Als in Kerbfeld der Funke übersprang und die Katastrophe ihren Lauf nahm, waren die wenigsten Bewohner zuhause. Wer konnte, war auf den Feldern beim Heumachen. Die seit zwei, drei Wochen anhaltende Hitze und der trockene, warme Wind waren hierfür ideal. Doch zugleich trugen Wind und Hitze dazu bei, dass sich das Feuer in der Ortschaft vor genau 60 Jahren rasend schnell zum Großbrand ausbreiten konnte. Die Menschen waren diesem zunächst machtlos ausgesetzt.
„Im Wald brennt es!“ Als Oskar Dietz diesen alarmierenden Ausruf hörte, war er gerade auf der Baustelle seines Onkels in Happertshausen. Als er in Richtung Kerbfeld blickte, sah er den Rauch. Doch dieser stieg nicht aus dem Wald auf, sondern in Kerbfeld. Dies erkannte Oskar Dietz kurze Zeit später, als er mit dem Auto nach Hause eilte. Als der damals 22 Jahre junge Mann in Kerbfeld ankam, sah er, was dort brannte: die Scheune von Hugo Wagenhäuser in der Langgasse 2. Gleich daneben wohnte die Familie von Elfriede Bayer (78), seine spätere Ehefrau, mit der er damals bereits befreundet war.
Kurzschluss am Elektromotor
Wie sich später herausstellte, hatte an jenem 14. Juni 1957 am frühen Nachmittag ein Kurzschluss am Elektromotor des Aufzugs, mit dem Landwirt Hugo Wagenhäuser das Heu in seine Scheune beförderte, das Feuer ausgelöst. In der Scheune fand es reichlich Nahrung. Der warme Wind sorgte für einen enormen Funkenflug, die Hitze des Feuers sorgte für zusätzlichen Auftrieb. Brennendes Heu und Stroh verteilten sich über weite Teile von Kerbfeld, berichten Oskar und Elfriede Dietz. Verbrannte Büschel wurden später bis zu zwei Kilometer entfernt vom Dorf im Wald gefunden.

Elfriede Dietz' Bruder Anton Bayer, damals gerade erst 20 geworden, war mit seinen Eltern beim Heumachen Richtung Lendershausen, als sie die Rauchsäule über Kerbfeld sahen. Mit dem Schlepper fuhren sie, so schnell es ging, heim. Während bei ihrem Nachbarn Hugo Wagenhäuser für das direkt an die Scheune angebaute Wohnhaus keine Chance bestand, dieses vor dem Feuer zu retten, brannten bei den Bayers zwar Stall und Scheune, doch das Haus überstand die Brandkatastrophe.
Die eingesetzten Feuerwehren, die aus der ganzen Umgebung anrückten, hatten von Anfang an ein riesiges Problem: Ihnen fehlte es an ausreichend Löschwasser. Der vorhandene Löschteich im Dorf reichte bei weitem nicht, berichten Anton und Roswitha Bayer. Hydranten gab es noch nicht. Eine Motorspritze erhielt die Kerbfelder Feuerwehr erst einige Jahre später. So hatten sie eine Handpumpe im Einsatz. Doch auch die eintreffenden Motorpumpen, etwa aus Hofheim, Goßmannsdorf, Nassach und Stadtlauringen, brachten nichts, solange es zu wenig Wasser zum Pumpen gab.
Da der Wassermangel absehbar war, ließ die Hofheimer Landpolizei frühzeitig die damals spärlich vorhandenen Tanklöschfahrzeuge aus der ganzen Region alarmieren. Doch bis diese aus Haßfurt, Schweinfurt (Werkfeuerwehr Kugelfischer, US-Streitkräfte) und Bad Kissingen nach Kerbfeld gefahren waren, dauerte es. Und das Wasser, das sie brachten, reichte ebenfalls nicht aus.
So karrten zeitweise bis zu 100 Traktorfahrer mit Güllefässern und Bauunternehmen mit Lastwagen mit aufgesetzten Wassertanks das dringend benötigte Löschwasser von Lendershausen, vom Ellertshäuser See und gar vom Main herbei und ließen es in den Kerbfelder Löschteich laufen. Das Vorhaben, eine Schlauchleitung vom Ellertshäuser See bis nach Kerbfeld zu verlegen, wurde aufgegeben, als die Leitung schon bis Aidhausen verlegt war, erinnert sich Anton Bayer. Die Feuerwehr hätte Bedenken gehabt, dass ein geplatzter Schlauch die gesamte Wasserversorgung unterbrochen hätte.
Noch bevor alle Feuerwehren in Kerbfeld eingetroffen waren, hatten Bewohner das Vieh aus den brennenden und bedrohten Ställen herausgelassen. Zwar verendeten in den Flammen dennoch etliche Schweine, doch wenigstens das Großvieh wurde so gerettet. Das Vieh irrte im allgemeinen Chaos im Ort umher, wenn es nicht, wie im Garten von Anton Bayers Familie, auf die Schnelle an irgendwelche Bäume oder Stickel angebunden wurde. Noch Tage nach dem Brand suchten Besitzer, wie am 18. Juni 1957 im „Bote vom Haßgau“ zu lesen stand, nach „allerlei Getier“, das entlaufen war.
Helfer setzten erstaunliche Kräfte frei
Die Menschen retteten nicht nur ihre Tiere vor den Flammen: In aller Eile schafften sie aus ihren Häusern auch beweglichen Hausrat auf die Straßen und setzten dabei erstaunliche Kräfte frei. Anton Bayer berichtet, wie sie das Klavier seiner Familie, das im Jahr zuvor, nach dem Kauf, sechs oder sieben Leute ins Haus hievten, in der Not zu dritt oder zu viert ins Freie schafften. Teils kam es zu grotesken Szenen, schildert Elfriede Dietz: Im Helfer-Eifer warfen manche auch Geschirr aus den Fenstern – das dann auf dem Boden zerdepperte.
Die allgemeine Panik rührte vor allem vom erwähnten Funkenflug her, der das Feuer im Dorf verbreitete. Noch während Menschen an einem Anwesen halfen, das Vieh zu retten und die Flammen einzudämmen, begann deren eigenes Anwesen zu brennen. Vom ersten Brandherd rund 100 Meter entfernt, stand so plötzlich die Scheune von Albin Bayer „wie durch einen Bombentreffer in hellen Flammen“, berichtete der „Bote vom Haßgau“ zum Großbrand. Der rote Hahn packte auch das Anwesen von Fridolin Volk und beschädigte den Kindergarten.
Am Ende waren laut Zeitungsbericht ein Wohnhaus (Hugo Wagenhäuser) komplett abgebrannt und drei beschädigt. Weiter fielen den Flammen vier Ställe, fünf Scheunen und zwei Nebengebäude komplett zum Opfer. Insgesamt sollen 24 Gebäude auf sechs Anwesen betroffen gewesen sein. Der Zeitungsreporter beschreibt den Anblick so: „Die gesamte Gemeinde gleicht einer von einem Bombenangriff schwer zerstörten Stätte. Schweine, Rinder, Pferde, Hausrat, Betten und Möbel stehen in den Straßen umher und jeder versucht das Nötigste noch zu retten. Es ist ein erschütternder Anblick.“

