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Heile Welt statt Mamas Drogenkosmos

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Heile Welt statt Mamas Drogenkosmos

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    Heile Welt statt Mamas Drogenkosmos
    Heile Welt statt Mamas Drogenkosmos

    Die kleine Anna (Name von der Redaktion geändert) wetzt auf allen vieren über den Holzboden. Ihre Hände klatschen auf den Untergrund und sie kräht vergnügt, während sie flink auf Erzieherin Anja Schneider zukrabbelt und die Arme nach ihr ausstreckt. Auf dem Sofa kuschelt sich die sieben Monate alte Sophie (Name von der Redaktion geändert) an Mama Melanie. Die streichelt ihrer kleinen Tochter sanft über den Rücken und die Haare, während sie sich mit einer anderen Patientin unterhält. Melanie, 28, ist seit neun Jahren heroinabhängig und sagt: „Diesmal muss ich den Entzug schaffen. Ich weiß, dass es meine letzte Chance ist.“ Die Fachklinik Schloss Eichelsdorf ist Melanies fünfte Therapiestation.

    „Wir waren vor über 30 Jahren die erste Einrichtung in Bayern, die ein Kinderhaus angeboten hat“, sagt Schneider, die als Bereichsleiterin für das Projekt zuständig ist. „Wir“, damit ist die Drogenhilfe Tübingen, Träger der Fachklinik, gemeint.

    Angefangen hatte alles damit, dass Patienten ihre Kinder mit in die Klinik brachten. Schnell wurde klar, dass die Betreuung der Kleinen sehr viel Zeit in Anspruch nahm und nach einem Jahr entschlossen sich die Verantwortlichen, eine Erzieherin einzustellen.

    „Es ging sehr schnell von Schadensvermeidung in gezielte Förderung über“, sagt Manfred Richter, stellvertretender Leiter der Einrichtung. Schloss Eichelsdorf sei inzwischen gezielt auf die Bedürfnisse der Kinder zugeschnitten. Hier könnten sie Erlebtes aufarbeiten. „Die Themen, die sie beschäftigen, binden sie in ihr Spiel ein und suchen so nach Lösungen. Wenn sie die haben, können sie loslassen“, erklärt Schneider das heilpädagogische Prinzip.

    Wenn ein Kind während der Therapiestunde beispielsweise den Sandkasten mit Wasser überflute, weise das auf überbordende Emotionen hin, die auf diese Weise ausgelebt werden. Die Erwachsenen übernehmen dabei die Rolle eines Assistenten. Sie greifen nicht in das Spiel ein, außer, das Kind fordert sie dazu auf oder weist ihnen eine Rolle zu.

    Melanies Tochter ist mit sieben Monaten noch zu klein, um ihren Gefühlen auf diese spielerische Weise Ausdruck zu verleihen. Sie soll im Kinderhaus vor allem Geborgenheit „und ein Stück heile Welt“ erfahren.

    Ihre Mutter Melanie kommt aus einer deutschen Großstadt. Durch ihren Exfreund, erzählt sie, sei sie an die Droge Heroin und in die Abhängigkeit geraten. „Erst war ich neugierig, dann fand ich es geil. Ich war nicht mehr so leicht zu verletzen und konnte Gefühle besser unterdrücken“, sagt die Mutter dreier Kinder – neben Sophie gibt es noch eine siebenjährige Tochter und einen fünfjährigen Sohn. Die beiden leben momentan in einem Heim, haben aber regelmäßig Kontakt zu Melanie. Erst vor ein paar Tagen hat sie ihnen wieder einen Brief geschrieben.

    Vom Kinderhaus in Eichelsdorf ist die junge Mutter begeistert: „Alles ist so schön eingerichtet. Die Erzieherinnen sind sehr nett und offen und gehen liebevoll mit den Kindern um.“ In anderen Einrichtungen indes habe sie negative Erfahrungen gemacht – dort seien Kinder sogar geschlagen worden.

    Das Kinderhaus der Fachklinik Schloss Eichelsdorf gilt als heilpädagogische Tagesstätte. Von den zehn Plätzen stehen fünf für Kinder von außerhalb zur Verfügung. Sie werden über das Jugendamt nach Eichelsdorf vermittelt. Berührungsängste, weil Eichelsdorf eine Fachklinik für Drogenabhängige sei, gebe es nicht, erklärt die Leiterin des Jugendamtes Haßberge, Adelinde Friedrich. Im Gegenteil: „Man ist überzeugt von der Arbeit, die dort geleistet wird.“

    „Finanziell gesehen ist das Angebot des Kinderhauses für uns nicht sehr lukrativ. Aber es ist notwendig“, sagt Manfred Richter. Die Kinder werden während der Woche von acht bis 15.30 Uhr von Fachpersonal betreut, währen ihre Eltern am therapeutischen Programm teilnehmen. Zudem gibt es einmal in der Woche eine Elterngruppe. „Wie habe ich meine eigene Kindheit erlebt? Und was möchte ich meinem Kind mit auf den Weg geben? – Das sind Fragen, die dort immer wieder auftauchen“, so Schneider.

    Man wolle die Eltern ermutigen, auch nach dem Ende ihres Aufenthalts familientherapeutische Angebote wahrzunehmen. In manchen Fällen habe das Jugendamt die Auflage gestellt, dass die Patienten bei einem Therapieabbruch ihr Kind nicht behalten dürfen. „Diesen Fall hatten wir schon. Da mussten wir das Kind dann ans Jugendamt übergeben. Das ist aber Gott sei Dank die Ausnahme“, so Schneider. Auf die Frage, ob die Angst, das Kind zu verlieren, nicht zum Durchalten ansporne, zuckt Richter resigniert die Schultern: „Es ist schon möglich, dass das motiviert. Aber Kinder bieten langfristig keinen Schutz vor Rückfällen.“ Melanie will ihrer Kinder zuliebe diesmal durchhalten, ihnen eine gute Mutter sein. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten möchte sie die Therapie erfolgreich abschließen, und dann mit ihm, der gemeinsamen Tochter Sophie und ihren beiden anderen Kindern zurück in ihre Heimatstadt ziehen. „Ich glaube an mich. Ich werde es schaffen“, sagt sie – es ist der Trotz in ihren Augen, der einen diese Worte glauben lässt.

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