Kindererziehung ist Sache der Eltern. Da hat ihnen niemand etwas dreinzureden – und da lassen sich Eltern auch wenig Ratschläge geben. Dieser Grundsatz galt lange Zeit. Doch dies hat sich geändert. Heute gilt oft der Anspruch, dass innerhalb einer Familie alle und alles reibungslos funktionieren müssen. Der Betrieb Familie muss schnurren wie ein schweizer Uhrwerk. Schlecht erzogene Kinder stören den Betrieb. Dies setzt Eltern unter Druck, alles richtig zu machen. Zugleich sind sie aber auch eher bereit, in Erziehungsfragen Hilfe zu suchen. Eine Anlaufstelle ist die Erziehungsberatung der Caritas in Haßfurt. Sie gibt es seit 40 Jahren.
Die Frage „Wie erziehe ich meine Kinder richtig?“ beschäftigt Eltern natürlich schon viel länger. Doch Anfang der 1970er Jahre, erinnert sich Gerhard Lutz, wurde es deutlich, dass im Landkreis Haßberge eine feste Beratungsstelle fehlt, für Eltern, die sich in Erziehungsfragen unsicher fühlen, oder gar überfordert. Deshalb kam es im Mai 1974 zur Unterzeichnung eines Vertrags zwischen Caritas und Diakonie, um die damals noch ökumenische Erziehungsberatungsstelle ins Leben zu rufen (siehe Infobox). Als freie Träger übernahmen sie eine Aufgabe, zu der das Sozialgesetzbuch VIII eigentlich Landkreise und Kommunen verpflichtet.
Gerhard Lutz, der die Erziehungsberatungsstelle der Caritas in Haßfurt seit Mai 2003 leitet, sieht einen Vorteil darin, dass die Stelle an keiner Behörde angesiedelt ist, sondern am Sitz der Caritas im Julius-Echter-Haus, Obere Vorstadt 19. Die Erziehungsberatung, die unabhängig von Konfessionen, Weltanschauung und Alter, allen Eltern kostenlos zur Verfügung steht, ist prinzipiell eine freiwillige Leistung, die Menschen möglichst ohne Druck durch irgendwelche Institutionen in Anspruch nehmen sollen. Beispielsweise auf Anregung durch Ärzte, Lehrer, Gerichte (zum Beispiel bei Scheidungen) oder durch das Jugendamt, wie der Leiter der Beratungsstelle erläutert.
Dies verdeutliche sich auch in der Komm-Struktur: Ratsuchende setzen von sich aus den ersten Schritt und kommen zur Beratungsstelle, die sich seit einigen Jahren offiziell Beratungsstelle für Familien – Kinder, Jugendliche und Eltern – nennt. Die Berater der Einrichtung gehen aber auf Wunsch auch in Kindergärten und Schulen, um Kinder zu beobachten. Jedem Ratsuchenden werde mit Wertschätzung der Person und der Annahme der Problemstellung begegnet, stellt Lutz fest. „Wir wollen den Ratsuchenden da abholen, wo er gerade steht.“
Die Zahl der Kinder, die die Stelle pro Jahr berät (nicht behandelt!), ist in den 40 Jahren deutlich gewachsen. 1974/75 waren es 132 Klienten, berichtet Lutz, mittlerweile sind es zwischen 450 und 500 im Jahr. Doch diese Zahlen täuschen etwas darüber hinweg, wie viele Menschen die Erziehungsberater tatsächlich erreichen. Denn die Berater beschäftigen sich ja nicht nur mit den Kindern, bei denen ein Erziehungsdefizit festgestellt wurde. Mit dabei sind Geschwister, Eltern, Angehörige – eigentlich zähle das komplette Familiensystem dazu, meint Lutz.
Die Personalstärke der Erziehungsberatung in Haßfurt ist in den 40 Jahren nicht mit der Zahl der Klienten gewachsen, sondern konstant geblieben. In Personalstellen ausgedrückt heißt das: eineinhalb Psychologinnen, ein Sozialpädagoge, eine Pädagogin und eine halbe Verwaltungsangestellte. Die Zeit, die pro Klient zur Verfügung steht, habe sich dadurch verringert, erklärt der Stellenleiter. Die Beratung sei „strukturierter“ geworden, nicht oberflächlicher. Trotz gewachsenen Zeitdrucks bekämen Klienten innerhalb von zwei bis drei Wochen einen Termin für die Erstberatung. Die Beratung ist heutzutage viel zielgerichteter an den jeweiligen Bedürfnissen der Klienten ausgerichtet als früher. Es gebe beispielsweise spezielle Angebote für Eltern von Schreibabys oder traumatisierten Kindern.