Im letzten Augenblick, da sind sich alle Zeitzeugen sicher, gelang es, die Flammen einzudämmen. Maßgeblichen Anteil daran hatte die Feuerwehr der US-Streitkräfte aus Schweinfurt, die alle gefährdeten Hausdächer, auf denen zum Teil schon das Moos auf den Dachziegeln und Teile des Dachstuhls brannten, mit Schaum bedeckten und damit das Feuer erstickten. Am Abend des 14. Juni, einem Freitag, waren die Brandherde im Großen und Ganzen abgelöscht, doch erst am Sonntag, 16. Juni, meldete die Feuerwehr endgültig: „Feuer aus“.
Heerscharen von Schaulustigen

Während noch letzte Glutnester glimmten und die Dorfbewohner schauten, wie sie über die nächsten Tage kamen, pilgerten am Sonntag und am Montag, einem Feiertag, Heerscharen von Schaulustigen nach Kerbfeld, um die Zerstörungen mit eigenen Augen zu sehen, erinnern sich Elfriede und Oskar Dietz. Es seien aber auch viele aus Nachbarorten gekommen, um zu helfen. Auf Hilfe waren die vom Großbrand betroffenen Kerbfelder Bauern auch beim Futter für ihre geretteten Tiere angewiesen, weil Heu und Stroh verbrannt oder verdorben waren. Seine Familie habe beispielsweise Futter von Bekannten erhalten, erinnert sich Anton Bayer. Sie mussten die erst zwei Jahre zuvor gebaute Scheune wiederaufbauen – von dieser war oberhalb der Betondecke des Stalls im Erdgeschoss nichts übrig geblieben.
Gebrandmarkt waren die Menschen, die den Brand erlebt hatten, auch auf andere Weise. Zwar haben das Feuer laut Zeitungsbericht bis auf drei Aidhäuser Feuerwehrleute alle ohne nennenswerte Verletzungen überstanden, doch gebrandmarkt waren sie dennoch, wie Elfriede Dietz schildert. Seit der Brandkatastrophe vor 60 Jahren habe sie bis heute ein mulmiges Gefühl, wenn sie eine Brandsirene hört.
Sie schaut dann immer sofort nervös, wo es brennt. Besonders belastend war es für sie, als vor knapp drei Jahren ein landwirtschaftliches Anwesen direkt gegenüber ihres Hauses in großen Teilen niederbrannte. Da flackerten in ihr auch die Erlebnisse neu auf, die sie als 18-Jährige machen musste.