunabhängig und zwischen der Arktis und den Tropen einsetzbar. Und auf einen Kreideuntergrund zu schreiben, kann in Zeiten von Ressourcen- und Klimakrise sogar wieder einen nachhaltigen Lösungsansatz darstellen, meint Wich. „Die Kinder können auf Tafeln auch viel freier etwas ausprobieren, oder mal einen Fehler machen. Einfach wischen und die Spuren sind weg.“
Die grüne Unterrichtstafel ist kein Speichermedium wie moderne Computer. Eine Schultafel verbraucht auch keine Energie. Jeden Tag wird „tabula rasa“ gemacht, das heißt reiner Tisch beziehungsweise reine Tafel. Das hat vielleicht sogar zur Merkfähigkeit beigetragen, lässt sich doch der Unterrichtsstoff nicht so ohne Weiteres wieder abrufen. Man muss ihn sich schon einprägen.
Der Schotte James Pillans (1778-1864) soll die erste Wandtafel und die Verwendung farbiger Kreide erfunden haben. An seiner Tafel unterrichtete Pillans Geografie in Edinburgh. An der US-Militärakademie in West Point unterrichtete George Baron ab 1801 Taktik und Mathematik an einer Tafel.
Obwohl sich jeder an die Tafeln in der Schul-, Studien- oder Lehrzeit noch allzu gut erinnern kann, mache sich kaum einer Gedanken, woraus eine solche Schultafel besteht, wie sie funktioniert, wer solche Tafeln herstellt, wer sie wartet und repariert, sagt Wich. Und er kennt viele Arten von Tafeln. In all den Jahren sei er außergewöhnlichen Unikaten begegnet, die teils aufwändig restauriert werden mussten. Doch für den Schultafel-Meister gilt: „Geht nicht – gibt's nicht!“
Viele Tafeln erfordern individuelle Maßnahmen bei Reparatur, Neubeschichtung, Lineatur oder an der Mechanik. Schultafeln, wie wir sie heute kennen, werden auf einer Montagestraße zusammengesetzt. Moderne Tafeln erlauben eine Magnethaftung, was besonders im Grundschulunterricht von Bedeutung ist. Grüne Tafeln sind nach wie vor an Schulen und Universitäten im Gebrauch sowie in der Gastronomie und im Hotelgewerbe. Verbreitet sind mittlerweile auch Whiteboards für Filzschreiber oder Flipcharts, so Wich.
Auch wenn Beamer beziehungsweise Videoprojektoren auf dem Vormarsch sind, sei noch nicht mit einer flächendeckenden Umstrukturierung im Unterrichtswesen zu rechnen, sagt Wich. Dafür werde er viel zu häufig an Einsatzorte in ganz Deutschland gerufen.
Als Schultafel-Historiker bedauert er es, dass weltweit keine systematische Sammlung von Unterrichtstafeln existiert. „Die Museen haben es versäumt, sich systematisch um alle Aspekte von Schulinventar zu kümmern“, so Wich. Aber immerhin gebe es private Sammlungen und über 100 Schulmuseen, die zumindest teilweise über gutes Anschauungsmaterial, allerdings über keine historischen Schultafelsammlungen verfügen.
Wich selbst ist es durch seine jahrzehntelange Berufserfahrung und leidenschaftliche Recherche gelungen, eine weltweit einzigartige dokumentarische Sammlung zum Thema Schultafeln zusammenzutragen. Darauf aufbauend hat Wich zwei Bücher verfasst: „Das große Buch der Schultafel“ und „Das große Buch der Schiefertafel“. Sie sind Fundgruben für jeden Schulforscher und interessierten Laien.
Mittlerweile hat Wich sieben weitere Bücher veröffentlicht, die unter anderem von Messerschleifern, Wärmesteinen oder orientalischen Ton- und Kochgefäßen handeln. Eingebettet in einen historischen Kontext werden in dieser Buchreihe Alltags- wie Straßenkultur mit vielen Details dargelegt. Das Bildmaterial stammt aus Quellen rund um den Globus.
Und warum quietscht die Kreide manchmal beim Schreiben? Das hänge mit grobkörnigen Partikeln in der Kreide zusammen, erklärt Wich. Dies führe zu einem Bremsverhalten auf dem Tafeluntergrund, ähnlich einer Vollbremsung beim Autofahren. Doch selbst wenn man es weiß, das Quietschen jagt vielen weiterhin einen Schauer über den Rücken.
Im Blickpunkt
„Das große Buch der Schultafel“, und „Das große Buch der Schiefertafel“ sind erschienen im Projekte-Verlag Cornelius GmbH in Halle. Informationen im Internet unter: www.projekte-verlag.de