(til) Zwei Mal war Melanie Saal aus Hofheim inzwischen auf dem Jakobsweg unterwegs. Die 24-jährige war nicht aus religiösen Gründen auf Pilgerreise. Eigentlich wollte die 24-jährige nur sehen, ob sie es als Frau schafft, sich auf eigenen Beinen in einem fremden Land durchzuschlagen. Neue Kulturen und Länder zu erforschen und Leute kennen zu lernen waren ebenfalls Gründe für sie den Jakobsweg zu erkunden.
Eigene Macken erkennen
Ihr erster Weg im vergangenen Herbst führte sie über eine 300 Kilometer lange Strecke. In diesem Frühjahr hat sie sich an eine 800 Kilometer lange Pilgerreise gewagt, von Saint Jean Pied de Port in Frankreich bis nach Santiago de Compostella in Spanien. Dabei hat sie viele neue Erfahrungen gemacht: „Vieles, was einem sonst wichtig erscheint, ist nicht wirklich von Bedeutung“, sagt sie. „Das Leben ist nicht wert, sich so viel Stress zu machen, wie es in Deutschland üblich ist. Oft regt man sich über jemanden auf, ohne zu überlegen, welche Macken man selbst hat.“
Sie lernte auf ihrer Pilgerreise, Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Solche konnte sie sich auf ihrem Weg nicht leisten. „Mit Englisch kommt man auf dem Jakobsweg nicht weit“, erkannte sie. So verständigte sie sich mit Händen und Füßen. „Wer freundlich ist, kommt überall klar“, ist eine weitere Erkenntnis. Von anderen Pilgern, die aus religiösen Gründen unterwegs waren, wurde sie völlig anerkannt. In Gesprächen mit ihnen erfuhr sie: „Viele pilgern, um mit einer Phase ihres Lebens abzuschließen.“ Zudem befasse man sich automatisch mit den Geschichten und Legenden des Jakobsweges, wenn man dort unterwegs ist.
Auch lustige Begebenheiten hat sie erlebt. An einem Regentag lief sie mit einem Regenponcho ausgerüstet durch ein kleines Dorf. Wegen des Rucksacks unter dem Poncho sah es aus, als hätte sie einen Buckel. Ein Kind begrüßte sie daher mit „Hola Bruja“ (Hallo Hexe). Melanie fand das lustig, während es den Eltern des Kindes sichtlich peinlich war.
Auch bedrückende Situationen hat Melanie Saal erfahren. So begegnete sie einem ärmlichen Mönch, der ohne großes Gepäck und mit einem verletzten Fuß unterwegs war und den ganzen Weg lang den Rosenkranz betete. „Da wird einem bewusst, welche Ansprüche man selbst manchmal stellt.“
Und eine weitere wichtige Sache hat sie auf ihrem Weg gefunden – die Liebe. Schon im Vorjahr lernte sie auf dem Jakobsweg Csaba Molina aus Budapest kennen. Auch er war nicht von religiösen Gefühlen getrieben, sondern suchte die Herausforderung und wollte seine Lust am Wandern ausleben. Nach Abschluss seines Studiums als Bio-Ingenieur hatte er das Pilgern auf dem Jakobsweg als Chance gesehen, etwas Neues zu erleben.
Auch er wanderte die 800 Kilometer lange Strecke wie Melanie. Danach ging er noch 120 Kilometer weiter, nach Muxia. Dabei hatte er nur wenig Geld zur Verfügung und legte an einem Tag schon mal 54 Kilometer zurück. „Ich bin über meine Schmerzgrenze gegangen. Das war eine neue Erfahrung für mich“, erzählt der 26-Jährige. „Dabei habe ich viel über das Land und die Leute gelernt und tolle Menschen getroffen.“
Verführerische Schokokekse
In einer Herberge traf er auf Melanie – und hat sie mit Süßigkeiten gefangen. Sie erklärt lachend: „Er hat mich mit Schokokeksen angefüttert. Ich dachte nur: 'Oh, der hat Kekse dabei. Den muss ich kennenlernen.'"
Ineinander verliebt haben sie sich aber erst später, als sie sich in einer anderen Herberge ein zweites Mal getroffen haben. Nachdem sie erneut getrennte Wege gingen, haben sie sich auf dem Rückflug ein drittes Mal getroffen. Einen Strohhut von Csaba, den Melanie als Leihgabe erhielt, sollte sie ihm nach Ungarn zurückbringen, was sie natürlich machte.
Seit einem halben Jahr sind die beiden ein Paar und besuchen sich gegenseitig in ihren Ländern. Beide haben auf dem Jakobsweg die Herausforderung gesucht – und die Liebe gefunden.