Ein ungemütlich kalter Wind peitscht heulend den Regen durch die Glockenstraße in Breitbrunn. Man möchte bei dem Wetter gar nicht glauben, dass der Frühling sich schon bald seinem Ende nähert. Doch in der Werkstatt der Hausnummer 15 erhebt schon der Sommer deutlich seine melodische Stimme und streicht um Thomas van der Heyd herum. "Zum Arbeiten höre ich gerne Vivaldis Vier Jahreszeiten, das beflügelt mich irgendwie", sagt der 26-Jährige, der zwischen feinen Hobelspänen in seiner Werkstatt steht. Thomas van der Heyd ist Geigenbaumeister.
Die ersten Geigen wurden bereits Ende des ersten Drittels des 16. Jahrhunderts gebaut. Seitdem hat sich außer an kleinen Veränderungen am Hals weder an ihrer Form noch an ihrer Herstellung etwas verändert. Würde die Werkstatt van der Heyds nicht von elektrischem Licht erhellt werden und in einer Ecke nicht ein Radio stehen, könnten in diesem Raum genauso gut die berühmten Geigenbauer Antonio Stradivari oder Joseph Filius Guarneri ihre seit mehr als 250 Jahren so begehrten Konzertinstrumente gebaut haben.
Zum größten Teil benutzt der junge vollbärtige Mann mit dem Pferdeschwanz noch die gleichen Werkzeuge wie die alten Meister: Sägen hängen neben Schnitzmessern, Stechbeiteln neben Ziehklingen und verschiedenen Hobeln; der kleinste ist gerade mal so groß wie ein Fingerhut.
Himmlische Klänge
"Mich hat die Verbindung aus Kunst, Musik und Handwerk gereizt", sagt Thomas van der Heyd, während er den Werkstoff in die Hand nimmt, dem die himmlischen Klänge abgerungen werden: das Holz. Es ist das wichtigste Material eines Geigenbauers und auch der Grund, warum eine Massenproduktion trotz modernster, computergesteuerter Maschinen eigentlich nicht funktioniert. "Keine zwei Stücke Holz sind gleich, selbst wenn sie aus dem gleichen Stamm geschnitten wurden."
Ein Geigenbaumeister wie Thomas van der Heyd, der 1995 eine Ausbildung zum Geigenbauer bei Höfner & Paesold in Bubenreuth begann und sich nun selbstständig gemacht hat, kann durch das Biegen spüren und durch Klopfen hören, ob das Holz geeignet ist und wie viel er noch ausarbeiten darf. "Eine Maschine erkennt das nicht."
Handwerkliches Geschick
Voraussetzungen für diesen Beruf sind daher neben handwerklichem Geschick, einem guten Gehör und der Liebe zur Musik auch eine gewisse innere Ruhe: "Man sollte erst überlegen und dann das Werkzeug ansetzen. Einen Fehler verzeiht einem das Instrument nämlich nicht."
Neben dem Neubau von Instrumenten hat sich Thomas van der Heyd inzwischen auf das Reparieren, Restaurieren und vor allem das detailgenaue Kopieren von alten Instrumenten "bis zum kleinsten Kratzer" spezialisiert. Sein Meisterstück war beispielsweise eine Nachbildung einer Stradivari aus dem Jahre 1704.
Beim Bau werden an eine Innenform die Zargen angepasst, die am so genannten Biegeeisen gebogen werden und auf die Boden und Decke aufgeleimt werden. Während der Geigenbauer für den Boden am liebsten Holz vom Bergahorn verwendet, wird die Decke aus Fichte gefertigt. Weder Decke noch Boden sind überall gleich dick. "Die Stärke richtet sich nach der Beschaffenheit des Holzes und bewegt sich zwischen 2,2 und 4,5 Millimeter".
Die Schnecke schnitzt er aus Ahorn. Dem Teufelsgeiger Paganini hätte aber sicherlich auch der Totenkopf gefallen, den Thomas van der Heyd vor kurzem für sich aus dem Holz geschnitzt hat. Aus Ebenholz fertigt er dann das Griffbrett, "das ist tiefschwarz und vor allem sehr hart."
Dutzende Geigen hat er auf diese Weise schon gebaut. Ist das nackte Instrument fertig, fehlt nur noch das Lackkleid. Dieses hebt durch sein inneres Feuer nicht nur die Schönheit des Holzes hervor und schützt es vor Schmutz und Witterung. "Selbst ein gut gebautes Instrument kann durch einen zu spröden oder zu weichen Lack noch verdorben werden", weswegen alle guten Geigenbauer ein großes Geheimnis um die Rezeptur machen.
"Cello gefällt mir besser"
Vom baulichen Anspruch ist Thomas van der Heyds Lieblingsinstrument natürlich die Geige, der jeder Geigenbaumeister seine eigene Note gibt, nicht aber vom Klang: "Da gefällt mir ein Cello besser", sagt er und zeigt auf ein formschönes Exemplar, das er gerade für einen Wettbewerb in Mittenwald baut. In diesem Ort steht auch eine der bekanntesten Berufsschulen für Geigenbau Deutschlands.
Doch egal ob es eine Violine, eine Viola oder ein Cello ist, "ich trenne mich nur ungern von meinen Instrumenten", sagt Thomas van der Heyd und streicht mit dem Bogen über Saiten einer Geige, die zärtlich jauchzt. Schließlich braucht der Geigenbaumeister rund einen Monat für die Fertigung eines Instruments.
Instrumente zum Leihen
Im Handel gibt es Geigen schon ab 300 Euro, nach oben sind im Geigen-Himmel jedoch keine Grenzen gesetzt. Damit man am Anfang kein finanzielles Risiko eingehen muss, bietet Thomas van der Heyd ab zehn Euro im Monat auch Leihinstrumente inklusive Wartung an.
Demnächst möchte er auch Laien einen Einblick in die Geheimnisse der Geigenbaukunst gewähren. "In einem Workshop können Interessierte vorgefräste Teile unter Anleitung selbst zusammenbauen." Ein genauer Termin steht allerdings noch nicht fest, wahrscheinlich dauert es noch bis zum Winter, der gerade mit Vivaldis Stimme aus dem Radio spricht und in das Heulen des Windes draußen vor der Tür einstimmt.