Das erweiterte Beratungsangebot ist für Lutz auch ein Grund dafür, dass die Zahl der Eltern, die sich an die Erziehungsberatung wenden, zugenommen hat. Ein weiterer Grund: Die Gesellschaft hat heute strengere Vorstellungen, was „gute Eltern“ zu leisten haben. Das betrifft übrigens auch die Kinder, die oft schon dann als schlecht erzogen gelten, wenn sie einem zum Teil idealisierten und uniformierten Bild nicht entsprechen. Daneben haben Eltern, die oft doppelt verdienen müssen (oder wollen) weniger Zeit, sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern. Der Druck steigt.
„Früher“, sagt Lutz, „wurden Auffälligkeiten bei Kindern eher geduldet. Die Erwartungen an die Kinder waren nicht so hoch gesteckt.“ Heute sei die Hemmschwelle, sich als Eltern beraten zu lassen, niedriger. Wenn es im kleinen und, wie es die Werbung vorspielt, gut funktionierenden Unternehmen Familie hakt, dann ist es nichts Außergewöhnliches mehr, Berater zurate zu ziehen, damit's wieder flott läuft. Wirtschaftsunternehmen machen es schließlich vor.
Auch die veränderte Rollenverteilung innerhalb der Familien kommt zum Tragen. Früher waren es klassischerweise die Mütter, die die Kindererziehung übernahmen. Heute gehen diese oftmals arbeiten. Erziehung ist – soweit vorhanden – die Aufgabe beider Elternteile. Oder sie verlagert sich – Kritiker sprechen von gerne von Abschieben –, auf Kindergärten, Schulen oder andere Einrichtungen. Aber letztlich bleiben Mütter und Väter verantwortlich für das, was innerhalb ihrer Familie passiert. Lutz umschreibt das so: „Eltern bestimmen als Kapitäne, wo die Familie hinsteuern soll.“ Und wenn Kapitäne in fremde Gewässer steuern, oder in unübersichtlichen Häfen anlegen, dann holen sie sich auch Lotsen zu sich auf die Kommandobrücke. Erziehungsberater sind letztlich nichts anderes.
Das Jubiläumsjahr der Caritas-Erziehungsberatung in Haßfurt nehmen wir zum Anlass, in den kommenden Monaten weitere Themen aus dem Bereich Erziehung und Familien aufzugreifen. Die Erziehungsberatung der Caritas in Haßfurt ist erreichbar unter Tel. (0 95 21) 69 10, E-Mail: erziehungsberatung@caritas-hassberge.de, im Internet unter www.caritas-hassberge.de und www.facebook.com/caritashassberge. Terminvereinbarungen sind erforderlich. Die Beratungen sind kostenlos.
40 Jahre Erziehungsberatungsstelle in Haßfurt
Im September dieses Jahres ist es 40 Jahre her, dass die Erziehungsberatungsstelle in Haßfurt ihren Betrieb aufgenommen hat. Damals, 1974, startete sie als ökumenische Beratungsstelle für Erziehungs- und Familienfragen. Neben dem Kreiscaritasverband Haßberge hat das Diakonische Werk Schweinfurt die Einrichtung mitgetragen. Angeregt und unterstützt wurde die Errichtung der Beratungsstelle durch Peter Floßdorf, dem Pionier im Aufbau der Jugendhilfe in Unterfranken. Dieser hatte bereits zehn Jahre zuvor ambulante Beratungen im Haßbergkreis angeboten.
Vertreter der Trägerverbände hatten am 14. Mai 1974 einen entsprechenden Vertrag unterzeichnet. Dies waren der damalige Caritas-Kreisvorsitzende Martin Braterschofsky sowie Caritas-Geschäftsführer Klaus Diedering und für den ökumenischen Dienst Albrecht Fürst Castell zu Castell.
Mit der Beratungsstelle in Haßfurt wurde 1974 auch eine Außenstelle in Craheim eröffnet. Diese schloss bereits im Juni 1976 wieder, als an die Stelle des ökumenischen Dienstes das Diakonische Werk Schweinfurt als Träger trat. Im Jahr 1988 folgte wegen nicht mehr tragbarer Raumnöte der Umzug aller Beratungsdienste der Caritas von der Schlesinger Straße in Haßfurt ins heutige Julius-Echter-Haus. Seit Januar 1994 ist die Caritas alleiniger Träger der Erziehungsberatungsstelle.